Süddeutsche Zeitung

Halle-Prozess:Judenhass des Attentäters war Umfeld bekannt

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Bevor Stephan B. den Anschlag auf die Hallenser Synagoge verübte und zwei Menschen tötete, zeigte er seine Gesinnung bereits in seinem Umfeld. Im Prozess wird klar: Auch die Mutter äußerte sich antisemitisch.

Von Oliver Das Gupta, Magdeburg

Am dritten Prozesstag gegen den rechtsterroristischen Attentäter von Halle/Saale wird es für den Angeklagten mehrmals besonders unangenehm. Die Rechtsanwälte der Nebenkläger befragen den Rechtsextremisten, der am 9. Oktober 2019 in der Synagoge ein Massaker anrichten wollte und zwei Menschen erschossen hat.

Oft versucht der 28-Jährige, in seinen Antworten sein von Antisemitismus, Rassismus und Homophobie geprägtes Weltbild auszubreiten. Da wirkt Stephan B. am sichersten und sieht den ihm gegenübersitzenden Nebenklägern in die Gesichter. Doch die Anwälte finden Druckpunkte, die ihn ärgern, manchmal wird er regelrecht ungehalten.

Da ist etwa die Nebenklagevertreterin, die aus Ermittlungsakten zitiert, wonach er eine kinderpornographische Seite angesteuert hat. "Da hat man einmal durchgeguckt", meinte er, er habe im Darknet eigentlich nach etwas Anderem gesucht. Vorher sagte er, kein Mensch wolle doch, dass die Behörden wissen, welche Seiten man im Internet besucht.

Besonders trifft den glatzköpfigen Angeklagten, als man ihn anspricht auf mögliche Mitwisser seiner Gesinnung. Zuerst beteuert Stephan B., er habe "ziemlich sicher" mit niemandem über seinen kruden Hass gesprochen, auch nicht mit der Familie. Diese Aussage passt zu dem, was die Sicherheitsbehörden in Sachsen-Anhalt vor dem Anschlag über den Mann wussten: nichts.

Stephan B., ein Einzeltäter, sozial isoliert, wortkarg, er lebte in seinem Kinderzimmer und grüßte auf der Straße nicht. Es ist eine für Polizei und Verfassungsschutz auch ein Stück weit erleichternde Erklärung.

Tatsächlich wird an diesem Dienstag im Landgericht Magdeburg aber klar, dass der Hass und die Gefährlichkeit von B. schon vor seinem versuchten Massenmord offensichtlich war - zumindest in seinem Umfeld. Mehrere Anwälte der Nebenklage konfrontieren den Attentäter mit Aussagen, die er in den Jahren vor der Tat gemacht hat.

Der Angeklagte stammelt von Alkohol

Es sind die furchtbaren, immer wiederkehrenden Sprüche der extremen Rechten: "Die scheiß Juden sind an allem schuld", "Ausländerpack", "scheiß Ausländer" und ähnliche seiner Aussagen werden ihm vorgehalten. "Er hat Hass auf alle Ausländer - vor allem auf Juden", hat seine Schwester zu Protokoll gegeben. Stephan B. leugnet die Zitate nicht, aber sie verunsichern ihn offensichtlich, er fühlt sich unter Rechtfertigungsdruck. Er stammelt von Alkohol und immer wieder davon, dass ihm wohl ein Spruch "rausgerutscht" sei.

Regelrecht wütend macht ihn, als eine Rechtsanwältin seine sozialen Kontakte abfragt: Wer sei Maximilian aus Cottbus? Lara aus Aschersleben? Und Andrea aus Halle, Viktoria aus Aschersleben und Viktoria aus Bernburg? "Ich beantworte Ihnen keine weiteren Fragen", schleudert B. der Anwältin entgegen.

Der Angeklagte, der auf die Frage, ob er Nazi sei, nur schmunzelnd "kein Kommentar" antwortet, ist bemüht, den Verdacht von seiner Familie zu lenken. Mit denen habe er nie über politische Themen diskutiert, behauptet er. Er habe in seiner Jugend die "typischen Werte der BRD" vermittelt bekommen, und als Beispiele fügt er hinzu: "Freundlich sein" und "anderen mit Respekt begegnen". Von diesen Werten grenzt er sich ab: "Ich habe ganz offensichtlich andere entwickelt." Man merkt: Er will seine Mutter schützen.

Doch dann verliest die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens den Brief, den Stephan B.s Mutter unmittelbar nach der Tat ihres Sohnes vor einem Suizidversuch geschrieben hatte. Es sind sechs Seiten voller Wut, Verzweiflung - und Antisemitismus. "Dieser Staat hat mich und Stephan so im Stich gelassen", schreibt die Mutter, sie habe ihn ins Leben zurückholen wollen. "Sie" hätten ihn "mir zerstört", heißt es weiter unten. Dann wird klarer, wen Stephan B.s Mutter offenbar meinte. Sie stellte eine Verbindung zu Juden her: "Sie fühlen, dass Juden freie Hand hatten." Und Stephan, ihr Sohn, "wollte nur eins, die Wahrheit."

Satzfetzen - und ein durchgestrichener Davidstern

Der Brief, der an ihre Schwester gerichtet war, endet mit Satzfetzen. "Sie lügen", heißt es einmal, "selbstgemachte Prophezeiung" und "die Juden". Dazu ein durchgestrichener Davidstern.

Stephan B., der sonst immer wieder bei Antworten grinst, sieht nun finster drein. Seine Mutter habe unter dem Einfluss von Medikamenten gestanden, so versucht der Rechtsextremist diese Aussagen zu erklären.

Allerdings hatte sie wenige Tage nach dem Anschlag bereits Journalisten gegenüber Sätze gesagt, die antisemitische Stereotype enthielten.

Hinsichtlich Stephan B.s Umfeldes bleiben viele naheliegende Fragen an diesem Tag offen: Mit wem zockte er seine Online-Spiele, von denen die Rede war. Wer schenkte ihm das Buch über Handfeuerwaffen zum Geburtstag, wenn doch angeblich niemand von seinen dunklen Phantasien wusste? Und wie reagierte seine Mutter, als er ihr die schriftliche Hinterlassenschaft des Attentäters zeigte, der im neuseeländischen Christchurch im März 2019 mehr als 50 Menschen ermordete, weil sie Muslime waren?

Möglicherweise gibt es Antworten am Mittwoch. Denn dann werden die Aussagen der Eltern von Stephan B. im Magdeburger Prozess erwartet.

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