Hamburg:Signal an die Vergessenen

Die Regierung des Stadtstaats im Norden will stärker auf die Ängste der Bevölkerung eingehen, dem Populismus entgegenwirken und in Sicherheit investieren. Doch die rot-grüne Koalition verfolgt damit keine reine Law-and-Order-Strategie.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Die Debatten vom jüngsten Bundesparteitag der Grünen in Münster bekommt Anjes Tjarks nicht so schnell aus dem Kopf. Auch am Montag waren sie ihm sehr präsent, als er in seiner Funktion als Fraktionschef der Grünen in Hamburg an der Pressekonferenz zu den rot-grünen Anträgen für den Doppelhaushalt 2017/18 des Stadtstaates teilnahm. Um das Hoch des Populismus war es in Münster gegangen. Um den Gedanken, dass Machtmenschen wie der neue US-Präsident Donald Trump die Ängste vieler Menschen aufgegriffen hätten, welche die Bildungselite bei ihrem Versuch der Weltverbesserung vernachlässigt habe. Und wenn man Tjarks richtig verstand, wollte er die Haushaltsanträge der Hamburger Regierungskoalition als Antwort verstanden wissen auf den Frust derer, die sich vergessen fühlen. Es gehe darum, "reale Bedürfnisse aufzugreifen und in reale Politik umzusetzen".

Haushaltsanträge spiegeln immer auch eine Vorstellung von Zukunft. Die rot-grüne Koalition in Hamburg unter dem SPD-Bürgermeister Olaf Scholz stellt sich demnach eine Zukunft vor, in welcher der Staat besser auf vordergründige Ängste eingeht. Mehr als 42 Millionen Euro würde das Antragspaket kosten, wenn die Bürgerschaft es nach den Schlussberatungen Mitte Dezember durchgehen lässt. Und seine Botschaft klingt tatsächlich wie ein Signal an Wähler, die aus jüngsten gesellschaftlichen Entwicklungen eine Sympathie für sehr konservative Weltbilder abgeleitet haben. "Wir investieren massiv in ein sicheres und sauberes Hamburg sowie in einen funktionierenden Rechtsstaat", sagt der Hamburger SPD-Fraktionschef Andreas Dressel und betont: "Diese Kernaufgaben der Stadt, bei denen die Bürger zu Recht hohe Erwartungen an die Politik haben, sind bei uns in guten Händen."

Das Personal von Justiz und Verfassungsschutz soll aufgestockt werden

Die Anträge sehen zum Beispiel vor, den Verfassungsschutz zu stärken, um gewaltbereiten, vor allem islamistischen Extremismus wirkungsvoller zu bekämpfen. Die Justiz soll wachsen, unter anderem das Verwaltungsgericht als Folge der Flüchtlingssituation. Die Asylverfahren erfordern mehr Personal. Dressel sagt: "Wir gehen von einer Klagequote von einem Drittel bei den Ablehnungsbescheiden aus. Dafür wollen wir das Verwaltungsgericht gezielt stärken." Durch Sanierungs- und Reinigungsoffensiven soll die Hansestadt noch schöner werden. Steht das Hamburger Antragspaket für eine Art rot-grünen Populismus, der allen zeigt, wie man der AfD den Wind aus den Segeln nimmt?

Das Konzept, das hinter dem Paket steckt, gibt viel mehr her als eine reine Law-and-Order-Strategie. Es will auch nicht Schmuddelecken rücksichtslos sauber kärchern. Man kann darin das Bemühen erkennen, Sicherheit und Sauberkeit auch dadurch zu schaffen, dass man Angebote für benachteiligte gesellschaftliche Gruppen schafft. Vorgesehen sind Investitionen in Suchthilfe und Wohnungslosenhilfe. Drogenkonsumräume sollen längere Öffnungszeiten bekommen, eine neue Tagesaufenthaltsstätte für Obdachlose soll entstehen. "Es geht nicht einfach nur um Verdrängung", sagt Dressel. Im Kampf gegen den Populismus versucht sich die Hamburger Koalition auf vielen Ebenen, plant zum Beispiel kostenlose Sommerferienbetreuung für Kinder aus Hartz-IV-Familien und mehr Schwimmunterricht.

Wo die Abstriche sind? Wenn man der rot-grünen Koalition glauben darf, gibt es keine, weil Reserve-Fonds und Umschichtungen in Behörden Entlastung bringen. Andreas Dressel sagt: "Der Haushalt wird nicht ausgeweitet."

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