Im November 2018 ist in Florida etwas Unerhörtes passiert. Zeitgleich mit den Midterm-Wahlen stimmten die Bürger des US-Bundestaates mit 64.5 Prozent der abgegebenen Stimmen für eine Änderung der Staatsverfassung. So sollten frühere Strafgefangene ihr Wahlrecht zurückerhalten. Ausgenommen von der Änderung sind nur Mörder und Sexualstraftäter. Knapp 1,5 Millionen Menschen haben seit Anfang Januar wieder das Recht, wählen zu gehen. Das sind gut fünf Prozent der Bevölkerung des Bundesstaates. Es war ein Riesenerfolg für die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung, und für Florida die größte Ausweitung des Wahlrechtes seit den 60er Jahren.
Das könnte das Ende der Geschichte sein. Wenn da nicht die Republikaner wären, die in Florida in Repräsentantenhaus und Senat die Mehrheit haben und den Gouverneur stellen. Sie sehen nicht ein, weit mehr als einer Million Menschen das Wahlrecht wiederzugeben, die mutmaßlich eher den Demokraten zuneigen. Denn das könnte auch die Zukunft der "Grand Old Party" als prägende Kraft in Florida in Frage stellen.
Die Republikaner im Senat und im Repräsentantenhaus von Florida haben zwar anfangs noch zusammen mit den Demokraten applaudiert. An diesem Freitag aber haben sie ein Gesetz verabschiedet, das den Effekt der Volksabstimmung fast vollständig zunichte machen könnte.
Das neue Gesetz verlangt, dass nur derjenige tatsächlich wieder wählen darf, der seine Schulden beim Staat bezahlt hat, die im Zusammenhang mit der verbüßten Strafe stehen. Nach einer wochenlangen Debatte gibt es immerhin zwei Möglichkeiten, auch ohne Geldzahlung an sein Wahlrecht zu kommen. Entweder ein Richter erlässt die Schulden - mit Zustimmung der Opfer. Oder er wandelt sie in zu leistende Sozialarbeit um.
Wenn Floridas Gouverneur Ron DeSantis das Gesetz gegenzeichnet, würde es enorme Wirkung entfalten. Es wird erwartet, dass kaum ein Betroffener die geforderten Kriterien erfüllen kann. Ex-Häftlinge sind schließlich in der Regel keine Menschen mit großen Ersparnissen.
Coral Nichols zum Beispiel. In einer Anhörung vor dem Senat von Florida sagte die 40-Jährige, sie habe wegen schweren Diebstahls und Betruges fünf Jahre eingesessenen. Jetzt sei sie kurz davor, ihre zehnjährige Bewährungsstrafe zu beenden. Das Gericht hat sie auch zu einer Wiedergutmachung in Höhe von 190 000 Dollar verurteilt. Davon zahle sie jeden Monat so viel ab, wie sie erübrigen kann.
Um ihr Wahlrecht zurückzubekommen, wäre sie nach dem neuen Gesetz auf die Gnade eines Richters angewiesen. Wenn sie einen findet, der ihren Antrag bearbeitet. Das neue Gesetz erleichtert es 1,5 Millionen Menschen, ihre Gerichtsschulden loszuwerden. Kritiker befürchten eine kaum zu bewältigende Antragsflut.
Außerdem ist das System der gerichtlichen Gebühren und Strafen in Florida besonders unübersichtlich. Es gibt etwa keine zentrale Datei, welche Person bei welchem Gericht Schulden hat. Das könnte dazu führen, dass jemand im gutem Glauben wählen geht, dann aber doch noch die Rechnung eines Kreisgerichtes auftaucht. Dann droht erneute Haft. Diesmal wegen Wahlbetruges. Das neue Gesetz verstärkt die Unsicherheit - was den Republikanern in die Hände spielt.
In der US-Geschichte ist das nichts Neues, Menschen erst zahlen zu lassen, bevor sie an die Urne dürfen. Die sogenannte Wahlsteuer, die "Poll Tax", gehörte lange zum Repertoire der Wahlmanipulatoren. Nur wer das Geld hatte, sie zu zahlen, durfte auch wählen gehen. Damit wurden arme, meist schwarze Wähler von demokratischen Prozessen ausgeschlossen. Eine Praxis, an die das neue Gesetz in Florida viele seiner Gegner erinnert.
Die Poll Tax ist inzwischen verboten, genau wie Sprachtests. Bis in die 60er Jahre hinein sahen einige Bundesstaaten solche Tests vor - vorgeblich, um zu garantieren, dass die Wähler gebildet genug für die Stimmabgabe waren. Tatsächlich wurden auch hier vor allem schwarze Wähler von den Wahlen ferngehalten.
Heute sind die Methoden andere, aber ähnlich effektiv. Gerrymandering etwa nennt sich der Trick, die Grenzen von Wahlbezirken so zurechtzubasteln, dass die andere Partei kaum eine Chance hat, in Landes- oder Bundeswahlen die Mehrheit der zu vergebenen Abgeordnetensitze zu erringen. Manchmal werden in bestimmten Gegenden gezielt Wahllokale gestrichen, um den Weg zur Urne oder Wahlmaschine für Wähler möglichst umständlich zu machen.
Verlust des Wahlrechtes - auf Lebenszeit
Häftlingen das Wahlrecht zu nehmen, ist der Normalfall. In 48 Staaten der USA führt eine Haft- und oft auch schon eine Bewährungsstrafe zum Verlust des Wahlrechtes. In zwölf fast durchgängig republikanisch geprägten Staaten verlieren verurteilte Straftäter ihr Wahlrecht auf Lebenszeit. Nach Daten des Sentencing Projects dürfen derzeit 6,1 Millionen US-Bürger nicht wählen, weil sie eine Haft- oder Bewährungsstrafe verbüßen oder irgendwann verbüßt haben. Ein Großteil von ihnen ist schwarz.
Die Zahl ist nicht von ungefähr so hoch. Die USA haben mit 2,2 Millionen Inhaftierten die größte Gefängnispopulation weltweit. Auf 100 000 Einwohner kommen 668 Häftlinge. Selbst in Russland, ebenfalls berüchtigt für seine hohe Quote an Inhaftierungen, sitzen nur 413 von 100 000 Einwohnern in Haft. In Deutschland sind es 78.
Florida ist nicht der erste Bundesstaat, in dem versucht wird, diesen Missstand zu beheben. In Iowa etwa ist gerade ein Verfassungszusatz auf dem Weg, der allen Menschen das Wahlrecht zurückgeben würde, die ihre Haft- oder Bewährungsstrafen hinter sich haben. In Louisiana ist Anfang März ein Gesetz in Kraft getreten, dass es ehemaligen Häftlingen erlaubt, wählen zu gehen, wenn sie seit fünf Jahren nicht inhaftiert sind.
Floridas neuer Verfassungszusatz alleine hätte die Zahl der nicht-wahlberechtigten Häftlinge und Ex-Häftlinge auf weniger als fünf Millionen drücken können. Noch besteht die Chance dazu. Gouverneur DeSantis könnte seine Unterschrift unter das neue Gesetz verweigern. Was unwahrscheinlich ist, da er sich zuvor gegen den Verfassungszusatz positionierte. Ziemlich sicher aber wird das Gesetz der Republikaner auf dem Gerichtsweg bekämpft werden. Die Bürgerrechtsbewegung ACLU hat bereits angedroht, zu klagen.