Süddeutsche Zeitung

Bürgerschaftswahl:Hanseatisches Alles-oder-nichts

  • Zum ersten Mal wird in Hamburg auch über den Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) abgestimmt, der seinen Posten von Olaf Scholz geerbt hatte.
  • In der Hamburger Landesregierung wolle er nur bleiben, wenn ihn die Wahl bestätigt, sagte der 53-Jährige.
  • Auftritte der SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Norbert-Walter Borjans soll es nicht geben.

Von Ralf Wiegand, Hamburg

So ein Wahlkampf über den Jahreswechsel ist keine einfache Sache. Erst wird es zu besinnlich im Advent und dann zu familiär an Weihnachten, zu ruhig zwischen den Feiertagen, und nach Silvester sind alle erschöpft. Das Wahlvolk hangelt sich matt von Weihnachts- zu Neujahrsansprache, unterbrochen nur von der Vierschanzentournee und den Wiener Philharmonikern - wann wird es sich wieder dafür interessieren, wo es was zu wählen gibt in diesem taufrischen Jahr 2020, und vor allem: wen?

Nun ist die Sache zum Glück sehr übersichtlich, es gibt im angebrochenen Kalenderjahr exakt eine Wahl von Relevanz: Hamburg gönnt sich eine neue Bürgerschaft. Am 23. Februar wird in dem Stadtstaat das Parlament neu gewählt, und zum ersten Mal stimmen die Hanseatinnen und Hanseaten dabei auch über den Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) ab. Der 53-Jährige steht in seinem Amt einem Ministerpräsidenten gleich, im März 2018 hat er den Posten von Olaf Scholz geerbt. Und in der Hamburger Landesregierung wolle er nur bleiben, wenn ihn die Wahl bestätigt, sagte Tschentscher in der vergangenen Woche: Bürgermeister oder nix - die SPD setzt alles auf Sieg.

Auch die grüne Spitzenkandidatin Katharina Fegebank will die Stadt regieren

Tschentscher inszeniert seine SPD, die unter dem jetzigen Vizekanzler Scholz bei den letzten Bürgerschaftswahlen 45,6 Prozent der Stimmen holte, als stolzen, unabhängigen Landesverband, dem niemand reinreden müsse. So werde es auch keine Auftritte der SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Norbert-Walter Borjans geben. Tschentscher erklärte, es habe lange ja gar nicht festgestanden, wer den SPD-Vorsitz übernehmen würde. Wahlkampfauftritte seien also nicht zu planen gewesen. Außerdem, so der Bürgermeister, sollten in Hamburg "die Hamburger Themen im Vordergrund stehen".

Womöglich - nein: ganz bestimmt - wäre die Entscheidung gegen Frontbesuche der SPD-Führung anders ausgefallen, wenn Olaf Scholz, der frühere Hamburger Bürgermeister, nun wie geplant die SPD anführen würde. Für den Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl, der die Hamburger Politik seit Jahrzehnten kennt und analysiert, gibt sich die aktuelle Hamburger SPD ohnehin nur als "Nachlassverwalter der Ära Scholz", was seiner Meinung nach zu wenig ist. Dem aktuellen Bürgermeister fehle "ein eigenes großes Projekt, ein Aufregerthema". Sich lediglich als erfolgreicher Bürgermeister anzubieten, der seine erfolgreiche Politik fortsetzen wolle, gleiche einer "Demobilisierungsstrategie", findet Wiesendahl: "Wen soll das aus dem Sattel treiben?"

Und die SPD muss viele Leute aus dem Sattel treiben. "Seit der letzten Wahl haben sich die politischen Rahmenbedingungen in Deutschland grundlegend geändert", sagt Tschentscher. Tatsächlich lesen sich die Wahlergebnisse von 2015 wie Zahlen von einem anderen Stern. Inzwischen haben die Grünen, bisher nur Kellner in der Hamburger Rathausküche, zum großen Koalitionspartner aufgeschlossen. SPD und Grüne liegen mit 28 und 26 Prozent in den jüngsten Umfragen fast gleichauf. Was die Situation für die Sozialdemokraten gefährlich macht, wie Parteienforscher Wiesendahl findet: Die Grünen hätten im Bildungsbürgertum einen hohen Mobilisierungsgrad mit Wahlbeteiligungen um die 80 Prozent, das habe etwa die vergangene Europawahl gezeigt. "Wenn man nach der Wahl die ehemaligen SPD-Hochburgen analysieren wird, etwa Wilhelmsburg, wird man dort wahrscheinlich eine Wahlbeteiligung um die 35 Prozent finden." Wilhelmsburg: Arbeiterviertel, sozialer Brennpunkt, Stadtentwicklungsgebiet.

Dass die SPD nun auch die Großstädte verliert, hält Wiesendahl für besonders gefährlich: "Das war ihre letzte Bastion." In Bremen konnten sich die Sozialdemokraten nur noch mit zwei Partnern, Grünen und Linken, an der Macht halten, das Oberbürgermeisterbüro im Rathaus von Hannover verloren sie an einen Grünen. Auch in Hamburg läuft es auf dieses Duell hinaus, Rot gegen Grün. Den Wahlkampf befeuert das nicht unbedingt, denn es ist längst klar, dass beide Parteien ihre Koalition gerne fortsetzen würden - nur wer wird nun Koch, wer Kellner? Auch die grüne Spitzenkandidatin Katharina Fegebank hat längst erklärt, die Stadt regieren zu wollen. "Die SPD müsste sich eigentlich viel stärker von den Grünen abgrenzen", findet deshalb Politikwissenschaftler Wiesendahl, was im Rahmen einer Weiter-so-Strategie aber nicht funktioniert.

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So werden die Grünen getragen vom Zeitgeist, die SPD gebremst von der Angst. Bürgermeister Tschentscher baut daher schon mal vor: "Wir sind in unserem Wahlziel ambitioniert, aber realistisch", sagte er der Deutschen Presse-Agentur, die SPD wolle in Hamburg stärkste Kraft bleiben. Aber: "Bei keiner Landtagswahl gab es zuletzt auch nur annähernd absolute Mehrheiten für einzelne Parteien."

Im Zweikampf Rot gegen Grün gelingt es keiner anderen Partei, irgendwie aufzufallen. Die CDU verharrt wie einbetoniert bei 17 Prozent, die Linken lagen zuletzt bei einer Befragung von Infratest dimap für den NDR bei elf Prozent, die AfD bei sieben, die FDP bei sechs Prozent. Die CDU, analysiert Parteienforscher Elmar Wiesendahl, sei in Hamburg "weit weg von einer weltoffenen, liberalen Großstadtpartei" und damit auch weit weg vom Lebensgefühl der Hamburger. Dass diese Union bis vor exakt acht Jahren mit den Grünen zusammen in Hamburg regierte - aus heutiger Sicht schier undenkbar. Mit ihrer nach der Ära des Ersten Bürgermeisters Ole von Beust eingeleiteten konservativen Rolle rückwärts hat sich die CDU in Hamburg jede Möglichkeit einer schwarz-grünen Neuauflage - wenn auch mit vertauschten Rollen - genommen.

Ohnehin erkennen die Experten im Hamburger Wahlvolk keinen Willen zum Wechsel. Elmar Wiesendahl: "Zufriedenheit und Lebensgefühl in der Stadt sind hochgradig positiv, dem Hafen geht es gut, sogar Wohnungen werden gebaut." Die Hamburgerinnen und Hamburger wünschten sich eine Fortsetzung dieser Entwicklung, mehr nicht. Unter normalen Umständen müsste das locker reichen, um die regierende SPD sicher ins Ziel und die mitregierenden Grünen nur auf Platz zu bringen. Bleibt eben die Frage, wer seine Wähler schneller aus dem langen Winterschlaf wecken kann.

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SZ vom 02.01.2020
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