Hamburg:Ein Mann wie eine Insel

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Ole von Beust macht Urlaub auf Sylt, während die Gerüchteküche brodelt: Morgen soll Hamburgs Bürgermeister angeblich seinen Rücktritt verkünden, ein Nachfolger stehe schon bereit. Nur der Koalitionspartner weiß von nichts.

Jens Schneider

E s war einer der heißesten Tage, als die Hamburger Politik am Mittwoch den Endspurt ausrief. Noch einmal warb die Politprominenz in der Innenstadt für die Schulreform mitsamt der umstrittenen Primarschule, die an diesem Sonntag in einem Volksentscheid am Widerstand der Bürger scheitern könnte. "Wir können die Reform allen Hamburgern guten Gewissens empfehlen", appellierte Olaf Scholz, der Hamburger SPD-Vorsitzende, an die Wähler. Sie sollten unbedingt abstimmen gehen.

Sitzt hinter Ole von Beusts Schreibtisch bald ein anderer? Viele rechnen mit einem Rücktritt von Hamburgs Bürgermeister. (Foto: dpa)

Seine Partei ist in der Opposition, aber sie unterstützt die schwarz-grüne Schulreform, weil man einige Korrekturen durchsetzen konnte. Auch Krista Sager, eine der bekanntesten Hamburger Grünen, tummelte sich in der Fußgängerzone. Einer aber fehlte, und das nicht nur an diesem Tag in der wohl wichtigsten Woche für die schwarz-grüne Koalition: Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust hatte sich schon am letzten Wochenende in den Urlaub nach Sylt zurückgezogen.

"So ist er eben"

Die Insel Sylt ist so eine Art zweite Heimat für den 55-jährigen Christdemokraten. Er zieht sich oft dorthin zurück. Die Opposition hat darüber schon vor Jahren gelästert, die meisten Hamburger aber haben sich daran gewöhnt, dass ihr eigenwilliger Bürgermeister seiner eigenen entspannten Agenda folgt und sich nicht den Ansprüchen der aufgeregten Medienwelt beugt. In der Stadt sind schon lange Ferien, also wollte er den Bürgern nicht mit Wahlkampf für seine Schulreform kommen. So ist er eben, sagten die einen. Andere aber nahmen die Abwesenheit als weiteres Indiz für den bevorstehenden Abschied des Bürgermeisters, der es vor neun Jahren geschafft hatte, die sozialdemokratische Domäne Hamburg für die CDU einzunehmen und danach zwei Bürgerschaftswahlen zu gewinnen.

Lange schon wird gerade aus seiner eigenen Partei kolportiert, Beust sei amtsmüde. Nun erscheint vor dem Sonntag zwar nichts sicher, selbst der grüne Koalitionspartner kennt die Pläne Beusts offenbar nur in Andeutungen. Aber es sieht es so aus, als ob ein Rücktritt am Sonntag das mögliche Scheitern der auch von ihm vehement unterstützten Schulreform überschatten könnte - mehrere übereinstimmende Medienberichte weisen auf einen solchen Rücktritt hin.

Was die Reform angeht, stellten sich ihre Anhänger vor dem Wochenende auf eine Niederlage beim Volksentscheid ein. Sie wären schon froh über einen halben Sieg: Wenn die Gegner der Reform zwar in der Abstimmung die Mehrheit erzielen, aber nicht das nötige Quorum von 247335 Stimmen erreichen, soll die Schulreform dennoch durchgezogen werden. Ihr Widerstand wäre dann gescheitert, obwohl fast ein Fünftel der Hamburger gegen die Reform gestimmt hätten. Es scheint ungewiss, ob dann wirklich der von allen gewünschte Schulfrieden in der Stadt einzieht. Vor allem in bürgerlichen Vierteln hat der Streit um das längere gemeinsame Lernen nicht selten zwischen Freunden und Nachbarn eine tiefe Kluft entstehen lassen. Schwer überwindbar erscheint auch die Distanz zwischen den Reformgegnern der Volksinitiative "Wir wollen lernen" und den Initiativen der Unterstützer, die mit ihrem Einsatz zeigen wollten, dass eben nicht das gesamte Bürgertum sich gegen die Reform sperrt.

Bereits auf den Sonntagnachmittag hat die Hamburger CDU-Spitze eine Vorstandssitzung vorgezogen. Es wird vermutet, dass Beust dort seine Zukunftspläne erklärt - wobei niemand in der CDU genug Einfluss hätte, ihn zu verdrängen. Alles hängt an ihm. Zu diesem Zeitpunkt wird noch niemand wissen können, wie der Volksentscheid über die Schulreform am ausgeht. Für den Bürgermeister war immer wichtig, dass dies eine reine Sachentscheidung bleiben sollte. Er hat sich zwar das ursprünglich grüne Anliegen des längeren gemeinsamen Lernens leidenschaftlich zu eigen gemacht. Er hat dabei in Kauf genommen, dass sich viele Stammwähler von seiner CDU abwenden. Aber Beust hat nie versucht, seine persönliche politische Zukunft mit der Schulreform zu verknüpfen nach dem Motto: Wer mich weiter will, der sollte für die Reform stimmen.

Es wäre ein riskantes Spiel gewesen. Der Bürgermeister ist zwar weiterhin populär, hat aber an Zustimmung eingebüßt. Die Affären und Fehler von Spitzen der Hamburger CDU haben auch ihm geschadet. Der wichtigste Grund für einen baldigen Abschied wäre auch ein guter Grund, jetzt erst recht zu bleiben: Es ist das Vakuum hinter ihm. Es gibt aktuell in der Hamburger CDU niemanden, der das Ansehen und das Format hätte, eine Wahl gegen den zunehmend populären SPD-Chef Olaf Scholz zu gewinnen. Beust würde also jetzt Platz machen für einen Nachfolger, damit der sich bis zu den nächsten Wahlen 2012 einen Amtsbonus aneignen kann. Eigentlich aber müsste Beust bleiben, damit die CDU wieder eine Chance hat - 2012 freilich wäre er schon über ein Jahrzehnt im Amt.

Auch wenn von Beust geht: Die Koaltion bleibt.

Als aussichtsreichster Kandidat für die Nachfolge wird der 40 Jahre alte Innensenator Christoph Ahlhaus angesehen. Auch er ist freilich wenig bekannt, geschweige denn populär. Der in Heidelberg aufgewachsene Jurist begann vor neun Jahren als Landesgeschäftsführer bei der Hamburger CDU, seit zwei Jahren ist er Senator. Ahlhaus verkörpert die biedere, klassische CDU - und in einer Stadt wie Hamburg, die sich als liberal versteht, sollte ein Konservativer so wie Beust modern wirken, um anzukommen. Als Innenpolitiker hat Ahlhaus den Ruf eines Hardliners. Die Grünen freilich schätzen ihn als sachlichen und entscheidungsfreudigen Gesprächspartner, mit dem sie auch bei Meinungsverschiedenheiten gut kooperieren können.

Als ausgemacht gilt jedenfalls, dass die schwarz-grüne Koalition auch ohne Beust weiterarbeiten würde. Sogar Schulsenatorin Christa Goetsch, deren Baby die Schulreform ist, will auf jeden Fall im Amt bleiben. Ganz klar aber ist für sie, dass sie ein Nein der Bürger akzeptieren wird. Manchmal können einem die eigenen Verdienste richtig weh tun: Erst die Grünen haben dafür gesorgt, dass Volksentscheide in Hamburg wirklich verbindlich sind. Und daran, verspricht Goetsch, werde sie sich halten.

© SZ vom 17.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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