Bundestags-Hack:Die schwierige Suche nach der richtigen Reaktion

Bundestags-Hack: Der 29 Jahre alte Russe Dmitrij Badin soll dem russischen Militärgeheimdienst GRU angehören, genauer: der Cybereinheit 26165, auch bekannt als "Fancy Bear".

Der 29 Jahre alte Russe Dmitrij Badin soll dem russischen Militärgeheimdienst GRU angehören, genauer: der Cybereinheit 26165, auch bekannt als "Fancy Bear".

(Foto: Getty Images/FBI)

Die deutsche Justiz fahndet per ungewöhnlich scharf formuliertem Haftbefehl nach einem russischen Militärspion. Er soll am Cyberangriff auf den Bundestag 2015 beteiligt gewesen sein. In der Bundesregierung prüft man Maßnahmen gegen Moskau.

Von Florian Flade und Georg Mascolo

Man sah Angela Merkel ihren Unmut an, als sie am Mittwoch im Plenum des Deutschen Bundestages auf den Cyberangriff angesprochen wurde, der im Frühjahr 2015 auf das Parlament verübt wurde - und bei dem auch ihr E-Mail-Postfach betroffen war. "Mich schmerzt das", sagte die Kanzlerin sichtlich angefasst. Sie sei stets um ein besseres Verhältnis zu Russland bemüht. Jetzt aber gebe es nun einmal "harte Evidenzen", dass "russische Kräfte" für den Bundestags-Hack verantwortlich seien. Merkel sprach von einem "ungeheuerlichen Vorgang" und wurde deutlich. Man behalte sich Reaktionen gegenüber Russland vor.

In der vergangenen Woche hatte der Generalbundesanwalt einen Haftbefehl im Fall des Bundestags-Hacks erwirkt. Er ist ausgestellt auf Dmitrij Badin, einen 29 Jahre alten Russen, der dem russischen Militärgeheimdienst GRU angehören soll, genauer: Der Cybereinheit 26165, auch bekannt als "Fancy Bear" oder APT28. Badin soll eine Schadsoftware im Bundestagsnetz eingesetzt haben - das Programm war auch auf Computern im Büro der Kanzlerin entdeckt worden.

Mit einem solchen Fall musste sich die deutsche Justiz bislang noch nicht befassen: Ein ausländischer Spion - noch dazu ein Angehöriger eines fremden Militärs - soll einen Angriff auf das deutsche Parlament verübt haben. So hat es das Bundeskriminalamt (BKA) in fünf Jahren mühevoller Kleinarbeit ermittelt und viele Beweise zusammengetragen. Und so sieht es offenbar auch der Richter am Bundesgerichtshof, der den Haftbefehl gegen Dmitrij Badin unterzeichnet hat.

Mehr als 50 Seiten lang ist der Haftbefehl - und von ungewöhnlicher Schärfe. Aufgelistet sind darin die Belege gegen den russischen Hacker und für dessen Zugehörigkeit zum Militärgeheimdienst. Am Schluss geht es um die Dimension des Falls - und die rechtliche Bewertung. Es handele sich um einen "besonders schweren Fall" von Spionage, so der Richter. Um einen Angriff auf das Parlament, und damit auf den Vertreter des Souveräns der Bundesrepublik Deutschland, des Volkes, und den Kernbereich der deutschen Demokratie - ausgeführt vom militärischen Nachrichtendienst Russlands. Ein Verbrechen, für das es bislang kein "Regelbeispiel" gebe. Zudem glaubt der Richter, das gehackte Material habe sich der GRU für Zwecke der "Desinformation" beschafft.

Und nun? In der Bundesregierung scheint man einigermaßen ratlos, wie man mit den Ermittlungsergebnissen zum Bundestags-Hack umgehen soll. Die Kanzlerin hat mit ihren Worten im Bundestag zumindest die Richtung vorgegeben: Die Regierung ist empört, eine heftige diplomatische Reaktion nicht ausgeschlossen. Aber noch ist nichts entschieden. Es gibt Bedenken. Immerhin sei der Haftbefehl doch schon ein starker Fingerzeig nach Moskau. Und das Verhältnis zu Russland sei ohnehin angespannt genug, heißt es. Andererseits will man ein deutliches Signal senden, dass nun Schluss sein muss. In der russischen Botschaft gibt man sich diplomatisch. Auf Anfrage von SZ, NDR und WDR heißt es, dass der Vertretung "keine offiziellen Dokumente, Informationen oder Anfragen zu dem von Ihnen genannten Fall zur Verfügung" stehen.

In Regierungskreisen wird darauf verwiesen, dass es längst nicht nur um den Bundestags-Hack gehe, der an sich schon eine "gigantische Qualität" habe. Es gehe darum, dass sich Russlands Dienste ganz offensichtlich längst nicht mehr an die Spielregeln halten - neben Cyberattacken geht es inzwischen auch um Mordanschläge.

Vor der "Strategie der hybriden Kriegsführung" dürfe man nicht die Augen verschließen, sagt die Kanzlerin

Am 23. August 2019 war ein Tschetschene mit georgischer Staatsangehörigkeit, der einst im Kaukasus gegen die Russen gekämpft hatte, von einem Auftragskiller im Kleinen Tiergarten in Berlin erschossen worden. Um die Mittagszeit, am helllichten Tag, nur wenige Kilometer vom Kanzleramt entfernt. Durch Zeugenhinweise konnte der Schütze von der Polizei gefasst werden - es soll sich um einen ehemaligen Häftling aus Russland handeln, der unter einer falschen Identität eingereist war.

Der Mann schweigt eisern, die Ermittler glauben inzwischen, dass er von einem russischen Geheimdienst rekrutiert und anschließend auf seine todbringende Mission nach Deutschland geschickt wurde. In den kommenden Wochen will der Generalbundesanwalt entscheiden, ob in der Anklage zum Tiergarten-Mord staatliche Stellen in Russland als Auftraggeber genannt werden. Dann würde nicht nur ein Mord verhandelt - sondern auch Staatsterrorismus.

Man dürfe nicht jeden Fall einzeln betrachten und stillschweigend abhaken, heißt es inzwischen in der Regierung. Man müsse die Gesamtheit sehen - und vor allem die dahinterstehende, zunehmende Aggressivität. Russland, so erinnerte die Kanzlerin in dieser Woche im Bundestag, verfolge eine "Strategie der hybriden Kriegsführung". Davor dürfe man nicht die Augen verschließen.

Im Kanzleramt, im Auswärtigen Amt, bei Bundesnachrichtendienst (BND) und Verfassungsschutz grübelt man nun darüber nach, welche Optionen es für eine Reaktion gegenüber Russland gibt. Als übliches Mittel gelten Ausweisungen von Geheimdienstlern, die in Deutschland als Diplomaten stationiert sind - so reagierte die Regierung in den vergangenen Jahren zwei Mal: Nach dem Giftanschlag auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal und seine Tochter in Großbritannien und nach dem Mord im Kleinen Tiergarten. Ähnlich könnte man nun - wenn auch mit fünf Jahren Verzögerung - auf den Bundestags-Hack reagieren. Erwartet wird jedoch, dass der Kreml sofort auch deutsche Diplomaten nach Hause schicken wird. Manch einer in der Regierung fürchtet daher, dass man sich so auch selbst schaden könnte.

"Die Attacke auf den Bundestag war ein Angriff auf unser Land. Ich erwarte deshalb von Außenminister Maas mindestens, dass er den russischen Botschafter einbestellt", fordert der FDP-Politiker Manuel Höferlin, Vorsitzender des Ausschusses für Digitale Agenda. Dieser wurde jüngst von den Sicherheitsbehörden in geheimer Sitzung über die Ermittlungen gegen den Hacker Badin informiert. "Seit Guillaume ist kein ausländischer Spion mehr so nahe an einen deutschen Bundeskanzler herangekommen. Dieser Vorfall muss deshalb mit aller Konsequenz beantwortet werden - rechtlich und politisch."

Beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe ist man derweil mit ganz anderen Überlegungen beschäftigt: Soll der russische Cyberspion europaweit oder gar international zur Fahndung ausgeschrieben werden? Bislang gibt es nur einen deutschen Haftbefehl gegen Dmitrij Badin. Eine weltweite Suche aber gestaltet sich schwierig. Denn über Interpol darf nicht nach Personen gefahndet werden, denen politische Taten vorgeworfen werden. So soll verhindert werden, dass Diktatoren und autoritäre Regime das System missbrauchen, um unliebsame Oppositionelle und Kritiker zu jagen. Spionage aber gilt als eine politische Tat.

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