Süddeutsche Zeitung

Hamburger Messerstecher:Mit großen Worten in den Tod

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Attentäter wie der Messerstecher von Hamburg denken, ihre Taten und auch sie selbst würden durch die Worte "Allahu akbar" zu etwas Größerem. Nicht nur die Medien spielen dieses Spiel mit.

Kommentar von Ronen Steinke

Am Freitag hat ein Mann zwei Menschen erstochen, mitten auf der Straße, am helllichten Tag. Es hat eine längere Verfolgung gebraucht, bis er gestellt und glücklicherweise gestoppt werden konnte. Wo? Es war nahe Freiburg. Die Meldung über diese Bluttat hat freilich keine größeren Kreise gezogen, weil am selben Tag in Hamburg ein Mann einen Menschen erstochen und dabei "Allahu akbar" gerufen hat. So traurig es ist: dass ihm dies die hundertfache Aufmerksamkeit garantieren würde, war ihm sicher klar.

War der Messerstecher von Hamburg ein Islamist oder "nur" psychisch auffällig? Schwer zu sagen, schwer zu klären; womöglich war er beides. Ähnlich war es beim Ansbacher Rucksackbomber im vergangenen Sommer. Ähnlich war es eigentlich auch beim Lkw-Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt vor einem halben Jahr, der Drogen nahm, Pornos guckte, sich immer wieder dafür geißelte und dann "schnell radikalisierte", also Frust und Aggressionen mit neuem Sinn versah.

Dass sich Selbsthass und Fremdhass, Frömmelei und Schuldgefühl überschlagen und vermengen, ist kein Ausnahmephänomen, das den Hamburger Islamisten-Fall besonders machen würde. Ermittler sprechen davon, dass bei solchen Tätern eine Disposition zum Amoklauf bestehe - und dann komme die dschihadistische Ideologie daher und werde zur Veredelung draufgepropft. Man sollte die Rolle der Ideologie nicht überschätzen.

Aus dem Leben scheiden in einem Feuerball

Das unterscheidet die dschihadistische Gewalt von jener, die früher RAF-, IRA- oder Eta-Täter anwandten, klandestin und aus dem Hintergrund heraus. Der Dschihad hat immer etwas Suizidales. Ob mit oder ohne physische Selbstvernichtung im Sprengstoffgurt oder im Kugelhagel - ein Mord wie jetzt in Hamburg ist immer ein Abschied des Täters auch vom eigenen Leben, ein Ende seiner bisherigen sozialen Existenz. Davor steht sein Entschluss - sei er auch kurzschlussartig, wie es in Hamburg gewesen zu sein scheint -, nicht leise abzutreten, sondern in einem Feuerball.

Es liegt bei Psychologen und Psychiatern, solchen Leuten rechtzeitig ein Angebot zu machen. Die islamistischen "Widerstands"-Propagandisten machen in jedem Fall ihr Angebot. Man könnte eigentlich meinen, dass es ihr Geschäft erschweren müsste, wie stur sie ihrem Gefolge die Bereitschaft zum Selbstopfer abverlangen. Aber es zeigt sich, dass genau dies ihr Geschäft erst in Schwung bringt - weil sie damit auf ein großes Reservoir von Geneigten zugreifen können, die ihr Leben ohnehin wegwerfen wollen.

Die Worte Allahu akbar sind schnell gesagt. Aber, so sehen es die Täter, und sie tun das leider nicht zu Unrecht: Diese Worte machen am Ende den riesigen Unterschied zwischen einer nur erbärmlichen, verachtenswerten Existenz und einer mit Nachruhm. Sie bringen Applaus zumindest aus einer Ecke. Sie bringen auch weltweite Medienaufmerksamkeit für Name, Foto, Biografie.

Wie eigentlich heißt der Freiburger Messerstecher?

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Quelle:
SZ vom 31.07.2017
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