Süddeutsche Zeitung

Klimapolitik:Habecks Hoffnung auf den großen Sprung

Mit einem Gesetzespaket will der Wirtschafts- und Klimaschutzminister Deutschland mächtig umbauen - hin zu einer CO₂-freien Energieversorgung. Begründung eins: der Klimaschutz. Begründung zwei: die nationale Sicherheit.

Von Michael Bauchmüller und Stefan Braun, Berlin

Seit etwa 100 Tagen ist Robert Habeck nun im Amt. Und seit gefühlt 100 Tagen kümmert sich der deutsche Wirtschafts- und Klimaschutzminister vor allem um den Krieg in der Ukraine, um mögliche Waffenlieferungen an das von Russland angegriffene Land und um Deutschlands Energiesicherheit. Dabei ist sein eigentliches Ziel, Deutschland im Kampf gegen den Klimawandel neu aufzustellen, deutlich in den Hintergrund geraten. Das aber soll aber jetzt, also noch vor Ostern, anders werden. Mit zahlreichen Gesetzesänderungen und Reformen will Habeck seinem eigentlichen Ziel näher kommen. Und das lautet: Bis 2030 mindestens 80 Prozent des deutschen Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen zu beziehen - und bis 2035 den vollständigen Umbau zu erreichen.

Die Grundlage für all das ist am Mittwoch durchs Kabinett gegangen. Mehr als 500 Seiten hat das Gesamtwerk, das als "Osterpaket" in die Geschichte eingehen soll. Und laut Ministerium hat es eine doppelte Dringlichkeit: Zum einen spitze sich die Klimakrise weiter zu. Zum anderen hätten der Krieg in der Ukraine und die fatale Abhängigkeit von russischer Energie gezeigt, dass "Erneuerbare Energien spätestens jetzt zu einer Frage der Nationalen Sicherheit geworden" sind.

Windparks, Planungsbeschleunigung, Solaranlagen

Worum geht es? Erstens soll die Windenergie auf See massiv ausgebaut werden. Dazu sollen weitere, bislang nicht voruntersuchte Flächen ausgeschrieben werden. Zweitens geht es um den Abbau von Hemmnissen und die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Drittens um eine Erneuerung des so genannten Bundesbedarfsplans, der die großen Übertragungsnetze festlegt. Hier sind zusätzliche Projekte nötig, um den Strom nicht nur zu produzieren, sondern auch über die ganze Republik zu verteilen. Viertens wird die EEG-Umlage abgeschafft, und die Regelungen für den Eigenbedarf und für die Privilegierung der Industrie werden vereinfacht. Und fünftens sollen die Rechte der Endkunden und die Aufsichtsmöglichkeiten für die Bundesnetzagentur über Energielieferanten gestärkt werden. Ziel hier: Größerer Schutz der Strom- und Gasverbraucher.

Damit all das tatsächlich erreicht werden kann, hat sich das Bundeswirtschaftsministerium entschieden, an einigen Stellen radikale Änderungen vorzunehmen. Die vielleicht wichtigste ist eine, die für juristische Laien banal klingen mag, aber eine große Wirkung entfalten kann. So hat das Habeck-Ministerium im Erneuerbare-Energien-Gesetz "zur Beschleunigung des Ausbaus in allen Rechtsbereichen" den Grundsatz verankert, dass die Nutzung erneuerbarer Energien "im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient". Damit wird der Ausbau von Windkraftanlagen und der Bau von Stromnetzen als überragende Aufgabe betrachtet - und gibt dem Staat die Möglichkeit, Projekte schneller durchzusetzen. Gerade beim Stromnetzausbau und beim Ausbau von Wind- und Solarkraftanlagen kann das vieles beschleunigen helfen. Was von entscheidender Bedeutung sein kann, wenn man das mehr als anspruchsvolle Ziel hat, den Anteil der Erneuerbaren von 42 Prozent im Jahr 2021 auf über 80 Prozent knapp zehn Jahre später zu verdoppeln.

Neben dem Ausbau der Windenergie soll auch die Solarenergie deutlich gestärkt werden. So sollen Anlagen auf Dächern stärker gefördert werden, wenn sie den kompletten Strom ins Netz einspeisen. Investoren, die den gewonnenen Strom teilweise selbst nutzen, werden entsprechend nur in Teilen gefördert. Diese Förderung soll außerdem schon in diesem Jahr fließen, um bei Investoren keinen Abwarte-Reflex auszulösen. Bei dem Bau von Photovoltaik-Anlagen auf freier Fläche werden die Möglichkeiten für Standorte deutlich erweitert. Nutzt man zum Beispiel moorige Flächen, soll wegen der höheren Investitionskosten auch die Förderung höher sein, damit Investoren dort keine Nachteile entstehen.

Erst das "Osterpaket", dann das "Sommerpaket"

Und schließlich soll auch die Windkraft an Land beschleunigt ausgebaut werden. Dafür gibt es zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Details, offenbar, weil der Streit mit einigen Bundesländern über Standorte und Distanzen zu Wohngebieten noch nicht aufgelöst werden konnte. Viel Zeit für genauere Beschlüsse dazu will sich die Regierung aber nicht lassen. So wird an dieser Stelle im "Osterpaket" schon ein "Sommerpaket" angekündigt.

Finanziell soll das meiste davon aus dem neuen "Energie- und Klimafonds" der Regierung bestritten werden. Für die Verbraucher kommt zudem erstmal formal eine Entlastung: Durch die Abschaffung der EEG-Umlage soll der Strompreis deutlich günstiger werden. Wegen des Krieges und der zuletzt stark gestiegenen Energiepreise dürfte es am Ende im Vergleich zum Vorkriegsniveau nicht zu großen Entlastungen kommen. Angesichts der derzeit dramatischen Lage aber wird es vermutlich gleichwohl das Schlimmste abschwächen.

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