Haitis Präsident Preval:Die Ohnmacht eines der letzten Mächtigen

Von einer alten Kaserne aus kämpft Präsident Preval gegen das Chaos - doch im Land haben, wie so oft in Haitis Geschichte, die USA das Sagen.

Sebastian Schoepp

In den ersten Stunden nach dem Erdbeben irrte Haitis Präsident René Préval genauso hilflos durch die Trümmer von Port-au-Prince wie seine Landsleute. Sein Palast war eingestürzt, sein Haus ebenfalls, auf dem Motorrad kurvte er durch die verwüsteten Straßen zum Flughafen, um von dort aus Kontakt zur Welt herzustellen. Doch das einsturzgefährdete Terminal war ungeeignet als Hauptquartier. Schließlich fand der Präsident Asyl in einer Polizeikaserne in der Nähe des Flughafens. Dort empfing er US-Außenministerin Hillary Clinton, dort tagt das Kabinett in einem Kreis aus Plastikstühlen. Nachts schläft der Präsident bei Freunden. Wenn er schlafen kann

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Einseitige Abhängigkeit: Haitis hilfloser Präsident Rene Preval (rechts) und US-Außenministerin Hillary Clinton

(Foto: Foto: Reuters)

Préval betont vor seinen Ministern immer wieder, wie wichtig es sei, jetzt nicht in gegenseitige Schuldzuweisungen auszubrechen, weil die Hilfe nicht schnell genug ankommt. Doch diese Regierung war schon vor dem Beben nur ein Schatten, finanziell und logistisch vom Ausland abhängig. Die öffentliche Ordnung hielten die Blauhelme der Vereinten Nationen aufrecht, die meisten von ihnen Brasilianer. Es war ihnen sogar gelungen, so etwas wie Ordnung herzustellen in den von Milizen umkämpften Armenvierteln, doch nun graben die Blauhelme nach ihren eigenen Toten.

2000 Polizisten hat Préval, aber die seien nur begrenzt einsatzfähig, gibt er selbst zu. Die Banden erobern ihr Terrain zurück. Zum Beweis seiner desolaten Lage zieht der Präsident vor Reportern gerne sein Blackberry-Telefon aus der Tasche. Kein Empfang. Eine koordinierte Arbeit ist kaum möglich, zumal diese Regierung obdachlos ist. "Der Justizpalast ist eingestürzt, der Nationalpalast ist eingestürzt, das Parlament ist eingestürzt, und die Ministerien auch", sagte Préval dem Miami Herald. Mehrere Senatoren sind tot.

Mit den Gebäuden aber seien auch die sichtbaren Symbole der haitianischen Staatsgewalt weggebrochen, sagt die First Lady, Elizabeth Préval. So wächst der Unmut über eine Regierung, die nun nicht mal mehr symbolisch sichtbar ist. "Nach dem 11.September sagte US-Präsident Bush, dass die Amerikaner ihr Land wieder aufbauen werden. Aber was tut unser Präsident? Er erzählt, dass auch die Regierung Schaden erlitten und er sein Haus verloren hat. Aber er spricht nicht zu den Menschen", schimpfte ein Haitianer einem Agenturreporter ins Mikrofon.

Doch wie sollte Préval sich ans Volk wenden? Die meisten Fernseher und Radios liegen unter Schutt begraben, ein öffentlicher Auftritt wäre womöglich lebensgefährlich. Ein großer Volksredner ist der 67-Jährige ohnehin nie gewesen, eher ein bedächtiger Mensch. Die Superlative an Opferzahlen, die einige seiner Minister noch in der Erdbebennacht hinausposaunten, wollte er nicht bestätigen: "Sagen wir, es ist zu früh, über Zahlen zu sprechen."

Aristides politischer Ziehsohn

Er tut derweil, was ausländische Helfer nicht tun könnten. Er trifft sich zum Beispiel mit Voodoo-Priestern, die gegen die Beisetzung der Opfer in Massengräbern protestieren. "Es entspricht nicht unserer Kultur, Menschen auf diese Art zu begraben", hielt der führende Priester Max Beauvoir dem Präsidenten vor. "Es fehlt der Respekt gegenüber der Würde dieser Menschen."

Das mag auf Europäer nebensächlich wirken, doch der Totenkult hat in Haiti enorme Bedeutung, manche Gräber sind größer als die Wohnhäuser. Nicht richtig bestattete Menschen können nach dem Voodoo-Glauben als untote Zombies zurückkehren.

Weil von solchen Treffen die Leute in ihren Zeltlagern aber nichts mitbekommen, schimpfen sie, viele rufen nach einer Rückkehr von Jean-Bertrand Aristide. Der frühere Armenpriester und Präsident wurde 2004 nach blutigen Unruhen abgesetzt - Aristide sagt, auf Betreiben der USA. Er lebt im Exil in Südafrika. Seitdem hatte das Land keine funktionierende Regierung mehr.

René Préval war Aristides politischer Ziehsohn. Er hat Aristide sogar bereits einmal die Rückkehr angeboten, was die UN verhinderten. So heißt Préval jetzt erst einmal andere Herrscher über Haiti willkommen: In einem Kommuniqué begrüßte er am Sonntag die Anstrengungen der USA als wesentlich für die Stabilität des Landes. 11.000 US-Soldaten sollen für Ordnung sorgen. Wie schon so oft in Haiti.

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