Zwei Jahre nach dem Terroranschlag:Der tiefe Graben von Hanau

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Angehörige bei der Gedenkfeier für die neun Ermordeten von Hanau. (Foto: Reuters)

Neun überwiegend junge Menschen wurden am 19. Februar 2020 erschossen - die Motive waren Rassismus und Hass. Bei der Gedenkfeier wird deutlich, wie enttäuscht die Angehörigen von der "umfangreichen Aufklärung" sind, die ihnen versprochen wurde.

Von Constanze von Bullion, Hanau

Es ist noch lange kein Frieden eingekehrt, nicht bei den Angehörigen, aber auch bei einigen politisch Verantwortlichen nicht. "Nichts ist mehr, wie es war", sagt Ajla Kurtović, deren Bruder Hamza vor zwei Jahren in Hanau erschossen wurde. "Es macht mich immer wieder fassungslos", sagt Emiş Gürbüz. Sie hat damals bei dem Anschlag ihren Sohn verloren, und sie ist wütend. "Was Ihnen angetan wurde, zerreißt mir das Herz", sagt Nancy Faeser, die Bundesinnenministerin. Es klingt mitfühlend, auf sonderbare Weise aber auch hilflos.

Samstagmittag auf dem Hauptfriedhof in Hanau, vor neun weißen Grab- und Gedenksteinen hat die Stadt ein paar Stühle aufgestellt und Blumenkränze vorbereitet. Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) ist gekommen, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), natürlich ist auch der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky da. Die Hauptpersonen bei dieser Gedenkfeier aber sind andere. Es sind die Angehörigen der Opfer des Terroranschlags in Hanau, bei dem am 19. Februar 2020 ein von Rassismus und Tötungsfantasien getriebener Täter neun Menschen ermordete, weil sie aus Familien mit Einwanderungsgeschichte stammten. Eines der Opfer versuchte den Täter noch zu verfolgen und die Polizei zu alarmieren, vergeblich. Als der Todesschütze gefunden wurde, hatte er auch sich selbst und seine Mutter erschossen.

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Zwei Jahre ist dieser rechtsterroristische Anschlag her, und er hat nicht nur bei den Hinterbliebenen Narben hinterlassen. Bis hinauf zum Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier hatten Vertreter des Staates vor zwei Jahren lückenlose Aufklärung versprochen. Zurückgeblieben aber sind bei vielen mehr Fragen als Antworten - und Wut.

Proteste gegen Ministerpräsident Bouffier

Warum dauerte es damals so lange, bis Krankenwagen kamen? Warum gab es nach der Tat sogenannte Gefährderansprachen bei Familien mit Migrationsgeschichte und Warnungen, keine Rache zu nehmen, ausgerechnet bei den Angehörigen der Toten? Welche Rolle spielten Sicherheitsbehörden bei der schleppenden Verfolgung der Straftaten? Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen inzwischen eingestellt, ein Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag versucht, den Anschlag weiter aufzuklären, in der Stadt hat die Tat viel Engagement bewirkt, immerhin. Für die Hinterbliebenen allerdings ist das ein schwacher Trost.

Ministerpräsident Bouffier jedenfalls wollten etliche Angehörige der Toten am Samstag nicht bei der Gedenkfeier sehen, es gab im Vorfeld erhebliche Proteste. Der CDU-Politiker weiß das, als er ans Rednerpult tritt, und er sucht seine Anteilnahme mit leiser Selbstkritik zu verbinden. "Ich weiß, dass das Ihren Schmerz, Ihr Leid, und ja, bisweilen auch Ihren Zorn nicht lindern kann", sagt Bouffier. Trotz erheblicher staatlicher Ermittlungsbemühungen und trotz aller nachvollziehbarer Überlastung der Behörden angesichts der damaligen Terrorlage, sei er sich nicht sicher, ob alle Fragen "befriedigend beantwortet" worden seien. Dazu gehöre auch der Umgang mit den Familien der Erschossenen. Dies beschäftige "intensiv nicht nur Sie, sondern auch uns".

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Oberbürgermeister Claus Kaminsky gedenken der Opfer von Hanau. (Foto: Patrick Scheiber/imago images)

Bundesinnenministerin Nancy Faser, selbst Hessin, findet deutlichere Worte. Vor zwei Jahren sei umfangreiche Aufklärung versprochen worden. "Heute muss ich sagen: Diese Bringschuld ist noch nicht erfüllt. Es sind noch viele Fragen offen", sagt sie in einer emotionalen Rede. Faeser erzählt zu den neun Namen der Ermordeten kleine Lebensgeschichten, um ihnen Gesicht und Persönlichkeit zu geben, auch als ganz gewöhnliche Hanauer Bürger. Der Attentäter habe die überwiegend jungen Leute in seinem mörderischen Hass für Fremde gehalten, sagt die Ministerin. "Das waren sie nicht." Aufgabe staatlicher Behörden sei es auch weiter, solche rechtsextremistischen und rassistischen "Hetzer" konsequent zu verfolgen: "Wir müssen sie aufhalten und zur Verantwortung ziehen."

Was dann zutage tritt allerdings, ist ein tiefer Graben. Er trennt Eingewanderte und ihre Nachkommen von den politischen Eliten des Landes, und er ist gefüllt mit Unbehagen und Enttäuschung. "Dieser Schmerz und die Wunden sind so groß, dass sie nie wieder heilen werden", sagt Emiş Gürbüz, die bei ihrer Ansprache um Fassung ringt. Ihr Sohn Sedat war 29 Jahre alt, als er 2020 in einer Hanauer Shisha-Bar erschossen wurde. Ein Friedhof sei nicht der richtige Ort für ihre Worte, entschuldigt sich die Mutter. Aber das Land Hessen habe die Trauer der Angehörigen "vereinnahmt" und "unsere Wünsche auch an diesem besonderen Tag ignoriert".

"Ich möchte keine schönen Wörter mehr hören"

Etwas später spricht der Bruder von Gökhan Gültekin, auch er einer der Ermordeten. Er habe einen Traum gehabt, sagt er, frei nach Martin Luther King. In seinem Traum habe es einen Hanauer Polizeichef gegeben und einen hessischen Innenminister, der die Angehörigen der Opfer zu sich eingeladen habe, und "sich entschuldigte für die Überforderung". Nichts dergleichen, so die Botschaft, sei geschehen. "Ich möchte keine schönen Wörter mehr hören. Ich möchte konkret unterstützt werden", sagt Valentino Kierpacz, dessen Mutter Mercedes ermordet wurde und mit ihm auch seine inzwischen fünfjährige kleine Schwester hinterlassen hat.

Als es vorbei ist, werden Kränze gerückt und Schleifen zurechtgelegt, manche Trauergäste beten. Dann gehen sie, wenn auch zögerlich.

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