Süddeutsche Zeitung

Hanau:Die Spur des Terrors

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Tobias R. scheint seine Anschlagsziele ganz bewusst gewählt zu haben. Darauf deutet die Rekonstruktion seiner Tat.

Von Jan Willmroth, Hanau

Einige Tage vor seiner Tat in Hanau, bei der er zehn Menschen ermordet, stellt Tobias R. ein Bekennerschreiben und Videos ins Internet. Die Dokumente weisen auf ein wirres, völkisches und rassistisches Gedankengut hin.

Am Mittwochabend um 21.58 Uhr taucht der 43-Jährige in der Straße Heumarkt in der Hanauer Innenstadt auf. Es ist eine kurze Nebenstraße mit drei kleinen Hotels, einem Reisebüro, einer Pizzeria, einem Sportwettbüro und zwei kleinen Bars. Während sich in benachbarten Gaststätten viele Menschen versammelt haben, um ein Champions-League-Spiel im Fernsehen anzuschauen, ist in den beiden Lokalen verhältnismäßig wenig los.

Er erschießt zuerst einen Menschen auf der Straße. Dann soll er laut Mitgliedern des Innenausschusses des Bundestages geflohen sein und unterwegs einen zweiten Menschen getötet haben, bevor er weiter zur Bar Midnight fuhr und dort vier Schüsse durch die Tür abgab und einen weiteren Menschen tötet. Alle Opfer hier haben einen Migrationshintergrund.

Unterdessen gingen die ersten Notrufe bei der Polizei ein. Nach wenigen Minuten erscheint die Polizei in der Straße Heumarkt. Der mutmaßliche Täter hat sich zu dieser Zeit bereits mit seinem Auto in westliche Richtung entfernt.

Tobias R. fährt in den 2,5 Kilometer entfernten Stadtteil Kesselstadt, in dem er auch wohnt. Wohnblocks dominieren dort das Stadtbild, auf den Straßen ist wenig los an einem normalen Abend. Anwohner beschreiben die Gegend als vollkommen ruhig.

Im Bereich des Kurt-Schumacher-Platzes, neben einer derzeit geschlossenen Lidl-Filiale, erschießt Tobias R. einen Menschen aus dem Auto heraus und geht in den Kiosk "Arena-Bar & Café". Dort eröffnet er das Feuer auf weitere Menschen. Auch hier zielt der Täter auf Menschen mit Migrationshintergrund.

In einer nahegelegenen Unterführung hat jemand die Adresse der persönlichen Internetseite des Täters mit schwarzer Farbe an die Wand gesprüht - ob es Tobias R. selbst war, ist nicht bekannt.

Nach der Ermordung von neun Menschen fährt er nach Hause zu seiner 72-jährigen, bettlägerigen Mutter. Er tötet sie und schließlich auch sich selbst.

Der Generalbundesanwalt übernimmt die Ermittlungen aufgrund der besonderen Bedeutung des Falles: Es besteht der Verdacht einer terroristischen Gewalttat.

Die Polizei ermittelt die Identität des Täters. Gegen drei Uhr nachts stürmt ein Spezialeinsatzkommando der Polizei die Wohnung des Täters und findet dort die Leichen des mutmaßlichen Täters und seiner Mutter. Beide weisen Schussverletzungen aus. Die Tatwaffe wird bei Tobias R. gefunden.

Anm. der Redaktion: Dieser Text erschien erstmals am 20. Februar 2020 und wurde nach Bekanntwerden neuer Erkenntnisse im Innenausschuss am 28. Februar 2020 korrigiert.

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