Hambacher Forst:Die letzte Chance des Waldes

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  • Der Energiekonzern RWE will vom 1. Oktober an die nächsten 100 Hektar des Hambacher Forsts roden lassen, um dort Braunkohle für seine Kraftwerke zu gewinnen.
  • Umweltaktivistien demonstrieren - auch, weil das Ende des Kohlestroms absehbar ist.
  • Noch deckt die Kohle aus Hambach 15 Prozent des Energiebedarfs in Nordrhein-Westfalen.

Von Benedikt Müller, Düsseldorf

Vom uralten Hambacher Forst ist wahrlich nicht viel übrig. Einst wucherten Buchen und Eichen auf 4100 Hektar, heute misst der Wald, gut 30 Kilometer westlich von Köln gelegen, nur noch etwa 200 Hektar. Denn unter ihm schlummert Braunkohle, die der Energiekonzern RWE aus der Tiefe holt, um sie in seinen Kraftwerken zu verfeuern. Da die großen Schaufelradbagger immer näher an den Wald rücken, will RWE vom 1. Oktober an die nächsten 100 Hektar roden lassen.

Das ist legal, aber äußerst umstritten. Vor zwei Jahren hat die damalige, rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf entschieden, dass der Tagebau bis in den Forst vorrücken darf. Umweltverbände versuchen bis heute vergeblich, vor Gericht gegen diese Leitentscheidung vorzugehen. Sie verweisen auch auf geschützte Tierarten wie die Bechsteinfledermaus, den Springfrosch oder die Haselmaus, die in dem Wald leben. Ein letzter Prozess zeichnet sich am 14. Oktober vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster ab, dem höchsten Gericht Nordrhein-Westfalens.

Andere Staaten wollen schon 2025 aus der Kohleverstromung aussteigen

Keiner der Beteiligten bestreitet mehr, dass ein Ende der Braunkohleverstromung in Deutschland absehbar ist. "Die einzige Diskussion ist: Wie schnell muss es gehen?", sagte selbst der Chef der RWE-Kraftwerkssparte Generation, Roger Miesen, in dieser Woche auf dem Energiekongress des Süddeutschen Verlages. Denn bei keinem Energieträger fallen pro Kilowattstunde Strom so viele CO2-Emissionen an wie bei der Braunkohle. Und je mehr Ökostromkraftwerke ans Netz gehen, desto weniger Kohlestrom braucht es noch.

Hambacher Forst
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Die Räumung des besetzten Hambacher Forsts könnte schwierig werden, weil Baumhäuser der Aktivisten sich zum Teil in 20 Metern Höhe befinden. Die Polizei geht mit schwerem Gerät vor.

Daher lässt die Bundesregierung derzeit eine Kohlekommission diskutieren, wann Deutschland aus der Kohleverstromung aussteigen kann. Staaten wie Großbritannien haben bereits ein Ende im Jahr 2025 angekündigt. Will RWE der politischen Entscheidung zuvorkommen, wenn der Konzern Bäume in Hambach nun unwiederbringlich roden lässt?

Diesen Vorwurf weisen die Essener zurück. Schließlich solle die Kommission den langfristigen Kohleausstieg in Deutschland besprechen, nicht das kurzfristige Schicksal eines Waldstücks. Auch hat RWE bereits Kraftwerksblöcke vom Netz genommen, da die Preise für CO2-Emissionsrechte steigen. Doch deckt die Kohle aus Hambach mit den nahen Kraftwerken Neurath und Niederaußem noch immer etwa 15 Prozent des Strombedarfs von Nordrhein-Westfalen. Der Konzern warnt, dass die Stromversorgung nicht mehr sicher wäre, falls Deutschland nach der Kernenergie auch allzu schnell aus der Kohleverstromung aussteigen sollte.

Angst vor Stromknappheit haben Experten nicht

Dieses Risiko weisen Wissenschaftler zurück. "Die Versorgungssicherheit ist aktuell aus unserer Sicht nicht gefährdet", sagte Andreas Löschel, Energieökonom der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, auf dem SV-Energiekongress. Doch dürfte Strom teurer werden ohne die heimische Braunkohle, die in längst abgeschriebenen Kraftwerken billig verfeuert werden kann. Dies würde Industrien wie der Stahl- oder Aluminiumbranche schaden, die viel Strom benötigen. RWE verweist zudem auf 4600 eigene Beschäftigte im Tagebau Hambach und den angeschlossenen Kraftwerken. Obendrein könnte die von langer Hand geplante Renaturierung teurer werden, wenn man einen Tagebau viel früher schlösse als gedacht.

Am Dienstag versuchte RWE noch, einen letzten Kompromiss mit Umweltverbänden zu schließen: Der Konzern wollte prüfen, ob man den Hambacher Forst erst von Mitte Dezember an roden könnte. Dies sei der "theoretisch spätestmögliche Termin", teilte RWE mit, damit der Tagebau pünktlich voranschreiten könnte. Doch seien die Umweltschützer nicht bereit gewesen, die Rodung im Winter zu akzeptieren, heißt es in Essen. "Damit bleibt es bei dem derzeit geplanten Rodungsbeginn ab Mitte Oktober." Und damit weicht ein jahrhundertealter Wald bald für eine Technologie, die mit Glück noch 20 Jahre vor sich hat.

© SZ vom 14.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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