Süddeutsche Zeitung

Synagogen:Wie sich jüdische Gemeinden gegen Angriffe schützen

  • Die Schutzmaßnahmen der Synagoge in Halle haben sich offenbar bewährt.
  • Der Fall zeigt, dass die aufwendige Sicherung von jüdischen Einrichtungen nötig ist.
  • Für viele Gemeinden stellt der Schutzbedarf eine finanzielle Belastung dar.

Von Matthias Drobinski

Wer eine Synagoge besuchen will, ein jüdisches Gemeindehaus, einen Kindergarten, eine Schule, der merkt: Jüdisches Leben in Deutschland ist auch heute gefährdet, fast 75 Jahre nach dem Judenmord der Nationalsozialisten - und es ist, so spüren es viele Juden, zunehmend gefährdet.

Man kann deshalb nicht einfach in eine Synagoge gehen oder ein jüdisches Gemeindehaus. Man muss an den Pollern vorbei, die verhindern, dass ein Auto oder Lkw in den Eingang rasen kann. Dann passiert man die Polizeiposten vor der Tür, wirft einen kurzen Blick auf die Kameras und Alarmanlagen. Es kommt die Sicherheitsschleuse, wo sich die eine Tür immer nur öffnet, wenn die andere geschlossen ist, die Anmeldung bei den Sicherheitsleuten hinter dem Panzerglas, die Taschenkontrolle, der Gang durch den Metalldetektor, danach ist man herzlich willkommen. Für die meisten Gemeindemitglieder, die Beter in der Synagoge, die Eltern, die ihre Kinder aus dem Kindergarten abholen, ist das Alltag; manchmal unterziehen sie sich der Prozedur mit einem ironischen Lächeln, der die Beklemmung überspielt, die Besucher von außen überkommt.

In Halle hat sich nun gezeigt, dass dieser aufwendige Schutz nicht übertrieben ist und keiner Paranoia entspringt. Ein Bewaffneter versuchte, in die dortige Synagoge einzudringen, wo 70 bis 80 Gläubige Jom Kippur feierten, den höchsten jüdischen Feiertag. Die Türen des Gebetshauses hielten den Schüssen und dem Sprengstoff des Täters stand; auch das Schloss, das den Weg über den jüdischen Friedhof sicherte, widerstand seiner Attacke. Die Sicherheitsvorkehrungen der Gemeinde haben an diesem Mittwoch ein Blutbad verhindert. Die Hallenser Polizei war zu dem Zeitpunkt allerdings nicht bei der Synagoge, trotz des hohen Feiertags, wie der Zentralrat der Juden in Deutschland kritisierte: "Diese Fahrlässigkeit hat sich jetzt bitter gerächt."

Die Tat von Halle ist nicht die einzige Attacke auf eine Synagoge in jüngster Zeit: Am Freitag erst hatte in Berlin ein 23-Jähriger die Absperrung zur Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße überstiegen, ein Messer gezückt und war auf die Mitarbeiter des Objektschutzes zugelaufen; die überwältigten den arabisch sprechenden Mann mit Pfefferspray. Als der bereits einen Tag nach der Attacke auf freien Fuß kam, kritisierte Josef Schuster, der Zentralratspräsident, dies als fahrlässigen Umgang mit einem Anschlagsversuch.

Berlin und München können sich einen Wachdienst leisten

Für die jüdischen Gemeinden ist dieser Schutzbedarf auch finanziell belastend. Die Kosten für den Polizeischutz trägt das jeweilige Bundesland, für den Objektschutz gibt es Zuschüsse, doch teilweise müssen die Gemeinden selber für ihre Sicherheit zahlen. Große Gemeinden wie Berlin und München können sich einen Wachdienst leisten, der in München wie in Berlin aus Israel kommt und für den vor allem ehemalige Armeeangehörige arbeiten - keine Geheimdienstler, wie man betont. Kleinere Gemeinden aber können diesen enormen Aufwand nicht finanzieren.

Und so veranstaltet die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland Seminare zur "Security in jüdischen Gemeinden"; geübt wird "ein effektiver Gebäudecheck, Personen- und Taschenkontrolle und der Umgang mit aggressiven Personen (Störern)", zudem "Grundlagen der Selbstverteidigung und Eigensicherung". Ein Film über einen Anschlag soll zeigen, wie Attentäter vorgehen. Die Gefahr ist Alltag für Juden in Deutschland.

Die Polizei hat nun in vielen Bundesländern die Sicherheitsvorkehrungen vor jüdischen Einrichtungen verstärkt.

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SZ vom 10.10.2019/saul
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