Hamburg: Schwarz-Grün:Eine Koalition erodiert

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Schwarz-Grün regiert Hamburg recht harmonisch und trotzdem kriselt es - der Rücktritt des Finanzsenators Frigge ist ein Indiz dafür. Bei den Grünen ist man nicht mehr sicher, ob die Koalition bis zum Ende der Legislatur hält.

Jens Schneider und Marc Widmann

Vor wenigen Tagen bekamen die Anwälte des noch amtierenden Hamburger Finanzsenators Carsten Frigge Post aus Mainz. Die Staatsanwaltschaft Mainz gewährte dem Christdemokraten Einblicke in Ermittlungsakten, die ihn offenbar arg belasten. Seit Monaten wird gegen ihn wegen der Verdachts der Beihilfe zur Untreue ermittelt. Als Berater soll Frigge in eine Finanzaffäre der CDU Rheinland-Pfalz verwickelt sein. Er bestreitet die Vorwürfe.

Partner im Hamburger Senat: Der stellvertretende Landesvorsitzende der Grün-Alternativen Liste, Anjes Tjarks (l-r), die Landesvorsitzende der GAL, Katharina Fegebank und Hamburgs heutiger Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) im August (Foto: picture alliance / dpa)

Aber die Staatsanwaltschaft in Mainz lässt durchblicken, dass sich der Tatverdacht in monatelangen Ermittlungen nicht entkräftet habe, eher im Gegenteil. Vor diesem Hintergrund kann der außergewöhnliche Rücktritt besser verstanden werden, mit dem Frigge am Mittwoch im Hamburger Rathaus überraschte. Seit Monaten hatten die Vorwürfe ihm zugesetzt. Wie sehr, das zeigt die Auskunft über sein Befinden nach dem Abgang: "Endlich frei!"

Es ist eine Freiheit, von der Hamburgs restlicher schwarz-grüner Senat so weit nicht mehr entfernt zu sein scheint. Fast zwei Jahren lang regierten CDU und Grüne in Hamburg verblüffend harmonisch. "Die Koalition funktioniert gut", sagt Ahlhaus noch immer. "Die Zusammenarbeit ist von Vertrauen und hoher Verlässlichkeit geprägt." Nur sei man eben "in der Normalität angekommen." Er gibt sich heiter. Es soll realistisch klingen, wenn er sagt: "Wo es keine Gemeinsamkeiten gibt, versuchen wir gar nicht erst, sie vorzutäuschen."

Dabei mehreren sich die Zeichen der Erosion. Zwischen Sticheleien und Blockaden mischen sich gewaltige Entladungen. Die Umstände des Frigge-Rücktritts spiegeln das wider. Blamabel für die CDU erschien der bizarre Abgang des Senators, der erst ausführlich seinen Haushalt einbrachte, und dann über "boshafte und verletzende Angriffe klagte, bevor er abtrat.

Ein wirklich starker Bürgermeister hätte so etwas kaum mitgemacht. Ahlhaus informierte die irritierten grünen Partner erst eine Viertelstunde vor der Sitzung, Parteichefin Katharina Fegebank gar nicht.

Die Grünen wiederum zeigten wenig Bedauern über Frigges Abschied, einige empfinden seinen Abgang als Entlastung für die Koalition. Sie wollten ihn lange nicht mehr. Ahlhaus hatte ihn im Herbst gegen Bedenken des grünen Partners wieder ins Kabinett geholt, als er die Nachfolge des langjährigen Bürgermeisters Ole von Beust antrat.

Frigge stand intern für einen Konfrontationskurs. Heftig geriet er vor allem mit dem temperamentvollen Fraktionschef der Grünen, Jens Kerstan, aneinander. Den wiederum sehen manche Christdemokraten als zuweilen problematisch. Vor zwei Wochen stand die Koalition nach einem Vorstoß Kerstans vorm Showdown.

Er forderte den inzwischen beschlossenen Rauswurf des HSH-Nordbank-Chefs Dirk Jens Nonnenmacher und setzte so den zögerlichen Bürgermeister unter Druck. Ahlhaus explodierte. "Da gab es einen auf die Mütze, auch von mir", sagt CDU-Chef Frank Schira. Danach sei alles wieder gut gewesen.

Die CDU musste befürchten, dass die Grünen das Ende der Koalition in Kauf nehmen. Ein Ende, das die Christdemokraten sich im Moment nicht leisten können. Ihre Umfragewerte sind schlecht, Ahlhaus hängt hinter SPD-Chef Olaf Scholz. Überhaupt ist die Krise dieser Koalition vor allem eine Krise der CDU. Nach zahlreichen Rücktritten von Senatoren ist die Partei personell ausgezehrt.

Ihre Stammwählerschaft hat die Hinwendung zu den Grünen, vor allem in der Schulpolitik, übel genommen. Nun steckt die CDU im Dilemma: Zwar will sie - Ahlhaus sagt das offen - mehr Profil zeigen, doch das empfindet der grüne Partner schnell als Provokation. Vor allem die Art einiger Vorstöße von CDU-Chef Schira ärgert den Partner zunehmend. "Diese Profilierung ist meine Aufgabe", sagt der wiederum und gibt sich nahezu unbesorgt. "Die Situation ist nicht einfach, aber beherrschbar."

Typisch für das Kräfteverhältnis ist das jeweilige Gefühl für die Lage. Bei den Grünen ist man längst nicht mehr sicher, dass die Koalition bis zum Ende der Legislatur hält. CDU-Chef Schira versichert, er habe den "festen Glauben, dass es im nächsten Jahr sogar wieder besser geht". Bürgermeister Ahlhaus sieht die schlechten Umfragen für Hamburgs CDU nicht als Menetekel, es hätte schlimmer kommen können: "Der große Absturz ist ausgeblieben."

© SZ vom 26.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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