Kriminelle Banden :Haitis neuer Premier sagt dem Chaos den Kampf an

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Garry Conille (re.) nach seiner Vereidigung als Premierminister in Port-au-Prince. (Foto: Odelyn Joseph/DPA)

Der krisengeplagte Inselstaat soll endlich die übermächtige Bandengewalt eindämmen. Doch der Weg ist noch weit.

Von Benedikt Peters

Ist das nun ein Hoffnungsschimmer? Oder ist es bloß ein Feigenblatt, allenfalls geeignet, um das Chaos notdürftig zu überdecken? Der Krisenstaat Haiti hat eine neue Regierung, die 14 Mitglieder wurden über das haitianische Amtsblatt Le Moniteur bekanntgegeben.

Premierminister Garry Conille, seit Ende Mai im Amt, hat damit einen ersten Schritt getan auf einem Weg, der allerdings noch weit ist und an dem viele seiner Vorgänger scheiterten: Er soll endlich einen geordneten Weg aus dem Chaos finden, Wahlen organisieren und dafür sorgen, dass das Land endlich wieder ein vom Volk legitimiertes Staatsoberhaupt bekommt: einen Präsidenten.

Der Staatsapparat funktioniert nicht

Der Inselstaat Haiti sticht selbst in einer von häufigen Krisen geplagten Region negativ heraus. In vielen Ländern in Lateinamerika und der Karibik haben die Menschen mehr als anderswo zu kämpfen: In Mexiko, El Salvador oder Kolumbien grassiert die Furcht vor der Gewalt der Kartelle und Gangs; in Venezuela und Kuba sind immer wieder die Lebensmittel knapp oder viel zu teuer. Gemein aber ist allen diesen Staaten, dass die öffentliche Ordnung wenigstens im Prinzip intakt ist – es gibt einen Staatsapparat, der vielleicht seine Schwächen hat, der aber zumindest einigermaßen funktioniert.

In Haiti hingegen funktioniert dieser Staatsapparat nicht; dort sind selbst weite Teile der Hauptstadt Port-au-Prince dem Chaos anheimgefallen. Banden ziehen marodierend durch die Straßen, sie morden und vergewaltigen. Und sie fordern immer wieder den Staat heraus: Regierungsbildungen wurden immer wieder dadurch verzögert, dass die Banden potenzielle Kandidaten mit dem Tod bedrohten. 

Die Gefahr ist real, wie der Vorgang beweist, mit dem die jüngste der vielen großen Krisen Haitis begann. Im Juli 2021 überraschten bewaffnete Kriminelle den damaligen Staatspräsidenten Jovenel Moïse in seinem Schlafzimmer. Sie erschossen ihn vor den Augen seiner Ehefrau. Der Mord wird noch immer in verschiedenen Ermittlungsverfahren untersucht, in Haiti, aber auch im US-Bundesstaat Florida, wo es Anfang 2026 zum Prozess kommen soll.

Eine multinationale Truppe soll eingreifen

Seit dem Mord hat der Inselstaat keinen Präsidenten mehr, auch das Parlament arbeitet derzeit nicht, die Wahlen fielen aus. Im vergangenen Februar verschärften die Banden das Chaos noch weiter; mit einer Serie von Gewalttaten brachten sie das öffentliche Leben in Port-au-Prince zum Erliegen und hinderten so den damaligen Interims-Ministerpräsidenten Ariel Henry an der Rückkehr von einer Auslandsreise. Am Ende erpressten sie seinen Rücktritt.

Die Hoffnungen seines Nach-Nachfolgers Conille (vor ihm hatte der frühere Finanzminister Michel Patrick Boisvert übergangsweise die Führung des Landes übernommen) dürften nun auf den etwa 2500 Polizistinnen und Polizisten ruhen, die bald aus dem Ausland eintreffen sollen.

Sie sind Teil einer vom UN-Sicherheitsrat gebilligten Mission, die helfen soll, die Banden in Schach zu halten und die katastrophale humanitäre Lage der Bevölkerung zu verbessern. Der Start der Einsatztruppe wird Medienberichten zufolge allerdings von der kenianischen Regierung, die die Operation führen soll, immer weiter herausgeschoben.

Und so dürften die Haitianer noch lange von besseren Zeiten träumen; von Zeiten, die sie nur aus den Geschichtsbüchern kennen. 1804 erkämpfte sich Haiti die Unabhängigkeit, als erstes Land in der Region; es war ein Fanal für die lateinamerikanische Befreiungsbewegung, die danach enormen Schwung bekam. Aber das ist lange, sehr lange her.

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