Süddeutsche Zeitung

Hambacher Forst:"Juristisch kreativ, aber rechtlich vertretbar"

  • Mit mehreren Hundertschaften und Spezialkräften ist die Polizei am Freitag weiter in den besetzten Hambacher Forst vorgerückt. 17 Menschen wurden in Gewahrsam genommen.
  • Einen Eilantrag, den einer der Besetzer gegen das Vorgehen gestellt hatte, wies das Oberverwaltungsgericht Münster wegen der wiederholten Gewalt der Klimaaktivisten ab.
  • Im Landtag in NRW wurde währendessen erstmals über die angespannte Lage diskutiert. Heimatministerin Scharrenbach verteidigte die Räumung. SPD und Grüne warfen der Landesregierung vor, Baurecht und Brandschutz nur als Vorwand zu nutzen.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Mehrere Hundertschaften der Polizei haben am Freitag die Räumung des besetzten Hambacher Forsts vorangetrieben. Spezialkräfte drangen auf Hebebühnen in drei der Camps zu einzelnen Baumhäusern vor. Aus Protest gegen die Operation besetzten etwa 20 Braunkohlegegner am Freitagvormittag für mehrere Stunden den Eingangsbereich der Landesvertretung Nordrhein-Westfalens in Berlin. Das Oberverwaltungsgericht Münster wies den Eilantrag eines Besetzers gegen die Räumung zurück und billigte das Vorgehen der Behörden, da von den Klimaaktivisten wiederholt Gewalt ausgegangen sei. Die CDU-FDP-Regierung hatte am Mittwochabend angeordnet, die Baumhäuser vor allem wegen mangelnden Brandschutzes räumen und abreißen zu lassen.

Erstmals seit Beginn eines der größten Polizeieinsätze in der Geschichte des Bundeslandes diskutierte am Freitag der NRW-Landtag über die angespannte Lage im Rheinischen Revier. Im Bauausschuss des Parlaments rechtfertigte Heimatministerin Ina Scharrenbach (CDU) zunächst ihre Entscheidung, die Räumung der mehr als 50 Baumhäuser mit Mitteln des Bauordnungsrechts voranzutreiben. "Das sind Schwarzbauten." Bei einer Ortsbegehung unter Polizeischutz Ende August habe man festgestellt, dass in den "baulichen Anlagen" im Falle eines Waldbrands Lebensgefahr drohe. Deshalb habe man unverzüglich handeln müssen. Scharrenbach betonte, die jetzige Räumung erfolge unabhängig von der für Oktober erwarteten Rodung des Waldes.

Sprecher von SPD und Grünen warfen der Landesregierung vor, Baurecht und Brandschutz als Vorwand für die Räumung des Waldes zu nutzen. Der Fraktionschef der Grünen, Arndt Klocke, hielt Scharrenbach vor, diesen Weg unmittelbar vor der Rodungssaison eingeschlagen zu haben: "Sie sind seit einem Jahr im Amt!" Klocke kritisierte, die Landesregierung untergrabe Versuche, den Streit um die künftige Nutzung der Braunkohle per "Moderation" zu entschärfen. Er verwies auf die Arbeit der Kohlekommission in Berlin. Auch der SPD-Abgeordnete Jochen Ott bemängelte, "der Umweg übers Baurecht" erschwere eine Befriedung: "So kann man politische Konflikte im Land nicht lösen."

Scharrenbach wiederum warf der rot-grünen Vorgängerregierung vor, im Forst zu lange "einen ungesetzlichen Zustand politisch geduldet" zu haben. Zudem erinnerte die CDU-Politikerin daran, die jetzt anstehende Rodung eines 200 Hektar großen Waldstücks sei 2016 von der damaligen Landesregierung aus SPD und Grünen erneut per Leitentscheidung bestätigt worden. Tatsächlich erklärte der Chef der SPD-Fraktion, Thomas Kutschaty, eine Stunde später während einer Pressekonferenz, das Vorgehen der Landesregierung sei zwar "juristisch kreativ, aber rechtlich vertretbar".

Manche Besetzer werfen Beutel voller Fäkalien auf die Beamten

Tatsächlich wird der Braunkohle-Tagebau im NRW-Landtag von einer Mehrheit aus CDU, FDP und SPD sowie neuerdings AfD unterstützt. Nur die Grünen fordern den Kohleausstieg. Im aktuellen Streit um den Hambacher Forst müssen es sich grüne Politiker regelmäßig gefallen lassen, dass sowohl Ministerpräsident Armin Laschet wie auch linke Klimaaktivisten ihnen den Kompromiss mit der SPD aus dem Jahr 2016 vorhalten. Damals hatte ein Schutz für den Hambacher Forst keine Rolle gespielt. Am Freitag sagte die grüne Abgeordnete Wibke Brems, man habe damals dem Koalitionspartner SPD nur eine Verkleinerung des Tagebaus Garzweiler abringen können. "Mehr war einfach nicht drin." Am Freitag forderten die Grünen, Regierungschef Laschet solle eine neue Leitentscheidung vorbereiten für ein Rheinisches Revier ohne Braunkohle.

Im Hambacher Forst rückten Hundertschaften der Polizei an mehreren Stellen tief in den Wald vor. Etliche Beamte mussten weiße Schutzanzüge anlegen, da sie von Besetzern mit Beuteln voller Fäkalien beworfen und aus Kübeln mit Urin überschüttet wurden. Insgesamt 17 Menschen wurden in Gewahrsam genommen. Am Nachmittag legte die Polizei in einem der ältesten Camps unter einer Hütte einen Stollen frei. In dem Erdloch hatte sich ein Klimaaktivist angekettet. Die Besetzer hatten versucht, auf diese Weise den Einsatz von schweren Kränen und Baggern zu verhindern, da der Stollen hätte einbrechen und die Besetzer verschütten können. Für Samstag haben Öko-Gruppen erneut zu Protesten aufgerufen. Unwahrscheinlich ist, dass die Polizei am Sonntag einen weiteren "Waldspaziergang" erlauben wird: Zuletzt waren mehr als tausend Menschen, unter ihnen Familien, in den Forst "spaziert".

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SZ vom 15.09.2018/ankl
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