Süddeutsche Zeitung

Hambacher Forst:"Hetzjagd gegen die Kohle"

Harald Louis, Betriebsrats­vorsitzender von RWE, verteidigt die geplanten Rodungen. Umweltschützern wirft er Erpressung vor.

Von Christian Wernicke

Der Streit im Hambacher Forst spitzt sich weiter zu. Am Montag protestierten Mitglieder der Kohlekommission, am Dienstag durchsuchte die Polizei ein Aktivistencamp. Harald Louis beklagt in der Auseinandersetzung psychische Gewalt, die "Angst um Leib und Leben" schüre.

SZ: Herr Louis, Sie demonstrieren in Berlin für Ihre Jobs - und warnen in einem Alarmbrief an Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Umweltministerin Svenja Schulze, die Braunkohle im Rheinischen Revier einer "kurzfristigen Symbolpolitik" zu opfern. Was genau meinen Sie?

Harald Louis: Wir befürchten, dass unsere Gegner die Kommission "Wachstum, Beschäftigung, Strukturwandel" nutzen wollen, um den Tagebau am Hambacher Forst zu stoppen. Das ist aus meiner Sicht Erpressung.

Wer sind diese Gegner?

Ich meine jene Umwelt- und Naturschutz-verbände, die jetzt drohen, sie würden aus der Kommission ausscheiden, falls es kei-nen Rodungsstopp im Hambacher Forst gibt. So kann man in einem Rechtsstaat doch keine Politik machen. Das Unternehmen RWE hat alle rechtlichen Vorgaben erfüllt, alle Ampeln stehen für die Rodung auf Grün. Die Rodung ist legal, vom Gericht geprüft - und absolut notwendig für die Energieversorgung.

Die Grünen, aber auch SPD-Umweltministerin Schulze appellieren an Sie: Wie bei Tarifverhandlungen solle während der Verhandlungen der Kohlekommission eine Friedenspflicht herrschen - und die Rodung per Moratorium vertagt werden.

Der Vergleich hinkt. Die Kommission hat nicht über die Rodung im Hambacher Forst zu beraten - das ist längst entschieden. Da werden Dinge vermengt, die nichts miteinander zu tun haben. Ein solches Moratorium hätte ja die Auswirkung, dass der Tagebau zum Stillstand kommt. Das bedroht die Arbeitsplätze der Kolleginnen und Kollegen - und es gefährdet die sichere Energieversorgung im Land. Mit der Kohle aus Hambach werden 15 Prozent des Stroms in Nordrhein-Westfalen produziert. Wenn Sie heute den Tagebau Hambach ohne Rechtsgrundlage stoppen, sind es morgen die Aluminiumhersteller und übermorgen die Chemieparks und Autowerke.

Und die Warnungen vor einem "Wackersdorf der Braunkohle" beeindrucken Sie nicht? Viele befürchten, falls die Bagger kommen, explodiert die Gewalt im Hambacher Forst.

Eine friedliche, demokratische Auseinan-dersetzung wünsche ich mir. Wir wissen auch, dass nur ein kleiner Teil der Waldbe-setzer gewalttätig ist. Aber es gibt einen harten Kern, der Steine und Molotow-Cocktails auf Polizisten wirft und auch un-sere Kollegen gefährdet. Unser Slogan heißt "Schnauze voll" - und damit meinen wir auch: "Schnauze voll von Gewalt!" Da werden nachts schwere Anker auf die Ober-leitung der Hambach-Bahn geworfen, die dann im Dunkeln die Scheiben der Lokomotive einschlagen. Unsere Zugführer haben Angst! Hier bin ich nur noch fassungslos. Bei der RWE-Hauptversammlung in Essen habe ich selbst gehört, wie Aktivisten im Saal dem Vorstand und dem Aufsichtsrat gedroht haben: "Wir wissen, wo ihr wohnt...". Für mich ist das psychische Gewalt, das schürt akute Angst, um Leib und Leben.

Angesichts von Klimawandel und Hitzesommer: Verteidigen Sie nicht die Ener-gie von gestern?

Ich leugne nicht den Klimawandel. Das be-haupten einige, die eine regelrechte Hetz-jagd gegen die Kohle betreiben. Wir haben eine andere Sichtweise. Selbstverständlich müssen wir mehr und mehr erneuerbare Energien nutzen. Nur sage ich auch: Wir sind Teil der Energiewende, vorerst braucht Deutschland Braunkohle, um den Übergang mit bezahlbarem und ständig verfügbarem Strom zu schaffen. Wir als Kohleverstromer haben unsere Ziele für die Senkung des CO₂-Ausstoßes bis 2020 erreicht. Die Ursache für die Zielverfehlung liegt nicht bei uns. Ich komme aus dem Tagebau Inden nahe Aachen...

... einem anderen Tagebau im Rheini-schen Revier.

Ja, und Inden wird 2030 ausgekohlt sein. Dann ist Schluss für den Tagebau und das Kraftwerk. Bis 2030 reduziert RWE seine Emissionen um gut die Hälfte. Wir haben einen konkreten, von Politik und Behörden genehmigten Fahrplan im Revier - aber daran rüttelt man jetzt. SPD und Grüne als Landesregierung haben noch 2016 den Tagebau Hambach bestätigt, inklusive Rodung. Wieso soll das nicht mehr gelten?

Sprengstoff im Wald

Die Kohlekommission sollte den Streit um den Hambacher Forst eigentlich rasch abhaken. Nach längerer Diskussion erklärte Ronald Pofalla, einer der vier Vorsitzenden, die Sache vorigen Donnerstag für erledigt. Eine Mehrheit sehe keinen Zusammenhang zwischen geplanten Rodungen und dem Auftrag der Kommission. Schließlich habe die genug zu tun, den Strukturwandel in den Regionen ordentlich zu erledigen. Basta. Basta? Am Mittwoch trat das Gremium aus Politik, Gewerkschaften, Wirtschaft und Umweltgruppen abermals zusammen, diesmal sollten unter anderem die Stromkonzerne dort Rederecht erhalten. Doch vor dem Treffen flammte der Kampf um den Wald wieder auf. Beschäftigte aus dem Rheinischen Braunkohlerevier waren nach Berlin gekommen, um gegen teils gewaltsame Proteste im Hambacher Forst zu protestieren. Umweltschützer wiederum verlangten: "Retten statt roden." Der Wald zwischen Köln und Aachen bestimmt zunehmend die Begleitmusik zur Kommission. Und er beherrscht zunehmend auch die Schriftwechsel rund um die Arbeit des Gremiums. Am Mittwoch wandte sich Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), selbst Mitglied der Bergbaugewerkschaft IG BCE, an deren Chef Michael Vassiliadis. "Wenn diese Frage für einen Teil der an diesem Prozess beteiligten eine hohe - symbolische - Bedeutung hat, dann sollten wir alle dies ernst nehmen", schrieb sie. Zuvor hatten Umweltgruppen angekündigt, im Falle von Rodungen die Kommission zu verlassen. "Das darf niemandem in der Bundesregierung egal sein", schrieb Schulze. Michael Bauchmüller

Weil die Ziele des Pariser Klimagipfels eine schnellere Wende verlangen.

Wir leisten längst unseren Beitrag, wir re-duzieren unsere Emissionen. Und wir sind zugleich die Brücke zur gelungenen Ener-giewende nach dem Ausstieg aus der Kern-energie. Die Kommission sollte jetzt die-sem Strukturwandel vernünftige Leitplan-ken setzen für den weiteren Weg - ohne ideologische Scheuklappen und sozialver-träglich.

Und für Ihren sozialverträglichen Strukturwandel müssen die Bäume im Hambacher Forst fallen?

Ja - die Bäume im Hambacher Forst müssen gerodet werden für die Bereitstellung von preiswertem und verfügbarem Strom. Sie müssen weichen für den Tagebaufortschritt und zuletzt auch für die Herstellung der zukünftigen sicheren Endböschungen. Es geht um Sicherheit, Verlässlichkeit und auch einen verantwortbaren sozialverträg-lichen Strukturwandel im Rheinischen Braunkohlerevier.

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Quelle:
SZ vom 30.08.2018
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