Süddeutsche Zeitung

Social-Media-Abschied:Habecks Schritt ist radikal, aber konsequent

Der Datenklau rund um seine Familie dürfte dem Grünen-Politiker gezeigt haben, wie nah Begeisterung und Verletzlichkeit in den sozialen Netzwerken beieinanderliegen.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Schadenfreude und Hass haben nicht lange auf sich warten lassen. Kaum hatte Robert Habeck am Montag angekündigt, er werde seine Twitter- und Facebook-Accounts löschen, kübelte es Häme gegen den Vorsitzenden der Grünen.

Der eine erklärte, Habeck habe sich entzaubert; der nächste betonte, er solle sich gleich ganz aus der Politik zurückziehen. Ein Dritter schrieb, nun zeige sich, dass Habeck schon bei einem "lauen Lüftchen" einbreche. Und die AfD glaubte zu wissen, dass künftig nur noch ein PR-Komitee über seine Äußerungen wachen werde. Deshalb sei er ab sofort eigentlich gar nicht mehr wählbar.

All das ist ein guter Spiegel dafür, wie die Welt der sozialen Medien das Leben und Agieren von Politikern verändert hat. Sie treffen eine Entscheidung oder auch nur eine Aussage - und binnen Minuten äußert sich im Netz jeder, der dazu in welchem Ton auch immer etwas sagen möchte. Binnen Sekunden entstehen neue Nachrichtenwellen, manchmal im Positiven, manchmal im Negativen. Sicher ist dabei nur eines: dass die Wucht und das Ausmaß rasend schnell gigantisch werden können.

Eine kurze Weile lang konnten Politiker das vielleicht noch ignorieren, weil die Welt der sozialen Medien damals noch überschaubar klein war. Längst aber verschmelzen heute die Welten. Twitter, Zeitungen, Facebook, Onlineportale, Fernsehen - was auch immer in einem dieser Medien laut wird, findet seinen Weg in die anderen Kanäle.

In null Komma nichts werden aus kleinen Tweets große Nachrichten und aus Fehlern Skandale. Was im guten Fall Begeisterung auslöst, weil es schnell wachsende Resonanz auslöst, führt in der Krise dazu, dass Zorn und Häme bergeweise über einem zusammenschlagen. Robert Habeck hat seit seiner Wahl zum Parteichef vor einem Jahr beides zu spüren bekommen. Jetzt hat er die Flucht raus aus der Geschwindigkeit angetreten.

Zuerst fühlte sich die Welt der sozialen Medien besonders schön an

Am Anfang spürte er durchaus mit Genuss, wie seine Botschaften, auch die kurzen und schnellen, auf immer mehr Widerhall stießen. Die Zahl der Follower stieg rasant. Und weil die politischen Winde für ihn und seine Partei günstig waren, fühlte sich die Welt der neuen sozialen Medien ganz besonders schön an.

Verführt von alldem begann dann einer, der mal als Schriftsteller ins Berufsleben gestartet war, auf immer mehr medialen Feldern gleichzeitig zu agieren. Hier noch ein Filmchen, dort eine Talkshow, dann noch einen Text für den eigenen Blog und danach noch ein Interview fürs Fernsehen. Alles schien zu laufen, die Umfragen wurden besser und besser.

Das kann einen trunken machen, wenn es gutgeht. Aber es kann einem auch die Sinne rauben, vor allem die, die nach Vorsicht rufen. Zum ersten Mal geschah das vor der Landtagswahl in Bayern. Damals schickte Habeck ein eigens produziertes Video auf die Reise, in dem er sinngemäß erklärte, Bayern müsse endlich wieder demokratisch regiert werden. Später fühlte er sich missverstanden - und ahnte zugleich, dass mehr Vorsicht nötig gewesen wäre.

Trotzdem ist ihm das jetzt noch einmal passiert. Wie er selbst sagt, habe er schon vor zwei Monaten ein Video zur Wahl in Thüringen aufgenommen, "gehetzt und unkonzentriert", wie er nun ausdrücklich zu Protokoll gibt. Darin sagte er, die Grünen wollten dafür kämpfen, "dass Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird" - mit fatalen Folgen. So nämlich suggerierte der Grünen-Chef, dass das von den Grünen mitregierte Thüringen bislang all das nicht sei.

Im Zorn über den Fehler ("Ich bin von mir selbst entsetzt"), hat Habeck die denkbar härteste Konsequenz gezogen. Er hat angekündigt, seine Twitter- und Facebook-Konten zu löschen; er nimmt sich mindestens teilweise raus aus dem Hasenrennen. Der Schritt ist radikal und er wirkt im ersten Augenblick so kopflos wie die umstrittenen Videos. Aber Habeck hat nicht nur Fehler gemacht; er ist im jüngsten Datendiebstahl auch zu einem der größten Opfer geworden. Er hat nicht nur im allgemeinen Rausch mitgemacht; er hat mit seiner Familie und dem öffentlich gemachten Privatleben die Schattenseite voll zu spüren bekommen.

Sein Rückzug ist konsequent und bislang eine radikale Ausnahme. Aus diesem Grund ist die Zahl derer groß, die den Schritt erst mal belächeln. Nicht ausgeschlossen ist aber, dass andere ihm folgen werden. Und durchaus möglich ist, dass Habeck damit wieder mehr zu sich selbst zurückkehrt. Hoffnung oder Illusion - das kann am Ende sowieso nur er selbst beurteilen.

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