Hamburg:Neue alte Sachlichkeit

Abendstimmung im Hamburger Hafen

Ein Gespür für Bürgerbefindlichkeiten muss der neue Rathaus-Chef noch nachweisen. Im Bild ein Angler am Hamburger Hafenbecken.

(Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Peter Tschentscher wird Erster Bürgermeister. Der Ex-Finanzsenator wirkt wie eine schmalere Version seines Vorgängers Olaf Scholz.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Einen Satz hatte sich Olaf Scholz bis zum Schluss aufgehoben. Im Hamburger Kurt-Schumacher-Haus war eigentlich schon alles gesagt, was die Hamburger SPD-Spitze hatte sagen wollen zur Nachfolge des künftigen Bundesfinanzministers Scholz, der als Erster Bürgermeister und Landespartei-Vorsitzender abtritt. Finanzsenator Peter Tschentscher hatte sich auf seine sachliche Art über die Beförderung zum Rathaus-Chef gefreut, Sozialsenatorin Melanie Leonhard ihre Entscheidung für den Parteivorsitz erläutert. Alle wollten aufbrechen, da machte Scholz einen Schritt zum Mikrofon und sagte: "Es ist immer richtig, den angesehensten Senator zum Bürgermeister zu machen."

Olaf Scholz ist ein begabter Vermarkter seiner Handlungsmacht. Mit seinem letzten Satz am Freitagabend hat er den Eindruck verstärkt, dass die Entscheidung, Tschentscher beim Landesparteitag am 24. März als neuen Bürgermeister vorzuschlagen, ein weiterer souveräner Akt seines Wirkens war. In Wahrheit ist der Vorgang doch etwas komplizierter gewesen. Seit sich im Rahmen der Berliner Koalitionsgespräche von SPD und CDU/CSU abzeichnete, dass Scholz die Hansestadt verlassen werde, galt der Fraktionschef Andreas Dressel, 43, als erste Wahl auf den Bürgermeister-Posten. Bald teilte Dressel sich die Favoritenrolle mit Melanie Leonhard, 40, die allerdings früh anzeigte, dass sie als Mutter eines Kleinkindes das höchste Amt im Stadtstaat nicht übernehmen wolle.

Eine Umfrage beunruhigt die Hamburger SPD: Sie ist auf 28 Prozent Zustimmung abgestürzt

Von Dressel war so etwas nicht zu hören, und so erwarteten die Senatsbeobachter, dass Dressel bald als neuer starker Mann an der Alster zu porträtieren sei. Aber die Sitzung des engsten SPD-Führungszirkels im Rathaus am Donnerstagabend wurde lang und kontrovers. Dressel wollte nicht mehr. Kurz zuvor hatte die Wochenzeitung Die Zeit das Ergebnis einer Umfrage veröffentlicht, wonach die Hamburger SPD auf 28 Prozent Zustimmung abgestürzt ist. Die Bürgerschaftswahlen 2015 hatte die SPD mit 45,6 Prozent gewonnen. Aus Parteikreisen dringt die Interpretation, dass Dressel letztlich deshalb der Mut verließ. Als Fraktionschef hat er sich den Ruf eines begabten, aber profillosen Mehrheitsbeschaffers erworben, der Probleme lieber glattbügelt, als sie zu bekämpfen. Die Senatsleitung im historischen SPD-Tief schreckte ihn offenbar endgültig ab.

Am Freitag bei den Sitzungen von geschäftsführendem Vorstand und Vorstand der Hamburg-SPD entstand Diskussionsbedarf. Für halb sieben Uhr hatte Scholz zu einem Presse-Statement geladen. Es folgte um acht. Neben Tschentscher und Leonhard war auch Dressel dabei. Er sagte, dass er sich als Vater von drei kleinen Kindern die Belastung des Bürgermeisteramtes nicht antun wolle: "Es ist kein Geheimnis, dass ich sehr abgewogen habe, was möglich ist." Möglich bleibt immerhin sein Wechsel in den Senat. Dressel soll der neue Finanzsenator werden. Er freute sich "über die tolle Perspektive". Als sehr familienfreundlich gilt der Job aber auch nicht.

Peter Tschentscher dürfte es egal sein, warum die Wahl letztlich auf ihn fiel. Er wollte den Bürgermeister-Posten, ohne ihn mit spitzen Ellbogen anzustreben. Familiäre Bedenken gibt es bei ihm nicht. Er ist 52 Jahre, sein Sohn ist erwachsen, über seine Frau sagt er: "Sie ist es in 20 Jahren Ehe gewohnt gewesen, dass ich sage, ich habe eine neue Aufgabe."

Der gebürtige Bremer kam zum Medizinstudium nach Hamburg und wurde dort Laboratoriumsmediziner. Seit 2008 sitzt er in der Bürgerschaft. Als Haushaltspolitischer Sprecher bearbeitete er mit präzisen Angriffen die Finanzpolitik der damals regierenden, später auseinanderbrechenden schwarz-grünen Koalition vor. Er nahm dabei vorweg, was nach Scholz' Wahlsieg 2011 die Leitidee für eine gesunde Kassenlage wurde: nicht nur platte Sparsamkeit, sondern der klare Blick auf die Einnahmeseite und die Wirtschaftlichkeit von Projekten. Als Finanzsenator setzte er diese Linie erfolgreich um. Die gute Konjunktur war seine Stütze. Investitionen wie gebührenfreie Kitas und eine große Wohnungsbau-Offensive wurden möglich.

Peter Tschentscher wirkt wie die etwas schmalere Version von Scholz. Er hat eine glänzende Stirn wie dieser, er strahlt die gleiche undurchdringliche Sachlichkeit aus, sein Fleiß ist groß. Er sagt: "Wir haben viel erreicht, aber es gibt eben auch noch viel zu tun." Tschentscher wird nicht anders regieren als Scholz. Allerdings gilt er nicht als Wahlkämpfer mit Ausstrahlung und Gespür für Bürgerbefindlichkeiten. Mancher bezweifelt deshalb, dass er die SPD aus dem Stimmungstief holt.

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