Bei schweren Kämpfen zwischen Anwohnern, der Polizei und mutmaßlichen Bandenmitgliedern sind am Dienstag in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince und Umgebung mindestens 25 Menschen getötet worden. Bewohner des wohlhabenden Vororts Pétion-Ville hätten sich der Polizei angeschlossen, um einen nächtlichen Angriff bewaffneter Banden abzuwehren, teilte die Polizei am Dienstag mit. Ein Reuters-Reporter zählte mindestens 25 Leichen in Delmas, Canapé Vert und Pétion-Ville. Dort seien die Leichen mutmaßlicher Krimineller unter brennenden Autoreifen verbrannt worden.
Der stellvertretende Polizeisprecher Lionel Lazarre sprach von etwa 30 getöteten „Bandenmitgliedern“. „Die Bevölkerung stand in diesen Momenten an der Seite der haitianischen Nationalpolizei“, sagte Lazarre. „Wir werden weiter Hand in Hand arbeiten.“
Anwohner errichteten Straßensperren und verteidigten ihr Viertel teils mit Macheten und Hämmern gegen bewaffnete Männer, berichtete das Lokalradio. Anwohnerin Anara sagte Reuters, seit Mitternacht seien „bis an die Zähne bewaffnete“ Personen aufgetaucht, von denen man nicht wisse, wer sie geschickt habe. „Wir haben ihnen eine klare Antwort gegeben. Wir werden nicht gehen.“ Die Lokalzeitung berichtete von „Bwa Kale“-Szenen, bei denen Bürger verdächtige Bandenmitglieder lynchten und anzündeten.
Der UN-Sicherheitsrat wird sich am Mittwoch mit der Gewalteskalation befassen. Die UN zählte zwischen Juni und September mindestens 149 Fälle von Selbstjustiz und warnt vor Übergriffen auf Unschuldige. Die Banden in dem Karibikstaat werden für massive sexuelle Gewalt, Lösegelderpressung, die Rekrutierung von Kindern und die Blockade wichtiger Versorgungswege verantwortlich gemacht.
Ärzte ohne Grenzen stoppt Arbeit in Haitis Hauptstadt wegen Gewalt
Inmitten der dramatischen Lage in Haiti gab die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) bekannt, ihre Arbeit in der Hauptstadt Port-au-Prince und Umgebung ab Mittwoch einzustellen – wegen zunehmender Gewalt und Drohungen gegen ihre Mitarbeitenden. Die Organisation sei zwar an extreme Unsicherheit gewöhnt, aber wenn die Polizei selbst zur Bedrohung werde, habe man keine andere Wahl, als die Arbeit auszusetzen, sagte MSF-Missionsleiter Christophe Garnier am Dienstag.
Seit einem tödlichen Angriff auf einen ihrer Krankenwagen in der vergangenen Woche habe die Polizei wiederholt Fahrzeuge der Organisation angehalten und Mitarbeiter direkt bedroht, einige von ihnen mit dem Tode und mit Vergewaltigung. MSF werde die Arbeit erst wieder aufnehmen, wenn es Sicherheitsgarantien gebe. Die Polizei lehnte eine Stellungnahme ab.
Der Karibikstaat leidet unter Bandenkriminalität, Gewalt und Hunger. Die Banden haben das Machtvakuum nach der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse im Jahr 2021 gefüllt und kontrollieren weite Teile der Hauptstadt Port-au-Prince. Immer wieder kommt es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen und der Polizei sowie zu Selbstjustiz durch Bürgerwehren. Die Vereinten Nationen sprechen von einer noch nie dagewesenen Nahrungsmittelknappheit – etwa fünf Millionen Menschen leiden unter akutem Hunger.