Es sah zunächst alles danach aus, dass die Afrikanische Union (AU) ihrem alten Ruf als "Club der Diktatoren" mal wieder ungestört die Ehre erweisen könnte. Am Samstagabend war der Präsident des Sudan, Omar al-Baschir, am internationalen Flughafen von Johannesburg gelandet, um am Gipfeltreffen der AU teilzunehmen, das diesmal in Südafrika stattfindet - und am Flughafen empfingen ihn Regierungsbeamte so, wie es sich beim Besuch eines Staatsgastes schickt. Dass Baschir seit sechs Jahren vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gesucht wird: Egal - der Präsident des Gastlandes Südafrika, Jacob Zuma, hatte allen Teilnehmern des AU-Gipfels vorab Immunität zugesichert.
"Wir freuen uns, hier zu sein", frohlockte ein sudanesischer Regierungsbeamter noch am Sonntag im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters, "es gibt keine Probleme." Doch dann durchkreuzte ein Gericht in Pretoria die einträchtige Zusammenkunft und verfügte, dass Baschir das Land nicht verlassen dürfe, bis die Richter über seine Festnahme und eine eventuelle Übergabe an den IStGH entschieden haben. Die Verhandlung wird am Montagmorgen fortgesetzt. Al-Baschir dürfe Südafrika bis zu einer endgültigen Entscheidung aber unter keinen Umständen verlassen, verfügte Richter Hans Fabricius vom Obersten Gerichtshof am Sonntag in Pretoria. "Jeder einzelne" Grenzkontrollpunkt müsse informiert werden, sagte Fabricius. Eine Menschenrechtsorganisation, das Southern African Litigation Centre, hatte am Samstag bei dem Gericht einen Eilantrag auf Festnahme Baschirs eingereicht.
Schon im Vorfeld von Baschirs Besuch waren Proteste laut geworden: Eine hochrangige Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) etwa forderte per Twitter die südafrikanische Regierung auf, sich "auf die Seite der Gerechtigkeit für die Opfer von Darfur zu stellen" und Baschir zu verhaften. Die größte südafrikanische Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) rief die Polizei auf, den Staatsgast bei Ankunft "umgehend" zu verhaften. Und dann meldete sich auch der Internationale Strafgerichtshof selbst: Die Regierung in Pretoria müsse "alles daran setzen, die Haftbefehle auszuführen", ließ das Gericht verlauten - andernfalls hege man "große Sorge um die negativen Folgen", wenn ein Mitgliedsstaat sich weigere, an der Festnahme Baschirs mitzuwirken.
Die Richter stellen sich offen gegen die Regierung von Jacob Zuma
Der sudanesische Präsident, der sich 1989 an die Macht geputscht hatte und im April dieses Jahres mit 94 Prozent der Stimmen wiedergewählt wurde, wird mit zwei internationalen Haftbefehlen von 2009 und 2010 gesucht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des Verdachts auf Völkermord. Er soll für Mord, Folter und Vergewaltigung von Zivilisten in der Provinz Darfur verantwortlich sein, wo Armee und regierungsnahe Milizen gegen Aufständische vorgehen - und seit 2003 mindestens 300 000 Menschen gestorben sind und 2,7 Millionen vertrieben wurden.
Südafrika ist wie alle Mitgliedsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs verpflichtet, dessen Haftbefehle auszuführen, wenn sich ein Gesuchter innerhalb der Landesgrenzen aufhält, über eine eigene Polizei verfügt das Gericht schließlich nicht. Weil Baschir weiß, dass ihm in weiten Teilen der Welt die Verhaftung droht, reist er nur noch selten ins Ausland. Südafrika mied er bereits 2010, bei der Eröffnungsfeier der Fußball-Weltmeisterschaft, und zuvor bei der Amtseinführung von Präsident Jacob Zuma 2009 - obwohl dieser ihn ausdrücklich eingeladen hatte.
Diesmal dagegen war offensichtlich die Zuversicht groß genug, dass anlässlich des Gipfeltreffens der Afrikanischen Union die südafrikanischen Behörden sich über ihre internationalen Verpflichtungen hinwegsetzen würden. In guter Gesellschaft weiß Baschir sich bei der AU ohnehin: Die Regionalorganisation hat ihre Mitglieder mehrfach aufgerufen, sich der Zusammenarbeit mit dem Gericht zu verweigern, weil dieses hauptsächlich gegen Afrikaner vorgehe und folglich eine rassistische oder neokolonialistische Agenda haben müsse. Die Chefanklägerin Fatou Bensouda, die selbst aus dem westafrikanischen Gambia stammt und dort Justizministerin war, weist solche Vorwürfe regelmäßig mit dem Hinweis zurück, dass es sich nicht nur bei den Angeklagten, sondern auch bei deren Millionen Opfern hauptsächlich um Afrikaner handele. Die AU lässt sich freilich davon nicht beirren - und hat im vergangenen Jahr das Gericht aufgefordert, amtierende Präsidenten von Ermittlungen auszunehmen.
Besonders der amtierende AU-Vorsitzende, Simbabwes Präsident Robert Mugabe, 91, der seit nunmehr 35 Jahren regiert, tut sich immer wieder als leidenschaftlicher Gegner des Internationalen Strafgerichtshofs (wie auch des "Westens" im Allgemeinen) hervor. Sein Informationsminister Jonathan Moyo schrieb am Sonntag in einer Kaskade von Twitter-Meldungen etwa "Zur Hölle mit dem IStGH" und "Lasst uns glaubwürdige, nationale, regionale und kontinentale Strukturen aufbauen, die nicht von angelsächsischen Imperialisten manipuliert werden."
Der Schritt des Gerichts in Pretoria zeigt zunächst, dass in Südafrika die staatliche Gewaltenteilung besser funktioniert als in vielen anderen Ländern des Kontinents. Die Richter stellen sich damit offen gegen die Regierung, die unter Zuma zunehmend einer antiwestlichen Rhetorik folgt und um die provokative Wirkung ihrer Einladung gewusst haben muss.
Der Fall wird unweigerlich diplomatische Auswirkungen haben: Sollte Baschir am Ende unbehelligt zurück in den Sudan reisen können, würde dies als demonstrativer Bruch der internationalen Verpflichtungen Südafrikas gewertet werden. Übergeben ihn die Behörden dagegen an das Gericht in Den Haag, dann würde die Regierung in Pretoria damit den Zorn anderer afrikanischer Staatschefs auf sich ziehen - in einer Zeit, in der das Image Südafrikas auf dem Kontinent ohnehin angeschlagen ist, seit im April eine Welle fremdenfeindlicher Gewalt gegen Migranten aus anderen afrikanischen Ländern wütete.