Hamburg:Weinbergs wichtigstes Spiel

CDU-Wahlplakat mit Spitzenkandidat Weinberg

Viel hilft viel, hoffen sie bei der Hamburger CDU, ihren Spitzenkandidaten haben sie auf das größte Wahlplakat der Stadt gedruckt. Es dürfte der einzige Wettkampf bleiben, in dem Marcus Weinberg vorne liegt.

(Foto: dpa)

Vor der Bürgerschaftswahl in der Hansestadt liefern sich Rot und Grün ein Duell - die CDU ist nur Zuschauer. Ihr Spitzenkandidat hat wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren.

Von Ralf Wiegand, Hamburg

Auf flüchtige Betrachter müssen sie befremdlich wirken. Wie Demonstranten, die nicht gesehen werden wollen, nehmen einige Dutzend überwiegend gut gekleidete Personen im Schutz der frühen Januardämmerung Aufstellung vor dem Hamburger Rathaus. Ein paar von ihnen halten plötzlich Plakate in die Höhe, von irgendwoher kommt ein Kommando zum Jubeln, Handy-Flämmchen beleuchten die Szene, Kamera läuft: Marcus Weinberg vorm Rathaus. "Jetzt müsste er an der Tür rütteln", scherzt einer aus dem Tross, weil es eben immer einen gibt, der originell findet, was auch sonst jedem eingefallen ist. Schröder/Kanzleramt, Weinberg/Rathaus, eine Analogie aus dem Baumarktregal - dort, wo die Holzhämmer liegen.

Marcus Weinberg, 52, hat nicht an der Tür gerüttelt. Er hat sich umrahmt von Supportern, wie die Jubelstaffage für solche Wahlkampffotos heißt, und begleitet vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet, nur filmen und fotografieren lassen. Das romantisch angestrahlte Rathaus dient als Kulisse wie auf Hunderttausenden Touristenfotos. Wenig später tröpfeln die Aufnahmen vom Spitzenkandidaten der Hamburger CDU für die kommende Bürgerschaftswahl in die Social-Media-Kanäle, die ständig nach neuem Futter verlangen. Am Morgen desselben Tages waren Weinberg und seine Unterstützer schon einmal flashmobartig am Gänsemarkt im kommerziellen Herzen Hamburgs aufgekreuzt, um der Enthüllung des größten Wahlplakats der Stadt beizuwohnen. Es zeigt, wenig überraschend, Marcus Weinberg (geschrieben We!nberg) und füllt jetzt eine Baulücke hoch über den Köpfen der Passanten. Die Presse war da, "schön klatschen", mahnte der Dirigent die CDU-Supporter, die noch ein Aufstellporträt ihres Frontsängers mitgebracht hatten: Pflichtbewusst stellte sich Weinberg also neben Weinberg vor We!nberg.

Weinberg ist Kapitän des FC Bundestag und heißblütiger Fan des FC St. Pauli

Viel hilft viel, lautet ein altes Hausapotheken-Rezept, und vielleicht hilft es ja auch der CDU in einem Wahlkampf, in dem sie bisher nur Zuschauer ist. "Die Frage ist, wie man da eindringt", ahnt auch Weinberg, der die Hansestadt seit 2005 als Abgeordneter im Bundestag vertritt. Er ist Profi genug, um zu wissen, dass es für ihn nicht ums Gewinnen geht, auch seine Bundesgenossen hängen die Abstimmung so tief wie möglich. "Absolut kein Stimmungstest" für irgendwas sei der Hamburger Urnengang, sagt Armin Laschet, ehe er später am Abend den Hamburger Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern beim Einschwörungsritus in einer Trattoria doch von seinem persönlichen Düsseldorfer Märchen erzählt: hoffnungslos zurückgelegen, fleißig aufgeholt - Wahl gewonnen!

Aber in Hamburg? Entweder bleibt Peter Tschentscher (SPD) Bürgermeister, oder seine bisherige Stellvertreterin Katharina Fegebank von den Grünen löst ihn ab. Aus diesem Duell bezieht das Präludium zur einzigen Landtagswahl 2020 seine Spannung. "Alle anderen stehen nur an der Seitenlinie und müssen zuschauen", sagt der Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl. Solche Situationen sind kaum aufzulösen - welcher Spieler kann sich schon selbst einwechseln in eine Partie, die auch ohne ihn läuft? Die CDU "adressiert ihre Themen", sagt Weinberg brav, sie hängt die Verkehrspolitik hoch, streift traditionell die innere Sicherheit und setzt auf Wissenschaft und Bildung. Ansonsten muss sie darauf hoffen, dass zwischen SPD und Grünen jemand foul spielt, damit noch mal Adrenalin in den Wahlkampf kommt.

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Fußball-Analogien liegen Marcus Weinberg, anders als viele andere Politiker, die den Sport unbeholfen für sich vereinnahmen, ist er wirklich ein heißblütiger Fan. Er ist Kapitän des FC Bundestag und verehrt den FC St. Pauli seit den frühen 1970er-Jahren auf fast schon rührende Weise: Während die Fotografen Bild um Bild von ihm verlangen und die Kälte gleichzeitig unerbittlich unter den Wollmantel kriecht, macht sich Weinberg mit imaginären Derby-Ergebnissen warme Gedanken: Er sagt sich laut ein "3:0 gegen den HSV" vor und lächelt selig, fünf Einstellungen später motiviert er sich schon mit einem "sensationellen 6:0 für St. Pauli". Für eingefleischte Fans, muss man wissen, geht es in Spielen zwischen den Hamburger Herzensklubs nicht um Leben um Tod. Es geht um mehr.

Marcus Weinberg wäre wohl auch keine verkehrte Wahl für Hamburg, wo er jeden Stein kennt. Er ist hier geboren, aufgewachsen, hat hier studiert, er hat als Lehrer ebenso am altehrwürdigen Christianeum unterrichtet wie im schwierigen Stadtteil Wilhelmsburg. Als er selbst Schüler war, erzählt er, habe er sich für Helmut Schmidt geprügelt, wenn andere mit Helmut Kohl kamen. Und ist dann doch der CDU gefolgt, der Wiedervereinigungspartei.

Man ahnt: Weinberg ist kein Dogmatiker, er hat schon vor einigen Jahren die Schwäche der Union in Großstädten analysiert und ihr zu einem liberaleren Auftritt geraten. Er verteidigt im Wahlkampf sogar vor skeptischen Handwerkern den Mindestlohn - "ich muss sagen, für den war ich immer" - und kann auch problemlos die anderen Parteien für Dinge loben, die sie seiner Meinung nach richtig machen. Als familienpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion macht der ehemalige Hamburger Landesvorsitzende auch den Konservativsten in seiner Partei klar, dass es neben Vater-Mutter-Kind gleichwertige Formen von Familie gibt, vor denen sich niemand fürchten muss. Er selbst ist liiert, unverheiratet und hat zwei Kinder. "Ein Lebensbuch, auf dessen Deckel Hamburg steht", hat mal jemand über Weinbergs Werdegang geschrieben.

Welche Wahl hätte er gehabt, als erst die Wunschkandidatin Aygül Özkan wegen Krankheit und dann der Fraktionsvorsitzende André Trepoll auf die Spitzenkandidatur in seiner Herzensstadt verzichteten, als zuzusagen?

Als Hauptfeind sieht die CDU in Hamburg die Grünen an, ihre einstigen Verbündeten

Und deswegen ist, wie er selbst sagt, die Aufgabe trotz der geringen Erwartungen "nicht ohne Risiko". Bisher hat er seine Heimatstadt in Berlin vertreten, eine Karriere ohne das ganz große Rampenlicht. Nun läuft er angesichts von Umfragewerten zwischen 15 und 17 Prozent Gefahr, das bis dato schlechteste CDU-Ergebnis bei Bürgerschaftswahlen noch zu unterbieten - eine Berühmtheit wäre das, die kein Mensch braucht. Zu schlagen sind jene 15,9 Prozent, mit denen die Union 2015 an der Elbe marginalisiert wurde. Nur wenn er über dieser Marke käme, könnte Weinberg ohne Gesichtsverlust als Oppositionsführer künftig im Rathaus Politik machen und nicht mehr im Reichstag.

Doch die Zeiten, in denen die CDU unter einem Freidenker wie Ole von Beust noch die absolute Mehrheit erreichte und eine Wahl später unwidersprochen die Grünen in einem schwarz-grünen Bündnis ehelichen durfte, sind lange vorbei. Für Weinberg waren es "großartige Zeiten". Das aktuelle Wahlmotto "Für eine zusammenwachsende Stadt" klingt sogar wie ein romantischer Rückgriff auf Beusts Slogan von der "wachsenden Stadt".

Doch Beust, Bürgermeister von 2001 bis 2009, hat die CDU in der Hansestadt nicht nachhaltig verändert. Die Partei, so sehen das heute Beobachter wie der Politik-Analyst Elmar Wiesendahl, habe ihn eher gewähren lassen, weil er ihr viele Posten einbrachte. Heute sei die Hamburger CDU sogar konservativer, als sie es vor der Ära Beust war, den Hauptfeind sieht sie nun im einstigen Verbündeten, den Grünen. Für den ausgewiesenen Grünen-Versteher Weinberg macht das die Aufgabe noch schwerer, er kennt die Bürgermeister-Kandidatin Katharina Fegebank schon lange und schätzt sie. Statt auf persönliche Angriffe setzt er daher auf Statistiken: Gleich zwei Studien würden belegen, dass die Metropolregion Hamburg gegenüber dem Rhein-Main-Gebiet, München und Stuttgart zurückfalle. Bei Weinberg klingt das dann so: "Hamburg geht es gut - noch!" Abstiegsangst, wer kennt die nicht, vor allem als Fan des FC St. Pauli. Das Schicksal will es, dass die Kicker vom Kiez am 22. Februar, einen Tag vor der Wahl, im großen Volksparkstadion zum Derby beim HSV antreten müssen. Welcher Termin den Puls von Marcus Weinberg höher treibt? Die Antwort ist ein stilles Lächeln.

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