Fünf Jahre nach tödlichem Anschlag:Die Botschaft von Hanau

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Mit Plakaten und Bildern der Ermordeten erinnern Demonstrierende auf dem Marktplatz von Hanau an die Opfer der Anschläge. (Foto: Boris Roessler/DPA)

An diesem Mittwoch jährt sich der rassistische Anschlag mit neun Toten zum fünften Mal. Eine Angehörige bekräftigt die Kritik vieler Hinterbliebener an Versäumnissen von Polizei und Behörden in der Tatnacht und danach.

Der rassistische Anschlag in Hanau vor fünf Jahren war nach Ansicht von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier „ein Anschlag auf unsere offene Gesellschaft und unsere liberale Demokratie“. Das gelte auch für die „vermutlich islamistisch motivierten Anschläge der vergangenen Monate“, sagte das Staatsoberhaupt bei der zentralen Gedenkveranstaltung in Hanau für die dort am 19. Februar 2020 Ermordeten aus Einwandererfamilien.

Steinmeier rief zum Kampf gegen Rassismus, Rechtsextremismus, Islamismus „und gegen jede andere Form der Menschenfeindlichkeit“ auf. „Es ist an uns, für ein gutes Miteinander zu sorgen, jeden Tag und immer wieder aufs Neue. Das ist die Botschaft, die wir heute hier aus Hanau in unser Land senden sollten.“

Bundespräsident Steinmeier würdigt das Engagement der Angehörigen als beispielhaft

Steinmeier verwies auf die Vorgeschichte der Tat, zu der Ressentiments gegen Musliminnen und Muslime, Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma gehört hätten. Zur Vorgeschichte gehöre auch der vor allem im Internet und in den sozialen Medien verbreitete Hass, der darauf abziele, das gesellschaftliche Klima zu vergiften und Menschen mit Einwanderungsgeschichte auszugrenzen.

„Gemeinsam müssen wir mehr tun – gerade jetzt –, um das Miteinander in unserer vielfältigen Gesellschaft zu stärken“, sagte der Bundespräsident. Er würdigte in diesem Zusammenhang das zivilgesellschaftliche Engagement der Angehörigen als beispielhaft. „Das ist nach allem, was sie erlitten haben, ein großes Geschenk für unser Land“, sagte Steinmeier.

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Beim Attentat in Hanau vor vier Jahren verlor Etris Hashemi seinen Bruder, er selbst wurde schwer verletzt. Seitdem kämpft der 27-Jährige gegen Rassismus und dafür, dass sich das Land verändert.

Von Gianna Niewel

„Es ist die Aufgabe des Staates, Sicherheit zu gewährleisten und Täter zur Rechenschaft zu ziehen“, betonte Steinmeier. Er warnte mit Blick auf jüngste Gewalttaten in Magdeburg, Aschaffenburg, Mannheim, Solingen und München vor Vorverurteilungen. Dass Menschen wegen ihrer Herkunft oder Hautfarbe unter einen Generalverdacht gestellt würden, dürfe nicht zugelassen werden.

Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland wolle in Freiheit und Vielfalt leben. Diese Mehrheit muss aus Sicht des Bundespräsidenten jedoch hör- und sichtbarer werden. „Geben wir der Menschenfeindlichkeit keine Stimme“, erklärte er und versicherte: „Wir stehen zusammen. Wir halten zusammen. Wir wollen zusammenleben.“

Auch Innenministerin Faeser nimmt an Gedenkveranstaltung teil

Am 19. Februar 2020 hatte der 43-jährige Tobias R. neun Menschen aus rassistischen Motiven erschossen. Anschließend tötete er seine Mutter und sich selbst. Bei der Gedenkveranstaltung unter dem Motto „Gemeinsam gedenken – für Zusammenhalt und Zukunft“ an diesem Mittwoch sprachen auch vier Hinterbliebene vor den etwa 400 geladenen Gästen. Sie forderten ebenfalls ein entschiedenes Einschreiten gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit, aber auch weitere Aufklärung der Tatumstände und personelle Konsequenzen.

Emiş Gürbüz, Mutter des ermordeten Sedat Gürbüz, bekräftigte die Kritik vieler Angehöriger an Versäumnissen von Polizei und Behörden in der Tatnacht und danach. Die Entschuldigung des hessischen Innenministers Roman Poseck (CDU) vom vergangenen Jahr für Fehler bei dem Polizeieinsatz akzeptiere sie nicht, sagte Gürbüz. Poseck war vor fünf Jahren noch nicht hessischer Innenminister.

Am Dienstagabend hatte sich bereits Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum Jahrestag geäußert und zum Einsatz gegen Hass, Gewalt und Rassismus aufgerufen. „Geben wir Menschenhass keinen Raum“, erklärte er in Berlin: „Wir können dem rassistischen Hass entgegentreten, der den Morden von Hanau zugrunde lag.“ Er forderte: „Lassen wir nicht zu, dass einige unser Land in ‚wir hier‘ und ‚die da‘ zerreißen wollen.“ Stattdessen solle jeder Einzelne „im Alltag Zeichen setzen für mehr Mitmenschlichkeit und weniger Hass. Ich finde, das täte Deutschland gut.“

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