Süddeutsche Zeitung

Hailemariam Desalegn in Berlin:Äthiopiens Premier wirbt um deutsche Investoren

Lesezeit: 3 min

Von Isabel Pfaff, Berlin

Im Februar wird in Addis Abeba vieles anders: 41 nagelneue Straßenbahnfahrzeuge werden dann durch die äthiopische Hauptstadt rollen; zunächst testweise, ab Mai mit Passagieren. Abgesehen von Südafrika wird dies die erste elektrische Stadtbahn im subsaharischen Afrika sein.

Hailemariam Desalegn, Äthiopiens Premierminister, lächelt. Er weiß, dass diese Nachricht wirkt. Immerhin regiert er ein Land, das nach Angaben der Vereinten Nationen zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt gehört. Die Stadtbahn ist ein Zeichen für den beeindruckenden Weg, den Äthiopien seit den verheerenden Hungersnöten der 1980er-Jahre zurückgelegt hat.

Die Armut hat deutlich abgenommen, die Wirtschaft wächst: 2013 um knapp zehn Prozent. Für 2014 und die kommenden Jahre werden robuste sieben Prozent erwartet - Zahlen, die deutlich über dem regionalen Durchschnitt von etwa fünf Prozent Wachstum liegen und die - anders als etwa in Nigeria oder Südafrika - nichts mit Bodenschätzen zu tun haben. Hinter dem Wachstum stecken staatliche Investitionen, hochwertige Exportprodukte wie Kaffee und Schnittblumen sowie ein kleiner, aber wachsender verarbeitender Sektor.

Bis 2025 soll Äthiopien zum middle income country, einem Land mit mittlerem Einkommen, werden. Dafür braucht die Regierung unter Premier Hailemariam deutsche Investoren. Für knapp drei Tage ist Hailemariam nach Berlin gekommen, um mit der Bundeskanzlerin und Vertretern der deutschen Wirtschaft über Kooperationen zu sprechen. "Die Asiaten sind längst da", sagt er der Süddeutschen Zeitung. "Jetzt wollen wir unsere Investorenbasis diversifizieren."

Die Regierung sucht nach weiteren Investoren

China - seit Jahren höchst aktiv in Afrika - soll nicht der einzige Wirtschaftspartner bleiben. Und es sieht gut aus: Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz rief Angela Merkel deutsche Unternehmen auf, sich das Potenzial afrikanischer Märkte nicht entgehen zu lassen. Sie kündigte an, deutsche Firmen in Äthiopien zu unterstützen. Schon am Tag darauf besprechen sich äthiopische Regierungsvertreter und deutsche Unternehmer in Grüppchen in der Lobby des Hotels, in der Hailemariams Delegation abgestiegen ist.

Der Premier ist ein leiser Mann. Er sagt selten "ich", lieber spricht er von "wir" oder der äthiopischen Regierung. Sein Auftreten unterscheidet sich deutlich von seinem Vorgänger Meles Zenawi, dem er 2012, nach dessen Tod, nachfolgte.

Heiteres Addis Abeba: Seit dem Ende des Kommunismus wächst die Wirtschaft in Äthiopien.

Stärkeres Engagement der deutschen Wirtschaft in Äthiopien: Dafür warb Premier Hailemariam während seines Berlin-Besuchs bei Angela Merkel.

Hailemariam folgte auf Meles Zenawi, der 2012 starb. Meles hatte in die schwache Infrastruktur investiert und die Modernisierung im Land gefördert.

Ein erster Schritt: Ab kommendem Frühjahr wird durch Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba eine neue Straßenbahn fahren.

Es wird die erste elektrische Stadtbahn sein, die in einem subsaharischen Land fährt - einmal abgesehen vom Ausnahmeland Südafrika.

Viele der am Bau beteiligten Arbeiter sind Chinesen, denn der Bau der Stadtbahn wird zu einem großen Teil von der China Railway Group durchgeführt.

Ein weiteres Großprojekt: Der Grand Ethiopian Renaissance Dam, ein Staudamm am Blauen Nil. Er soll ab 2017 das Energieproblem des Landes lösen.

Außenminister Steinmeier beim Besuch in Äthiopien. Zentrale Themen in den deutsch-äthiopischen Beziehungen sind Friedens- und Sicherheitspolitik.

Äthiopiens Haupstadt Addis Abeba ist der Sitz der Afrikanischen Union, einer Organisation, die sich für die Kooperation aller Bereiche einsetzen soll.

Geringere Armut, wachsende Wirtschaft: dahinter stecken staatliche Investitionen, hochwertige Exportprodukte und ein wachsender verarbeitender Sektor.

Meles, der aus dem Militär kommt, hatte zu jenem Verbund von Rebellengruppen gehört, der das Regime des kommunistischen Diktator Mengistu Haile Mariam 1991 stürzte. Mit nur 36 Jahren setzte sich Meles an die Spitze Äthiopiens, schloss viele ehemalige Mitstreiter von der Macht aus und machte das Land am Horn von Afrika praktisch zum Entwicklungsprojekt seiner Partei: Ähnlich wie China steuerte seine Regierung die Wirtschaft, investierte massiv in die schwache Infrastruktur und förderte die Modernisierung der Landwirtschaft. Das größte Projekt: der Grand Ethiopian Renaissance Dam, ein Staudamm am Blauen Nil, der von 2017 an eine Leistung von 6000 Megawatt erbringen und das Energieproblem Äthiopiens lösen soll.

Das staatlich gelenkte Entwicklungsmodell Äthiopiens weist noch in einem anderen Bereich Ähnlichkeiten zu China auf: Meles regierte das Land, wie es Soldaten oft tun - autoritär. Zwar hat die Regierungspartei EPRDF in der Bevölkerung aufgrund der Wirtschaftserfolge großen Rückhalt. Doch Regierungskritiker berichten von stasiartiger Überwachung, von eingeschränkter Meinungsfreiheit. 2005 gab es Straßenproteste der Opposition, die Meles' Sicherheitskräfte mit Gewalt erstickten. In dem heterogenen Land agieren außerdem mehrere Rebellengruppen - manche kämpfen für mehr Autonomie, manche für die Abspaltung. Die vier größten wurden kurzerhand zu terroristischen Vereinigungen erklärt; ihre (echten oder mutmaßlichen) Anhänger werden verfolgt.

Hailemariam ist Meles sehr ähnlich

Als Hailemariam nach Meles' Tod Premier wurde, werteten manche Beobachter dies als Chance. Denn der Ingenieur und Technokrat gehört nicht zu Meles' alter Rebellengarde, der man nachsagt, dass sie Regierung, Militär und Geheimdienste noch immer fest im Griff habe. Doch Hailemariam versprach in seiner ersten Rede, dass er die Agenda seines Vorgängers fortführen werde. Und auch jetzt, zwei Jahre später, sagt er: "Es gibt keinen Unterschied zwischen Meles und mir, außer dass wir zwei verschiedene Personen sind." Programm und Ideologie seien identisch.

Und wirklich: Angesprochen auf die jüngste Kritik von Amnesty International an Äthiopien blockt Hailemariam ab. Was Amnesty über die Unterdrückung des Oromo-Volkes berichte, seien Lügen, sagt er. Die Organisation hätte lediglich mit Oromo-Rebellen gesprochen, die nun mal Terroristen seien und verfolgt werden müssten. Sein Ton wird ungeduldig: "Jeder, der sich mit Terroristen einlässt, ist kriminell."

Die meisten Oromo seien zufrieden mit der Regierung. In der Zwangsumsiedlung einiger Gruppen wegen des Damm-Baus sieht er ebenfalls kein Problem. "Jedes Land hat diese Dinge durchgemacht in seiner Entwicklung, auch Deutschland", sagt er. Und mit Blick auf die Geschichte Äthiopiens, das bis auf eine sechs Jahre währende italienische Besatzung nie kolonisiert war, fügt er hinzu: "Mein Land hat sich nie jemandem gebeugt."

Trotz der autoritären Tendenzen sind Äthiopiens Beziehungen zum Westen gut. Das hat zum einen mit dem wirtschaftlichen Potenzial des fast 90 Millionen Einwohner großen Landes zu tun; zum anderen mit Äthiopiens Funktion als Verbündeter im Kampf gegen die Terrorgruppen am Horn von Afrika. In kurzer Zeit ist Äthiopien zur regionalen Führungsmacht aufgestiegen - politisch, ökonomisch und militärisch. Es muss sich wirklich niemandem beugen.

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Quelle:
SZ vom 06.12.2014
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