Süddeutsche Zeitung

Hamburger Olympia-Bewerbung:Der Reiz der fünf Ringe verblasst

Erst München, jetzt Hamburg: Olympia in Deutschland wird es bis auf weiteres nicht mehr geben. Das mag manchen enttäuschen. Wichtiger ist die Erkenntnis, dass der deutsche Bürgersinn funktioniert.

Kommentar von Peter Burghardt

München stand Modell für Hamburg. Welches München? Für die Freunde von Olympischen Sommerspielen in Hamburg war es das München von 1972. Die Wettkämpfe von damals, die Stimmung und das Stadion gelten als großes Vorbild, trotz des Anschlags. Aber München, das war vor zwei Jahren auch die abgelehnte Bewerbung für die Winterspiele 2022. Jetzt haben die Hamburger gegen ihre Kandidatur für die Sommerspiele 2024 gestimmt. Olympia in Deutschland wird es bis auf Weiteres nicht mehr geben. Das mag manchen enttäuschen.

Wichtiger allerdings ist die Erkenntnis, dass der deutsche Bürgersinn funktioniert. Bürgersinn heißt, nicht alles zu akzeptieren, was einem Politik, Wirtschaft oder Sport vorsetzen; Bürgersinn heißt, seine Meinung friedlich zur Geltung zu bringen. Bei Debatten, bei Wahlen - oder eben bei so einem Referendum. Man nützt seine Stimme, und die Mehrzahl der Stimmen setzt sich durch. So funktioniert lebendige Demokratie. Das Gegenteil ist jene Politikverdrossenheit, über die so viel gejammert wird und die obskure Protestparteien stärkt.

Die Zeit der Übermacht des Spektakels ist vorbei

Natürlich war das Hamburger Ergebnis zunächst überraschend. Verblüffen kann es bei genauerer Ansicht indes nur diejenigen, die immer noch an die Übermacht des Spektakels glauben. Der Reiz der fünf Ringe verblasst, nicht nur in Deutschland. Auch Graubünden, Stockholm und Oslo hatten sich zuletzt gegen eine Bewerbung gewandt.

Nun hat Hamburg bestätigt, dass zwar Olympia hierzulande keine Mehrheit mehr findet, aber durchaus ein solcher Volksentscheid. Dass im Februar nur 56,5 Prozent der Hamburger an der Bürgerschaftswahl teilgenommen haben, war erschreckend. Dass am Sonntag gut 50 Prozent der Hamburger über Olympia befunden haben, ist erfreulich; in München beteiligte sich 2013 nur eine Minderheit.

Der rot-grüne Senat von Bürgermeister Olaf Scholz tat gut daran, dieses Referendum anzusetzen. Die Beteiligung verleiht seinem Ausgang Qualität. Ansonsten ist die Abkehr von Mega-Events nicht neu. Diese Milliardenveranstaltungen sind immer mehr Leuten zu groß, zu teuer und zu diffus geworden. Spitzensportfunktionäre haben einen schlechten Ruf, ob sie nun unter dem Kürzel IOC, Fifa oder DFB firmieren. Korruption, Doping, Gerüchte.

Hamburg konnte das Misstrauen nicht bezwingen, auch wenn die Bewerber verkündeten, es anders machen zu wollen - sauberer, transparenter, kompakter, ökologischer, kalkulierter. Eine gewaltige Werbekampagne überzog die Stadt, so als hänge deren Zukunft an diesem Sportfest. Und es hätte ja beinahe auch funktioniert: 48 Prozent der Abstimmenden folgten der Vision, die tatsächlich schön anzusehen war. Aber die Strategen haben die Gesamtstimmung unterschätzt.

Das Missverständnis zeigt, wie sich Politiker und Lobbyisten von der eigenen Begeisterung berauschen lassen und vom Publikum entfernen können. Zu den Olympia-Antreibern gehörten zum Beispiel die Erfinder der beliebten Hamburger Spielzeugstadt Miniatur Wunderland. Sie klagen jetzt über Angstmacher unter den Nein-Sagern. Ihre Frustration mag verständlich sein, aber Hamburg ist kein Miniatur Wunderland. Hamburg ist eine aufgeklärte Großstadt.

Es gibt außer Affären und Terrorangst genügend Gründe, gegen Olympia vor der Haustür zu sein. Die Finanzierung war mit dem Bund nicht geklärt, außerdem werden solche Riesenprojekte fast immer teurer als geplant. Die Mieten sind schon genug gestiegen, und Hamburg ist trotz allen Wohlstands auch ein Hort sozialer Härten; dazu sind Zehntausende Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen. Und muss sich Hamburg vom Staat wirklich einen künftigen Stadtteil namens OlympicCity bezahlen lassen?

Als städtisches Symbol für Glanz und Fehlkalkulation dient die Elbphilharmonie, die nun zehnmal so viel kostet wie ursprünglich errechnet. Immerhin wird das Konzerthaus noch vor dem Berliner Großflughafen fertig. Gewiss: Man kann generell über Deutschlands Protestkultur streiten, siehe Dauerbrenner wie Stuttgart 21. Aber es gibt keinen Anlass, an Volksabstimmungen zu zweifeln.

Manche Verlierer dieses Referendums tun das; das ist ein Fehler. Direkte Demokratie kann eine Brücke sein, Politik und Wähler haben sich genug entfremdet. Bürgersinn ist nicht generell der Feind von großen Ideen, aber Bürgersinn kann falsche Euphorie entlarven. Das Risiko des Scheiterns müssen Planer eingehen. Hamburgs Votum ist keine Blamage. Es ist die Meinung einer knappen Mehrheit. Hamburg bleibt eine schöne, attraktive Stadt - die sich ohne Olympia vielleicht umso besser entwickeln kann.

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SZ vom 01.12.2015/jbe
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