Hamas: Krieg gegen Israel:Leben und Sterben für ein Feindbild

Terror und Unbarmherzigkeit im Kampf gegen Israel, karitatives Wirken für die Palästinenser - so wurde die Hamas groß. Den heutigen Freitag erklärte sie zum "Tag des Zorns" - und will dafür selbst die verfeindete Fatah ins Boot holen.

Gökalp Babayigit

Die Hamas ruft zum Volksaufstand. Die radikal-islamische Organisation erklärte den heutigen Freitag zu einem "Tag des Zorns". Alle Palästinenser sind aufgefordert, nach dem traditionellen Freitagsgebet gegen die Angriffe Israels zu protestieren.

Hamas in Palästina

Die grüne Flagge, das Symbol für die Hamas.

(Foto: Foto: AP)

Auch die verfeindete Fatah ist Adressat des Appells. "In solchen Zeiten muss man einig sein", sagte der Vizechef des Hamas-Politbüros, Mussa Abu Marsuk und forderte Präsident Mahmud Abbas zum Einlenken auf. "Wir sagen ja zum Dialog (mit Fatah)", sagte der Vizechef.

Die palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah hat unterdessen alle nicht genehmigten Demonstrationen verboten. Aus Furcht vor Gewaltausbrüchen nach dem Freitagsgebet hat die israelische Armee auch das Westjordanland abgeriegelt. Zugang zum Tempelberg sollen außerdem nur Männer bekommen, die älter sind als 50 Jahre, in Ostjerusalem leben oder einen israelischen Ausweis haben.

Mit solchen Maßnahmen, die die Symptome bekämpfen, ist dem Konflikt freilich nicht beizukommen. Die Grundfrage lautet: Wie soll Israel mit einer Organisation verhandeln, die sich die Auslöschung just dieses Staats in die Gründungs-Charta geschrieben hat?

Die Ratlosigkeit in der Frage nach dem richtigen Umgang mit der Hamas ist ein Grund dafür, warum israelische Kampfjets Bomben über dem Gaza-Streifen abwerfen. Denn von einem Treffen am Verhandlungstisch erwartet sich Israel gar nichts - dabei gehört die Hamas einst zu jenen palästinensischen Organisationen, die von Israel unterstützt wurden.

Vor Ausbruch der ersten Intifada 1987 gilt die ägyptische Muslimbruderschaft, die auch im Westjordanland und im Gaza-Streifen vertreten war, als Gegenpol zur weltlich orientierten PLO, der Organisation von Jassir Arafat. Die Muslimbrüder waren gewissermaßen der Vorläufer der Hamas.

Wenige Tage nach Beginn der Intifada wird dann die Hamas gegründet, die "Bewegung des islamischen Widerstands" - eine Reaktion auf die Rücksichtslosigkeit, mit der die PLO und Israel den Gaza-Streifen verkommen lassen.

Arafat konzentriert sich damals auf das Westjordanland, während Israel eine direkte Verbindung zwischen den zwei Gebieten unterbindet - der Gaza-Streifen ist damals wie heute dazu verdammt, das Armenhaus der Palästinenser zu sein. Dort drängen sich auf nur 360 Quadratkilometern 1,5 Millionen Menschen, vier von fünf leben unter der Armutsgrenze. Ein perfekter Nährboden für radikale Ideen.

Wohlfahrtsorganisation für die geschundenen Palästinenser

Mit der Intifada kommt es zum Umdenken in der Muslimbruderschaft. 1965 hatte sie sich noch von der bewaffneten Fatah-Bewegung distanziert - 1987 jedoch schreibt die aus ihr hervorgegangene Hamas den Kampf mit Waffen gegen Israel in ihre Charta. Jegliches Existenzrecht wird dem jüdischen Staat bis heute verweigert.

Bis dahin versteht sich die Hamas als Wohlfahrtsorganisation für die geschundenen Palästinenser - was es Israel anfangs erleichtert, sie zu unterstützen. Jerusalem wollte den Alleinvertretungsanspruch der PLO um Jassir Arafat angreifen und suchte daher nach populären Alternativen. Damals war Arafat ein "Erzterrorist"; 1994 erhielt er dann für seine Friedensbemühungen gemeinsam mit dem damaligen israelischen Premierminister Jitzchak Rabin und dessen damaligen Außeminister Schimon Peres den Nobelpreis.

Mit der Errichtung von Krankenhäusern und Armenküchen sichern sich die Islamisten die Sympathien der Bevölkerung. Dass sich das radikale Gedankengut weiter verbreitet, dafür sorgen von der Hamas geschaffene Schulen und Kindergärten. Das Geld fließt aus dem Ausland. Zu den Sponsoren gehören neben den Staaten Iran und Syrien auch die Hisbollah. Die Schiiten-Miliz hat mit der sunnitischen Miliz einen großen gemeinsamen Nenner: den Judenstaat Israel auslöschen.

Ein Inbegriff des Terrors

Schnell wird die radikalislamische Hamas zum Inbegriff des Terrors - durch ihre Brutalität. Den namengebenden "islamischen Widerstand" definiert sie dabei nicht nur als Widerstand in den von Israelis besetzten Gebieten - nein, der gesamte Staat Israel wird als nicht akzeptierbare Besatzung gesehen.

Der immer tiefer gehende Graben zwischen der PLO und der Hamas wird deutlich sichtbar, als Jassir Arafat und Israels Premier Rabin 1993 die gegenseitige Anerkennung Israels und der PLO beschließen - für die Hamas ein Verrat.

Die erste Intifada mag mit der Unterzeichnung des Vertrags von Oslo beendet worden sein, für die Hamas begann 1994 trotzdem eine neue Phase in ihrem Kampf gegen Israel. Eine neue, grausame Qualität erreichen ihre Aktionen, als sich in dem Jahr erstmals Selbstmordattentäter in die Luft jagten. Zwei Jahre später wurden innerhalb von acht Tagen bei einer Serie von vier Bombenanschlägen mindestens 60 Israelis getötet.

Galt die erste Intifada als ihre Geburtsstunde, nahm die Hamas in der zweiten Erhebung ab 2000 eine führende Rolle ein. Knapp fünf Jahre dauert der gewaltsame Aufstand der Palästinenser, an dem sich auch die Fatah und andere palästinensische Organisationen beteiligten.

In dieser Zeit zählen die Israelis mehr als 20.000 Anschläge, darunter mehr als 130 Selbstmordanschläge. Etwa 1000 Israelis fallen dem Terror zum Opfer; auf palästinensischer Seite sind es 3300 Tote: Darunter großteils Zivilisten und - nach israelischen Angaben - knapp 950 Terroristen, die teilweise gezielt von der israelischen Armee getötet werden. Der im Rollstuhl sitzende Hamas-Gründer und geistige Führer der Bewegung, Scheich Ahmed Jassin, wird 2004 liquidiert.

Die gezielten Tötungen bringen Israel harsche Kritik ein. Auch während des aktuellen Krieges im Gaza-Streifen bombardiert Israel gezielt Häuser von Hamas-Führern - allerdings mit dem Verweis auf Waffenlager.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie die Hamas zu großer Popularität gelang.

Leben und Sterben für ein Feindbild

Ihr kompromissloser und grausamer Krieg gegen Israel verleiht der Organisation hohe Popularität, so dass sie von 2004 an offen nach der Macht strebt: Sie will Arafats Fatah den Rang als wichtigste Vertretung der Palästinenser streitig machen. Die Hamas beteiligt sich Anfang 2005 an Kommunalwahlen - und fährt eindrucksvolle Siege ein.

Auch der Abzug israelischer Truppen aus dem Gaza-Streifen münzt die Hamas zu ihrem Erfolg um - ein Erfolg, mit dem die Welt, insbesondere die Europäische Union, Israel und die USA, nicht zurecht kommen. Der Triumph bei der palästinensischen Parlamentswahl 2006 manövrierte die Autonomiebehörde ins politische Abseits, EU-Zahlungen wurden gestoppt.

Das Motto: Mit der Hamas, die an ihrem Ziel der Auslöschung Israels weiter festhält, ist keine Zusammenarbeit möglich oder gewollt.

Indiz für tiefe Zerrissenheit

Auch als die zwei mittlerweile offen verfeindeten Parteien Fatah und Hamas eine Einheitsregierung bilden, kann einen bewaffneten Konflikt der beiden nicht verhindern. 2006 kommt es zum "Bruderkampf": Die Hamas übernimmt putschartig die Macht im Gaza-Streifen.

Die Aufteilung der Macht - die Fatah regiert im Westjordanland, die Hamas im Gaza-Streifen - ist fortan ein Indiz für die Zerrissenheit des palästinensischen Volkes.

Ungeteilte Popularität genießt die Hamas, einmal an der Macht und wegen politischer Unbedarftheit und internationaler Isolation zum Misserfolg verdammt, unter allen Palästinensern lange Zeit nicht.

Im vergangenen Jahr, während der Feierlichkeiten zum 20-jährigen Bestehen, mobilisierte die Hamas noch einmal ihre Anhänger. Hunderttausende verwandelten den Platz in ein grünes Fahnenmeer, es dominierte die Farbe der Islamisten.

Ex-Premier Ismail Hanija rief "den Tag des Dschihad, des Widerstands und des Aufstands" aus. Und Hamas-Chef Chaled Meschal meldete sich aus seinem Exil in Damaskus und verkündete, seine Organisation sei zu einer dritten und einer vierten Intifada in der Lage.

Für manche hat der nächste Aufstand nun schon begonnen - diesmal mit der Hamas in der Hauptrolle und der Fatah als skeptischen Beobachter. Es deutet jedoch alles darauf hin, dass Israel die radikalislamische Organisation vollständig zerschlagen und die Fatah im Gaza-Streifen wieder an die Macht bringen will. Die Bodenoffensive ist nur eine Frage der Zeit.

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