Hamburg:Asbest und so

Warum werden Großprojekte in öffentlicher Hand regelmäßig viel teurer als geplant? Am Beispiel des Hamburger Kongresszentrums CCH lässt sich das sehr schön illustrieren. Dessen Modernisierung wird um 36,2 Millionen Euro teurer, die Eröffnung verschoben.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Von der alten Platane aus hat man einen guten Blick auf Hamburgs größten Bauplatz. Nahe dem Bahnhof Dammtor steht sie in ihrer knorrigen Pracht wie eine Zeitzeugin der Hansestadt-Entwicklung. Sie ist der älteste Baum des Parks Planten un Blomen, gepflanzt 1821. In ihrem Rücken haben über die Jahrhunderte schon viele umfassende Bauarbeiten stattgefunden. Jetzt wieder: Das Kongresszentrum CCH wird modernisiert. Wie ein finsteres Betonungeheuer im Gerüst sieht es gerade aus. An Werktagen umgibt Baulärm den Ort. Und so wird es länger als geplant bleiben, wie Hamburgs Wirtschaftsbehörde erklärt hat: Die Wiedereröffnung ist um etwa ein Jahr auf 2020 verschoben. Außerdem wird die Modernisierung um 36,2 Millionen Euro teurer.

Überraschung?

Man hat sich daran gewöhnt, dass staatliche Bauvorhaben in Deutschland teurer und langwieriger werden als vorgesehen. Andererseits wollte der Staat doch längst gelernt haben aus den spektakulären Fehlplanungen bei Mammutprojekten wie dem Stuttgarter Bahnhof oder dem Berliner Flughafen. Gerade in Hamburg, wo eines der schillerndsten Beispiele für die Irrungen der sogenannten öffentlichen Hand steht. Die Elbphilharmonie ragt zwar mittlerweile als gefeierte Attraktion der Hafencity auf. Kaum einer schimpft mehr darüber, dass das Konzerthaus mit mehrjähriger Verspätung fertig wurde und statt der veranschlagten 77 Millionen Euro Steuergeld 789 Millionen Euro kostete.

Aber immerhin war ihre verzögerte Bauphase der Anlass für den damaligen Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), heute Bundesfinanzminister, neue Standards für große Bauprojekte einzuführen. Das Konzept "kostenstabiles Bauen" war auch die Grundlage für das neue CCH. Sein Prinzip: Planen vor Bauen, um teuren Überraschungen vorzubeugen. Wenn Scholz seinerzeit seine Errungenschaften im Kampf gegen Traumtänzereien erklären wollte, verwies er gerne auf das CCH: Die seriöse Planung habe schon für dieses relativ überschaubare Projekt ein Budget von 194 Millionen Euro ergeben, 117 Millionen mehr als der damalige CDU-Senat 2005 für die komplizierte Elbphilharmonie einplante.

Der Projektleiter spricht von einer "äußerst komplexen Aufgabe". Die Opposition spottet

Und nun steht also fest, dass selbst dieses Leuchtturmprojekt anders verläuft als gedacht. Der rot-grüne Senat mit Scholz-Nachfolger Peter Tschentscher (SPD) hat den Mehrbedarf beschlossen. Der Haushaltsausschuss hat am Dienstagabend darüber beraten. Die Opposition spottet. Thilo Kleibauer, Haushaltssprecher der CDU-Fraktion, findet, "das von Scholz und Tschentscher versprochene kostenstabile Bauen ist beim CCH nicht mehr zu erkennen". FDP-Fraktionschef Michael Kruse spricht von einer "Luftnummer".

Die "Revitalisierung des CCH" (Behördensprech) ist eine Verwandlung im großen Stil: Aus einem etwas klobigen Siebzigerjahregebäude soll eine lichte, vielfältige Versammlungsstätte werden, die Hamburgs Ruf als Innovationsmetropole stärkt. Eine frühere Straße wird Parkgelände. Hellmut Körner, Projektleiter im Auftrag der Wirtschaftsbehörde, nennt das Projekt "eine äußerst komplexe Aufgabe". Die Vorwürfe der Opposition weist er zurück. Er verteidigt die Grundsätze des kostenstabilen Bauens, die durchaus einschließen, dass nicht immer alles glatt laufen muss. Körner beschreibt die Planung mit Nutzungskonzept, Machbarkeitsstudie und einem "europaweiten Interessenbekundungsverfahren bei privaten Unternehmen, das keine Interessen für Übernahme und Betrieb ergab". 13,6 Millionen Euro betrugen die Planungskosten. Diese waren dann Bestandteil des Budgets, das die Bürgerschaft absegnete. Für mögliche Mehrkosten waren Einsparungen nach dem Motto Kosten vor Schönheit in Höhe von zehn Millionen Euro vorgesehen.

Bei den Abbrucharbeiten stellte sich dann heraus, dass im Beton asbesthaltige Distanzhülsen und Abstandshalter waren und dass der 2007 eingeweihte Westteil sowie die Tiefgarage auch nicht so bleiben konnten, wie man sie ursprünglich lassen wollte. Hätte man das nicht vorher wissen können? "Nein", sagt Körner. Schadstoffgutachter und der vorige CCH-Betreiber hätten auf die Probleme nicht hingewiesen. Und die gestiegenen Preise der Baubranche machten alles noch teurer.

Die Politik entscheidet über die Pläne, bevor man Genaueres über die Kosten sagen kann

Umsichtige Vorarbeit ist keine Hellseherei, das sagt auch Barbara Ettinger-Brinckmann, die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer (BAK). "Erst planen, dann bauen" ist eine Empfehlung aus der Reformkommission Bau von Großprojekten, welche die Bundesregierung von 2013 bis 2015 betrieb und an der die BAK beteiligt war. Wenn man Barbara Ettinger-Brinckmann um eine Stellungnahme zum CCH-Fall bittet, benennt sie zwei Grundsatzprobleme. Erstens: Die Politik entscheidet über Projekte zu Zeiten, in denen man über die wahren Kosten noch gar nicht alles sagen kann. Ettinger-Brinckmann spricht vom "Fluch der frühen Zahl". Zweitens: Im Haushaltsrecht seien Risikoaufschläge verboten, was der Natur von Bauvorhaben nicht gerecht werde. "Beides zusammengenommen erklärt, warum Projekte der öffentlichen Hand in der öffentlichen Wahrnehmung scheinbar immer wieder aus dem Ruder laufen", sagt Barbara Ettinger-Brinckmann.

Der CDU-Abgeordnete Kleibauer findet, der Senat habe unnötigerweise das Thema Asbest unterschätzt. FDP-Mann Kruse kritisiert: "Für die Steuerung komplexer Bauprojekte fehlt bei der Stadt häufig das Know-how." Er überlegt laut, ob sie manche Großprojekte nicht abgeben sollte: "Gerade in Zeiten von boomender Baukonjunktur ist es für die öffentliche Hand schwierig, gutes Personal für die Steuerung großer Projekte zu finden, weil die entsprechenden Experten in gut dotierten Stellen bei privaten Unternehmen sitzen."

Aber der Gedanke kommt zu spät für das CCH. Die Bauarbeiten hinter der alten Platane gehen weiter. Ende August 2020 soll der Weltkongress der Endo-Urologen hier stattfinden. Klappt das? Projektleiter Körner sagt: "Bei so komplexen Projekten besteht immer ein nicht auszuschaltendes Restrisiko."

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