Internationaler Strafgerichtshof:Haftbefehl gegen Netanjahu und Sinwar beantragt

Lesezeit: 2 Min.

Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, und Hamas-Chef Jahia Sinwar (re.) (Foto: Zwigenberg; Talatene/dpa)

Es geht um Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Israels Premier wie auch der Hamas-Anführer sollen sich in Den Haag verantworten. So will es der Chefankläger. Er stößt auf Empörung.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Den Protagonisten des Gaza-Kriegs auf israelischer und auf palästinensischer Seite droht nun ein Haftbefehl. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim Khan, stellte am Montag die entsprechenden Anträge sowohl für den Hamas-Anführer in Gaza, Jahia Sinwar, als auch für Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und seinen Verteidigungsminister Joav Gallant. Vorgeworfen werden ihnen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Über die Ausstellung der Haftbefehle muss nun ein Richtergremium des IStGH in Den Haag entscheiden.

In Israel löste die Nachricht, die von Chefankläger Khan in einem Interview bei CNN bekannt gemacht wurde, große Aufregung und Entrüstung aus. Schon auf die im April kursierenden ersten Gerüchte über einen solchen Haftbefehl hatte Netanjahu mit der Ankündigung reagiert, er werde sich niemals einer Anklage aus Den Haag beugen. Eine mögliche Strafverfolgung bezeichnete er als "beispielloses antisemitisches Hassverbrechen". Khan konterte das nun kühl bei CNN mit der Feststellung: "Niemand steht über dem Gesetz."

Vorgeworfen werden Netanjahu und Gallant in einer in Den Haag veröffentlichten Erklärung Khans unter anderem, für das Aushungern von Zivilisten als Mittel der Kriegsführung verantwortlich zu sein. Zudem wird ihnen die Verantwortung für willkürliche Tötung und zielgerichtete Angriffe auf Zivilisten vorgeworfen. Im Gaza-Krieg wurden nach palästinensischen Angaben bislang mehr als 35 000 Menschen getötet, ungefähr zwei Drittel davon sollen Frauen und Kinder sein.

Der Hamas-Führung wird vom Haager Chefankläger die Verantwortung für Ausrottung, Mord, Geiselnahme, Vergewaltigungen und Folter vorgeworfen. Neben Sinwar wurden auch noch Haftbefehle gegen Mohammed Deif, den Anführer der Kassam-Brigaden, sowie den in Katar residierenden Chef des Politbüros, Ismail Hanija, beantragt. Über die Grausamkeiten des Terrorüberfalls vom 7. Oktober mit 1200 Toten und der Verschleppung von fast 250 Menschen nach Gaza hatte sich Khan bei einem Besuch in Israel im November selbst ein Bild gemacht. Die Anschuldigungen gegen Israel stützt er laut seiner Erklärung auf Zeugenaussagen, Satellitenbilder sowie Bild- und Tonmaterial.

Die in zahlreichen Ländern als Terrororganisation eingestufte Hamas dürften die drohenden Haftbefehle eher weniger bekümmern. Dennoch empörte sich ein Sprecher, dass dabei nun "Opfer und Henker" gleichgesetzt würden. Für Netanjahu und Gallant aber könnten solche Haftbefehle ungleich größere Auswirkungen vor allem hinsichtlich ihrer Bewegungsfreiheit haben. Zwar ist Israel - ebenso wie die USA, Russland oder China - dem 1998 gegründeten IStGH nie beigetreten. Das Gericht aber hat sich 2021 im Nahostkonflikt für zuständig erklärt. Jedes der mehr als 120 Mitgliedsländer, darunter alle EU-Staaten, wäre deshalb verpflichtet, die Gesuchten auf seinem Gebiet festzunehmen und auszuliefern. "Das ist eine vollständige Verzerrung der Realität", sagte Netanjahu am Montagabend über den Antrag. US-Präsident Joe Biden nannte das Vorgehen des Chefanklägers "empörend": Israel und die Hamas dürften nicht gleichgestellt werden. Ähnlich äußerte sich US-Außenminister Antony Blinken. Dass Haftbefehle für hochrangige israelische Beamte zusammen mit Haftbefehlen für Hamas-Terroristen beantragt worden seien, sei "beschämend".

Neben dem IStGH beschäftigt der Gaza-Krieg auch noch ein zweites Weltgericht: den ebenfalls in Den Haag ansässigen Internationalen Gerichtshof (IGH). Dort hat Südafrika eine Klage gegen Israel unter dem Vorwurf des Völkermords eingebracht. Ein Eilantrag wurde abgewiesen, das Hauptverfahren kann Jahre dauern. Anders als der 1946 geschaffene IGH beschäftigt sich der Strafgerichtshof aber nicht mit Streitigkeiten zwischen Staaten, sondern ermittelt gegen einzelne Personen. Sollte tatsächlich ein Haftbefehl ausgestellt werden, stünden Netanjahu und Gallant auf einer Stufe mit diversen afrikanischen Warlords - und mit Russlands Präsident Wladimir Putin.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Israel
:Das Ultimatum bringt Netanjahu in Bedrängnis

Benny Gantz, der beliebteste Politiker des Landes, gibt dem Premier bis zum 8. Juni Zeit für einen Kurswechsel im Gaza-Krieg. Ansonsten will er das Kriegskabinett verlassen. Der Streit um das richtige Vorgehen steuert auf seinen Höhepunkt zu.

Von Stefan Kornelius

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: