Hamburg:Eine Au neben dem Grau

Hamburg Gebäude mit Wandbemalung Graffiti Kreuzung Jenfelder Allee Ecke Rodigalle in Hamburg Stadtt

Aufgehübschte Wohnblock-Fassade in Hamburg-Jenfeld.

(Foto: Stephan Wallocha/imago)

Chance und Risiko zugleich: Hamburg plant ein schickes Wohngebiet direkt am Problem-Stadtteil Jenfeld. Nicht nur die alten Bewohner hoffen, dass das Konzept "Durchmischung statt Verdrängung" auch wirklich aufgeht.

Von Thomas Hahn, Hamburg

So wie es aussieht, wird Jenfeld bald ein Toiletten-Standort von Weltrang sein. Olaf Schweppe-Rother ist zuversichtlich. Er ist meistens zuversichtlich, das muss er wohl auch sein als Geschäftsführer des soziokulturellen Zentrums "Jenfeld-Haus" im Brennpunkt-Stadtteil des Hamburger Bezirks Wandsbek. Aber in diesem Fall hat Schweppe-Rother besonders gute Argumente: Nicht weit von seinem Arbeitsplatz entsteht auf dem Gelände der früheren Lettow-Vorbeck-Kaserne das elegante Wohngebiet Jenfelder Au mit mehr als 1200 Wohneinheiten. Dieses soll nicht nur gut situierte Menschen locken und ein neues Flair ins Quartier bringen. Geplant ist unter dem Markennamen "Hamburg Water Cycle" auch eine einzigartige Toilettenanlage, die ihr Abwasser in Energie umwandelt. Ausgerechnet Jenfeld, bei vielen als Schmuddelstandort verschrien, wird der Schauplatz für das Klo der Zukunft. "Schon toll", sagt Olaf Schweppe-Rother, "die Chancen, die da drinstecken."

Jenfeld im wilden Hamburger Osten steht für den Anspruch einer Stadtentwicklung, die mehr will, als nur Wohnraum zu schaffen und wachsende Ballungsgebiete aufzuwerten. Teure Mieten und Platznot gehören zu den wichtigsten Gegenwartsproblemen der Metropolen. In Berlin, München oder Stuttgart herrscht ein stetiger Kampf um Fläche, den die Stadtregierungen mehr oder weniger kreativ gestalten.

Hamburg, derzeit rot-grün regiert, gehört sicher zu den kreativeren Standorten, was auch daran liegen mag, dass der Stadtstaat ein besonderes Interesse daran hat, möglichst wenige Steuerzahlerinnen und -zahler an die benachbarten Bundesländer zu verlieren. Jedenfalls gibt es hier viele Projekte, bei denen Wohnungsbau und Sozialpolitik zu verschmelzen scheinen. Unter dem Titel "Sprung über die Elbe" ist zum Beispiel gerade eine umfassende Verwandlung der Elbinsel Wilhelmsburg im Gang. Diese war noch vor zehn Jahren berüchtigt für ghettoähnliche Wohnviertel, Armut, Kriminalität. Dann machte Hamburgs Senat Wilhelmsburg zum Schauplatz der Bauausstellung 2013. Seither erstrahlen Teile der Insel im Glanz modernster Nachhaltigkeitsarchitektur, junge Leute sind hergezogen, neues Gewerbe ist entstanden - und die Entwicklung geht weiter. Die städtische Projektbetreiber-Gesellschaft IBA lässt eine Bundesstraße verlegen, um bis etwa 2028 auf 110 Hektar Platz für 5200 Wohneinheiten zu schaffen.

Die Bauplaner hoffen, dass verschiedene Milieus ineinanderfließen

Aus Gebieten, in denen Randgruppen lange unter sich waren, sollen Stadtteile werden, in denen Milieus ineinanderfließen und Integration selbstverständlich wird. Durchmischung statt Verdrängung ist das Ziel. Gewinnorientierte Investoren spielen deshalb nicht allein auf dem neuen Baugrund. Verteilt wird er normalerweise nach den Regeln des Drittelmix: je ein Drittel Sozialwohnungen, frei finanzierte Mietwohnungen, Eigentumswohnungen. Zuschläge sollen an das beste Konzept gehen, nicht unbedingt an das beste Gebot. Und für Wilhemsburg prophezeit Hamburgs Stadtentwicklungs-Behörde: "Verschiedene soziale Einrichtungen wie Kindertagesstätten, eine neue Grund- und Stadtteilschule mit integriertem Bildungszentrum sowie Nachbarschaftstreffs werden zur Stärkung des Stadtteils beitragen."

Jenfeld, 26 000 Einwohner stark, 500 Hektar groß, verändert sich im kleineren Stil. Aber das Prinzip ist das gleiche. Hartz-IV-Empfänger und Migrantenfamilien mit wenig Geld sollen finanzstärkere Nachbarn bekommen. Ein Schild an der Großbaustelle Jenfelder Au zeigt das geplante 35-Hektar-Idyll mit Gärten, hellen Stadthäusern und Eigentumswohnungen. Die grauen Blocks der Kreuzburger Straße sind in Sichtweite. "Da leben viele in brisanten Lebenssituationen", sagt Heike Steinkamp, Geschäftsführerin der gemeinnützigen Quadriga GmbH.

Das Sozialmonitoring der Stadt Hamburg zeigt Jahr um Jahr die Jenfelder Herausforderungen: Sehr viele Kinder und Jugendliche aus armen Familien leben hier. Viele Alleinstehende über 65 mit Grundsicherung. Sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund. Wenige Menschen mit hohen Schulabschlüssen.

Seit den Neunzigerjahren ist viel Fördergeld in Jenfelds Entwicklung geflossen. Viele gemeinnützige Organisationen machen Angebote für Kinder, Jugendliche, Eltern, Senioren. Das Jenfeld-Haus veranstaltet nicht nur Kulturevents, sondern bietet auch einen günstigen Mittagstisch sowie über den Verein Hilfspunkt samstags kostenloses Frühstück. "Ich sage immer, wenn es Ihnen schlecht geht mit Ihrem Leben, ziehen Sie nach Jenfeld", sagt Schweppe-Rother, "es gibt hier so viele Angebote, dass ich nie weiß, was es alles gibt."

Das Grau des Quartiers hat viele Schattierungen: Unter den Bäumen am Moorparksee scheint die Welt in Ordnung zu sein, zwischen den Hochhäusern am Einkaufszentrum hängt die Tristesse. Ein Kind hat mit Kreide auf die Steinplatten geschrieben: "Meine Wünsche: das Michael von der Schule wegziht. Das Harun aufhört Hamsa zu ärgern. Ich hasse Marula." Jenfeld hat keinen U-Bahn-Anschluss, dafür drei Flüchtlingsunterkünfte. Und Heike Steinkamp erzählt, dass es beim jüngsten Bürgergespräch viele Klagen gab über protzige Autos, die Gehwege zuparken, über Drogenhandel und Unsicherheit.

Ein Ghetto für Besserverdienende soll keinesfalls entstehen

Die Entstehung der Jenfelder Au sehen viele deshalb mit gespannter Erwartung. Es ist fast so, als würde ein Ufo im Stadtteil landen, das ein neues Licht ins Quartier bringt. Wie wird das, wenn die neuen Menschen hier einziehen mit ihren anderen Ansprüchen? Folgen exklusive Läden? Wird das Einkaufszentrum teurer? "Die Gefahr der Gentrifizierung sehe ich noch nicht", sagt Heike Steinkamp. Eine schicke Au macht aus dem Standort nicht gleich ein Konsumparadies. Die ersten Pläne der Stadt mit großen, teuren Stadthäusern sind ohnehin längst umgeschrieben, weil dafür keiner nach Jenfeld wollte. Die Investoren bieten jetzt erfolgreich kleinere, günstigere Wohneinheiten an. Und dass weniger Sozialwohnungen geplant sind, als der Drittelmix vorsehen würde, soll nicht heißen, dass ein Ghetto für Besserverdienende gewünscht ist. Es gibt ein Inklusionsprojekt, eine Unterkunft für Menschen mit psychischer Erkrankung, eine Baugemeinschaft, zwei Kindergärten.

Aber Durchmischung kann man nicht verordnen, die müssen die Menschen selbst hinkriegen. "Die Herausforderung ist sicher, dass es kein Stadtteil im Stadtteil wird," sagt Olaf Schweppe-Rother. Andererseits weiß er ja selbst sehr gut, wie einem Jenfeld und die Menschen hier ans Herz wachsen können. Als er vor neun Jahren noch neu war, kursierte gerade die Geschichte von einem jungen Mann, der nach einem Streit mit einem Messer im Auge durch die Görlitzer Straße gelaufen sei. Olaf Schweppe-Rother erinnert sich an die Fragen seiner Freunde zu seinem Umzug ins Problemgebiet: "Da willst du hin?" Am Ende fand er seine Entscheidung immer richtig - schon lange bevor klar war, dass Jenfeld ein Standort modernster Toiletten-Technologie wird.

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