Süddeutsche Zeitung

JVA Burg:Attentäter von Halle wollte sich mit selbstgebautem Gegenstand freipressen

Stephan B. hatte am Montag zwei Gefängnismitarbeiter in seine Gewalt gebracht. Dafür benötigte er laut der Anstaltsleiterin nur ein eingerolltes Papier, einen Bleistift und ein Stück Metall.

Zu der Geiselnahme in der JVA Burg, bei der der Attentäter von Halle am Montag zwei Mitarbeiter in seine Gewalt gebracht hatte, gibt es neue Erkenntnisse. Die Anstaltsleiterin Ulrike Hagemann berichtete am Mittwochabend im Rechtsausschuss des sachsen-anhaltischen Landtags, dass Stephan B. einen mutmaßlich selbstgebastelten Gegenstand verwendete, um die Beamten zu bedrohen und sich freizupressen. Sie habe ein gerolltes Blatt Papier gesehen, das mit einem Bleistift verstärkt gewesen sei, sagte Hagemann. Zudem soll sich daran ein Stück Metall befunden haben, das wie ein Scharnier von einem Schrank oder einem Klodeckel ausgesehen habe.

Vertreter von Innenministerium und Generalstaatsanwaltschaft erklärten, dass nun ermittelt werden müsse, ob der Gegenstand als Waffe geeignet war oder ob es sich nur um eine Attrappe gehandelt habe. Anstaltsleiterin Hagemann sagte, man habe die Bedrohung sehr ernst genommen. Alles andere wäre fahrlässig gewesen. Einem Beamten habe B. den Gegenstand "unmittelbar vor die Stirn gehalten", so Hagemann. Der Beamte habe gewusst, dass er einen der gefährlichsten Verbrecher Deutschlands vor sich habe, der zudem sehr "fantasiebegabt" sei.

Die Leiterin des Hochsicherheitsgefängnisses schilderte detailliert die Abläufe. Beim sogenannten Nachtverschluss habe der Gefangene einen JVA-Bediensteten überrumpelt und diesem den Gegenstand vor die Nase gehalten. Der Gefangene habe gesagt, "wir gehen jetzt raus". Der Beamte habe Angst um sein Leben gehabt und sei mit ihm nach draußen gegangen. Ein ausgelöster Alarm habe weitere Bedienstete hinzugerufen. Ein anderer Bediensteter habe ein Tor geöffnet, dann sei der Gefangene auf den Hof gelangt, wo er den zweiten Bediensteten als Geisel genommen habe. Als B. einen Moment unaufmerksam gewesen sei, hätten ihn weitere Kollegen überwältigt. Die Anstaltsleiterin lobte das Vorgehen der JVA-Bediensteten bei der Geiselnahme.

Bei seinem Anschlag in Halle nutzte er selbstgebaute Waffen

Bereits am Dienstag war der Attentäter und Geiselnehmer von den Ermittlern vernommen worden. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen. Ob sich der Gefangene zum Vorfall geäußert hat, ist bislang unbekannt. "Wir führen intensive Ermittlungen durch", sagte ein Sprecher des Landeskriminalamts (LKA). Der Halle-Attentäter ist derzeit weiter in einem besonders gesicherten Haftraum in der JVA Burg untergebracht. Eine Verlegung des Gefangenen in ein anderes Bundesland steht im Raum. Laut Justizministerium ist das nach einem solchen Vorfall ein übliches Vorgehen. Der Attentäter war im Dezember 2020 zu lebenslanger Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden - die höchstmögliche Strafe in Deutschland.

Bereits im Jahr 2020 versuchte Stephan B. aus dem Gefängnis auszubrechen. Damals ermöglichte eine ganze Serie von Pannen in der JVA Halle, dass der Attentäter unbemerkt über einen 3,40 Meter hohen Zaun klettern konnte und so in ein angrenzendes Gefängnisgebäude gelangte. Dort wurde er schließlich festgenommen, als er nach Ausgängen und Kanaldeckeln suchte, durch die er fliehen könnte.

Der Rechtsextremist Stephan B. hatte am 9. Oktober 2019, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, versucht, die Synagoge von Halle zu stürmen. Als es ihm nicht gelang, auf das Gelände zu kommen, ermordete er vor der Synagoge eine 40 Jahre alte Passantin und in einem nahe gelegenem Döner-Imbiss einen 20-Jährigen. Auf der Flucht verletzte er weitere Menschen. Für das Attentat in Halle hatte der Täter Waffen selbst gebaut. Anstaltsleiterin Hagemann sagte, im Gefängnis hätten die Insassen sehr viel Zeit und entwickelten viel Fantasie, wie sie Alltagsgegenstände umbauen und umnutzen könnten. Sie betonte, die Post des Attentäters und Geiselnehmers sei genau kontrolliert worden. Bei Besuchen sei sehr genau hingeschaut worden, um etwa Übergaben verbotener Gegenstände zu verhindern.

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