Anschlag von Halle:Die AfD hat den Attentäter in seinem Denken bestärkt

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Zwei Tage nach dem rechtsterroristischen Anschlag auf die Synagoge in Halle am 09. Oktober 2019 legt eine Frau Blumen vor dem Eingang ab. Ein Jahr nach dem Attentat wird wird mit Veranstaltungen und Gebeten der Opfer gedacht. (Foto: Jens Schlueter/Getty Images)

Das politische Denkmuster des Antisemitismus wird heute von niemandem so stark bewirtschaftet wie von der AfD. Wenn sich deren Politiker als Freunde der Juden gerieren, dann ist das bloße Show.

Kommentar von Ronen Steinke, Berlin

Ein Mann hat geschossen in Halle vor einem Jahr. Aber viele haben ihm vorher gut zugeredet. Ein Mann, 27 Jahre alt, stand allein vor der Synagoge, er hat dort Selbstgespräche geführt, so erschien es zumindest, und aus selbstgebauten Waffen auf die Holztür gefeuert. Aber viele haben ihn zuvor in der Vorstellung bestärkt, dass er genau zu einer solchen Gewalttat legitimiert wäre. Viele haben ihm diese Vorstellung nahegelegt und sie genährt. Und viele tragen deshalb in einem wenn auch nicht juristischen, so doch moralischen und politischen Sinne eine Mitschuld, aus der man sie ein Jahr danach nicht entlassen darf.

Sofort nach dem Anschlag ging es los mit den Bekundungen der Unschuld, der Herausgeber der Pegida-Zeitschrift Compact ergriff das Wort und beteuerte: Dieses "Monster", das in Halle zugeschlagen habe, gehöre auf keinen Fall zur "aktuellen" deutschen Rechten. Zu der Bewegung also, die aus Pegida, Identitärer Bewegung und völkischen Denkfabriken besteht, und einem parlamentarischen Arm, der AfD. Die neue Rechte im 21. Jahrhundert habe den Antisemitismus hinter sich gelassen. Sie sehe Juden - "in dieser geschichtlichen Epoche" - eher als Verbündete, nämlich gegen eine neue Bedrohung, den Islam.

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Dies schrieb der Chef eines Magazins, das gleichzeitig den französischen Präsidenten Macron als "Rothschilds Präsident" vorgestellt hat, das immer wieder von "Ostküsten-Establishment" und "Finanz-Vampirismus" schreibt, und das bis hin zu dem Vorwurf, Juden zögen einen "Nutzen" aus dem Holocaust, selten eine Gelegenheit auslässt, antisemitische Stereotype aufzurufen. So beteuert man Läuterung. Zugleich verschanzt man die weiterhin gepflegte Verachtung für Juden hinter camouflierenden Formeln, die doch jeder versteht, der sie verstehen soll.

Rothschild und Soros als Chiffre

Das ist schon die entscheidende Trennlinie innerhalb des rechtsradikalen Spektrums heute. Auf der einen Seite: die inzwischen eher alt aussehenden Herren in der NPD oder in den kleinen, ebenso alt aussehenden Ablegern Die Rechte oder Der III. Weg. In ihren Kreisen ist die Zeit in vielerlei Hinsicht stehen geblieben, junge Scharfgescheitelte stehen Schlange, um noch einmal 90-jährigen Holocaustleugnern lauschen zu können. Man marschiert mit Fackeln, dass es diesen 90-Jährigen warm ums Herz wird. Und grölt, ohne Rücksicht auf Verluste: "Wer Deutschland liebt, ist Antisemit."

Die modernen Rechtspopulisten arbeiten eher mit Andeutungen. Rothschild ist so eine Chiffre. George Soros ist eine weitere. Björn Höcke, Anführer des stramm völkischen Lagers innerhalb der AfD, hat eine Lieblingsformulierung, die er in Varianten immer wieder benutzt, wenn er den Inbegriff seines Feindbilds heraufbeschwört: "der völkerauflösende und als pervers zu bezeichnende Geist eines George Soros". Jener amerikanische Investor, der für linksliberale Projekte in Europa spendet, ist jüdisch. Das muss der AfD-Mann gar nicht aussprechen. Höckes Anhänger wissen, was gemeint ist.

Und gemeinsam stricken sie an der großen Erzählung, auf die auch der Attentäter von Halle sich berief. Es ist die Erzählung, dass die Einwanderung vieler Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten insgeheim von ein paar mächtigen Drahtziehern befördert werde. Soros, Rothschild, und so weiter. Sie nähmen keine Rücksicht darauf, dass Europa zerstört werde. Oder sie verfolgten sogar bewusst das Ziel eines "schleichenden Völkermords". Das ist ein Narrativ, das wohlgemerkt die Verteufelung von Juden genauso einschließt wie die Verachtung und Entmenschlichung von Muslimen. Beides gehört da zusammen.

Der Verschwörungsglaube wird stärker

Wenn AfD-Politiker sich nach außen hin heute als Freunde der Juden gerieren, wenn sie gar ein kleines Grüppchen "Juden in der AfD" ins Schaufenster stellen, dann ist das bloße Show. Deshalb, weil das so gewonnene politische Kapital sofort eingesetzt wird, um umso hemmungsloser gegen andere marginalisierte Gruppen der Gesellschaft agitieren zu können, denen man eine illegitime, heimliche Macht über die Mehrheit unterstellt. Das ist eine rhetorische Figur, die in Europa jahrhundertelang an Juden eingeübt worden ist und die denn auch immer wieder zu Juden hinführt.

Der Antisemitismus ist ein politisches Denkmuster, und das wird heute von niemandem so stark bewirtschaftet wie von der AfD. Ihr politisches Erstarken in den vergangenen Jahren hat das Leben für Jüdinnen und Juden beschwerlicher und, ja: auch physisch gefährlicher gemacht. Der Feind, das seien "globale Eliten" oder "Soros-Jünger", so drucksen AfDler herum. Hinter allen Übeln stehe "the Jew", so hat es der Attentäter auf die Synagoge in Halle kurz vor seiner Tat zusammenfassend in die Kamera gesprochen.

Dieser Verschwörungsglaube ist heute nicht schwächer, nur weil Rechtspopulisten stärker auf eine gesellschaftlich anschlussfähige Ausdrucksweise achten. Eher wird er dadurch sogar stärker.

© SZ vom 09.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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