Süddeutsche Zeitung

Hambacher Forst:"Die Proteste haben den Boden für Fridays for Future bereitet"

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Vor einem Jahr räumte die Polizei den Hambacher Forst, jetzt sind mehr als 60 Baumhäuser wieder aufgebaut. Der Soziologe Dieter Rucht erklärt, was die derzeit streikenden Schüler daraus lernen können.

Interview von Lukas Wittland

Um 8 Uhr am Morgen des 13. September 2018 fährt die Polizei im Hambacher Forst vor. Für etwa 3000 Polizisten ist es der erste Tag eines Einsatzes, der zu einem der größten und umstrittensten in der jüngeren Geschichte Nordrhein-Westfalens werden wird. Auch ein Jahr danach ist er noch Thema. Die Aufgabe der Polizei damals ist die Räumung des Waldes, das Energieunternehmen RWE will dort roden, um Braunkohle zu fördern. Doch die Aktivisten, die dort zum Teil seit Jahren in Baumhäusern leben, widersetzen sich - und dürfen jubeln. Am 5. Oktober verhängte das Oberverwaltungsgericht Münster einen Rodungsstopp. Warum die Waldbesetzung eine Welle der Solidarität auslöste und der Hambacher Forst zu einem Symbol der Klimabewegung wurde, erklärt der Soziologe Dieter Rucht.

SZ: Vor einem Jahr marschierte die Polizei im Hambacher Forst auf. Dadurch bekamen die Proteste erst richtig Aufmerksamkeit. War die Räumung also ein Glücksfall für die Aktivisten?

Dieter Rucht: Als Glücksfall würde ich das nicht bezeichnen, denn sie wollten ja erst mal möglichst lange und möglichst ungestört die Rodungsarbeiten blockieren. Allerdings sorgte diese Polizeiaktion und alles, was folgte, im Nebeneffekt für größere öffentliche Aufmerksamkeit. Das war natürlich ein willkommener Faktor für die Besetzer.

Bis heute wird der Wald von teils radikalen Aktivisten besetzt, die auch vor Gewalt gegen die RWE-Mitarbeiter nicht zurückschrecken. Wie kam es, dass sie trotzdem eine so breite gesellschaftliche Unterstützung erhalten haben?

Die Frage ist immer, wer wird da konkret unterstützt, somit auch welche Handlungen werden unterstützt. Ich glaube nicht, dass Gewalttäter viel Applaus finden. Aber es gibt ja auch moderatere Aktionen. Bei nennenswerten Teilen der Bevölkerung finden Formen des zivilen Ungehorsams durchaus Verständnis. Manchmal werden sie auch ausdrücklich gebilligt. Das drückt sich auch darin aus, dass sich Leute solchen Aktionen anschließen.

Manche Aktivisten haben Polizisten mit Schleudern beschossen und mit Fäkalien beworfen. War das so ein Punkt, an dem die Unterstützung auch hätte kippen können?

Ja, das bringt natürlich viele Leute zum Nachdenken, ob sie ein zunächst für richtig gehaltenes Anliegen in seinen konkreten Formen weiter unterstützen wollen. Wenn die Art des Protestes bestimmte Grenzen überschreitet, dann wenden sich eben auch Leute ab oder verweigern ihre Unterstützung.

Was spielte den Aktivisten in die Karten?

Es wurden ganze Dörfer abgerissen und es kam zu Zwangsumsiedlungen. Das wurde natürlich insbesondere von den unmittelbar Betroffenen für äußerst problematisch gehalten, um es mal vorsichtig auszudrücken. Dazu kam dann noch der grundsätzliche Zweifel an der fossilen Energiegewinnung. Braunkohle rückte als dreckigster Energieträger in den Fokus. Außerdem gab es die Klimabeschlüsse von Paris Ende 2015, und die Kohlekommission wurde eingesetzt. Es gibt trifftige Gründe, die die Kohleförderung hochgradig problematisch erscheinen lassen.

Was macht den Fall des Hambacher Forsts besonders?

Ich glaube, es ist die Zähigkeit und Entschlossenheit dieser Besetzer. Beginnend ab etwa 2012 gab es immer wieder eine Kette von Besetzungen und Räumungen, es war praktisch ein Katz-und-Maus-Spiel. Immer wieder sind die Besetzer zurückgekehrt. Sie opferten ihre Freizeit und lebten dort im Winter unter sehr widrigen Verhältnissen. Das nötigt vielen, die das nur beobachten, einen gewissen Respekt ab.

Zu bekannten Kampfplätzen der deutschen Umweltbewegung wie in Wackersdorf und Gorleben ist im vergangenen Jahr der Hambacher Forst hinzugekommen. Wie wichtig sind solche symbolischen Orte?

Sie sind sehr wichtig. Das gilt aber für alle Protestthemen. Es ist sehr schwer, gegen etwas Abstraktes anzukämpfen wie zum Beispiel den Kapitalismus oder den Neoliberalismus. Im Zuge solcher Konflikte bedarf es konkreter Ansatzpunkte. Das können bestimmte Stichtage sein oder Gallionsfiguren, die als Heroen gefeiert werden wie Greta Thunberg. Aber eben auch Konfliktschauplätze wie der Hambacher Forst.

Anhand des Tagebaus am Hambacher Forst kann man die Folgen des Braunkohleabbaus ja gut sehen.

Klar, das erinnert an Mondlandschaften. Da sind riesige Flächen krasser Zerstörung. Bilder prägen sehr stark die Wahrnehmung, das Gedächtnis und auch die Emotionen.

Mittlerweile gibt es wieder sechzig neue Baumhäuser im Hambacher Forst. Bei der Räumung vor einem Jahr wurde von Seiten der Landesregierung das Argument vorgebracht, die Baumhäuser würden gegen Bau- und Brandschutzauflagen verstoßen und müssten deshalb geräumt werden.

Dieter Rucht: Das war in meinen Augen ein konstruiertes Argument. Das wurde vorgeschoben, um eine formale Grundlage für die Räumung zu haben. Dass man das jetzt nicht mehr durchsetzt, zeigt das. Wahrscheinlich entsprechen die neuen Baumhäuser auch nicht dem Brandschutz; allerdings schreitet die Polizei jetzt nicht ein.

Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Rolle von NRW-Innenminister Herbert Reul?

Äußerst problematisch. Er hat einen Kurs vertreten und öffentlich Dinge gesagt, die er dann wiederum zurücknehmen musste oder die sich nur als halb wahr erwiesen. Er hat da eine sehr unglückliche Rolle gespielt. Es darf aber eben nicht übersehen werden: Formal hatte RWE das Recht auf seiner Seite. Die geplante Rodung wäre bis zum Urteil des Oberverwaltungsgerichts legal gewesen.

Was haben die Aktivisten und Demonstranten denn mit ihrem Protest politisch erreicht? Welche Erfolge sind ihnen zuzurechnen?

Erst mal, dass die Rodung gestoppt und weiterhin der Abbau von Braunkohle angezweifelt wird. Ich denke auch, dass Fridays for Future nicht unbedingt als internationale Bewegung, aber doch als besonders starke Bewegung in Deutschland ein indirekter Effekt dieser vorangegangenen Auseinandersetzungen um die Braunkohle ist. Die Braunkohlegegner haben Fridays for Future natürlich nicht organisatorisch in Gang gesetzt. Aber ihre Proteste haben den Boden für die neue Bewegung bereitet.

Greta Thunberg hat vor ihrer Reise nach New York den Hambacher Forst besucht. Fridays for Future verfolgt ja eine deutlich gemäßigtere Form des Protests. Sollten sie radikaler in ihren Forderungen und Protestformen werden?

Ich denke ja. Sie müssten einen Gang zulegen und sich in Richtung spektakulärer Aktionen orientieren. Das muss nicht immer Regelbruch oder Gesetzesbruch bedeuten, sondern offensiveren Protest. Aber sie sollten sehr darauf achten, dass sie durch diese Art der Aktionen nicht in Misskredit geraten und dann mehr Gegner als Sympathisanten produzieren. Das ist eine Gratwanderung.

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