Hagen:Hinweise auf eine "islamistisch motivierte Bedrohung"

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Onlinekurs zum Bau von Bomben: Festnahme eines Verdächtigen im Zusammenhang mit dem mutmaßlich geplanten Anschlag auf die Hagener Synagoge im September. (Foto: Alex Talash/dpa)

Nach der Abwehr eines mutmaßlich geplanten Anschlags auf die Synagoge in Hagen geht die Polizei Hinweisen auf einen religiös-extremistischen Hintergrund nach. Armin Laschet fordert, Terroristen des Landes zu verweisen.

Von Kassian Stroh, München, und Christian Wernicke, Düsseldorf,, Düsseldorf, München

Seit Tagen hatte sich Herbert Reul (CDU) darauf gefreut: Die Feier zur Vereidigung von mehr als 2700 Polizisten und Polizistinnen in der Kölner Lanxess-Arena gehört für Nordrhein-Westfalens Innenminister zu den schönsten Terminen im Jahr. "Polizist zu sein, das heißt: Berufung und Haltung!", ruft er den Kommissarsanwärtern zu. Und doch liegt an diesem Donnerstag ein Schatten über dem Festakt. Denn Reul offenbart in seiner Rede brandaktuell, vor welchen Gefahren sie die Bürger schützen müssen.

In der Nacht zuvor, so berichtet Reul, sei eine ernste Bedrohung abgewendet worden. "Es bestand die Gefahr eines Anschlags auf die Synagoge in Hagen", sagt er. "Ihre Kolleginnen und Kollegen haben das vermutlich verhindert."

Mit einem Großeinsatz hatte die Polizei in Hagen am Mittwochnachmittag die Synagoge in der Innenstadt weiträumig abgesperrt. Ein für 19 Uhr geplanter Gottesdienst anlässlich des Versöhnungstages Jom Kippur musste kurzfristig abgesagt werden. Bis tief in die Nacht sicherten schwer bewaffnete Polizisten das Viertel, Spezialisten durchsuchten mit Sprengstoff-Spürhunden das Gotteshaus.

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In Hagen nimmt die Polizei nach einer Geheimdienstwarnung einen 16-Jährigen fest, der einen Anschlag auf die Synagoge geplant haben soll. Der Innenminister des Landes spricht von einer "islamistisch motivierten" Bedrohung.

Gefunden wurde zunächst einmal nichts. Doch Polizei und Verfassungsschutz fahnden weiter. Zu präzise sind die Informationen zu der geplanten Tatzeit und dem Ort des Anschlags - und zum mutmaßlichen Täter. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung stammen die Hinweise von einem ausländischen Geheimdienst. Der Spiegel berichtete, der Verdächtige sei im Internet aufgefallen, als er sich in einem Chat über einen Anschlag auf die Synagoge unterhalten habe.

Vier Personen wurden festgenommen

Am Donnerstagmorgen dann stürmen Spezialkräfte eine Wohnung in Hagen. Polizei und die NRW-Zentralstelle Terrorismusverfolgung bei der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf bestätigen später, man habe einen 16-jährigen Hagener festgenommen, der offenbar bei seinem Vater lebt. Reul ergänzt in einer kurzen Stellungnahme in Köln, der 16-Jährige sei syrischer Staatsbürger. Unklar sei noch, so ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf, ob gegen den 16-Jährigen ein Haftbefehl beantragt wird. Seine Vernehmung dauere noch an.

Bei der Durchsuchung der Wohnung des Hauptverdächtigen hätten die Beamten "drei weitere Personen angetroffen und ebenfalls vorläufig festgenommen". Dabei handele es sich um Vater und Brüder des 16-Jährigen. Gegen sie bestehe aber derzeit kein Tatverdacht, betonte der Sprecher. Am Abend seien die Drei wieder freigelassen worden. Bombenbauteile haben die Ermittler bislang nicht entdeckt. Es seien aber elektronische Medien wie Handys und Speichermedien sichergestellt worden, die nun ausgewertet werden müssten, sagte der Sprecher. Die Behörden ermitteln wegen des Verdachts der "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat". Reul spricht von Hinweisen auf "eine islamistisch motivierte Bedrohung".

In einer ersten Reaktion fordert Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, Terroristen des Landes zu verweisen. "Wer sich hier integriert, soll sich integrieren, soll Deutsch lernen und soll auch einen Job ausüben und der darf auch bleiben. Aber der, der terroristische Taten plant, muss des Landes verbracht werden", sagt Laschet bei einem Wahlkampftermin. "Wir werden alles tun, um aufzuklären, welche Netzwerke möglicherweise hinter diesem Anschlag standen."

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Einige der Attentäter trafen sich in Harburg, studierten, gingen in die Moschee - und planten eine Terrortat. 20 Jahre danach ist die Stadt zu ihnen auf Abstand gegangen.

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SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz erklärt, ihn schmerze es, dass die Juden in Hagen ihr Fest Jom Kippur nicht gemeinsam feiern könnten: "Es ist unsere Pflicht, alles zu ihrem Schutz zu tun und bei Gefahr sofort einzuschreiten."

Erinnerungen an Halle werden wach

Die nordrhein-westfälische Antisemitismus-Beauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger dankt der Polizei für das schnelle Erkennen der Bedrohung und ihr Eingreifen in Hagen. Der mutmaßliche geplante Anschlag sei besonders verwerflich: "Dass Jüdinnen und Juden ihren höchsten Festtag nicht feiern können, weil sie durch Antisemitismus an Leib und Leben bedroht sind, bestürzt mich immer wieder."

Unweigerlich werden Erinnerungen an den Terroranschlag von Halle an der Saale vor zwei Jahren wach - damals waren an Jom Kippur, der 2019 auf den 9. Oktober fiel, zwei Passanten von einem rechtsextremen Attentäter getötet und zwei weitere verletzt worden. Eigentlich hatte der Angreifer geplant, in der Synagoge von Halle wesentlich mehr Menschen zu töten. Nur eine stabile Holztür vereitelte seinen brutalen Plan. Von "entsetzlichen Erinnerungen", spricht deshalb Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD): "Es ist unerträglich, dass Jüdinnen und Juden erneut einer so schrecklichen Bedrohungslage ausgesetzt sind."

Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung, warnt vor der Bedrohung jüdischen Lebens in Deutschland, sie sei vielschichtig und komme "von verschiedenen Seiten". Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagt er: "War der Anschlag von Halle rechtsmotiviert, so ist der vereitelte Anschlag in Hagen offenbar dem islamistischen Milieu zuzuordnen." Der Bundesverband türkischstämmiger Muslime Ditib verurteilt in einer Erklärung den geplanten Anschlag. "Ein Anschlag auf eine Synagoge ist ein Anschlag auf ein Gotteshaus und damit ein Anschlag auf die gesamte Gesellschaft."

Auch am Donnerstagnachmittag steht die Synagoge in Hagen weiter unter verstärktem Polizeischutz. Die Jüdische Gemeinde in der Ruhrgebietsstadt ist eher klein. Sie hatte im vergangenen Jahr laut der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland 264 Mitglieder.

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