Später wird der SPD-Abgeordnete Carl-Christian Dressel den Auftritt von Gregor Gysi als eine "Verhöhnung" des Deutschen Bundestages und des Parlamentarismus bezeichnen. Aber der Chef der Linksfraktion hat damit wohl gerechnet - es wird ihm egal gewesen sein.
Gysi wollte sich wohl einfach nicht anhören, was die anderen Abgeordneten in dieser aktuellen Stunde über ihn zu sagen haben. Dass er ein IM gewesen sei, ein Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR also. Dass das erwiesen sei, wie der Bundestag schon 1998 festgestellt habe. Dass er das Volk, das Parlament, belüge. Dass er nur das zugebe, was zweifelsfrei nachgewiesen werden könne.
Der Fraktionschef der Linken hört es nicht. Eine Viertelstunde nach Beginn der Debatte betritt Gysi den Plenarsaal. Damit hatten viele schon nicht mehr gerechnet. Jörg Tauss, der für die SPD spricht, empört sich gerade, dass weder Gysi noch dessen Ko-Vorsitzender Oskar Lafontaine anwesend seien - und dann kommt sie, die komplette Führungsmannschaft der Linken-Fraktion. Einem Einmarsch der Gladiatoren gleich, so geschlossen, als wolle sie gemeinsam gegen den Feind zu Felde ziehen.
Bevor es in die Schlacht geht, nimmt Gysi Platz. Aus seiner Sicht ganz hinten, ganz links. Oskar Lafontaine zwei Reihen vor ihm.
Sozialdemokrat Tauss hat noch Gelegenheit, ein bis zwei Minuten gegen Gysi und Lafontaine zu wettern, der glaube, "die Weisheit mit Löffeln gefressen" zu haben. Danach hat niemand mehr Gelegenheit, Gysi offen ins Gesicht zu sagen, er habe für die Staatssicherheit der DDR gearbeitet.
Gregor Gysi tritt ans Rednerpult. Die Abgeordneten von Union, FDP, SPD und Grünen lachen, höhnen, reden laut. Was Gysi dann zur Debatte beizutragen hat, ist genauso bekannt, wie das, was ihm seine Gegner vorwerfen. Gysi sagt also, er habe nie wissentlich für die Stasi gearbeitet. Er habe seinem Mandaten Robert Havemann mehr geholfen als jeder andere im Saal. Und das sei nicht einfach gewesen. "Sie haben vom Leben eines Anwaltes in der DDR schlichtweg keine Ahnung", erklärt Gysi.
Den Abgeordneten im Rund wirft er vor, mit Marianne Birthler, der Beauftragen für die Stasi-Unterlagen, und den Medien gemeinsam Sache gegen ihn zu machen. Birthler hatte am Morgen gesagt: "Nach unseren Unterlagen sind diese Unterlagen die zu einem IM. Und der kann nach Aktenlage nur Gregor Gysi gewesen sein." Demnach habe "eine wissentliche und willentliche Unterrichtung des Ministeriums für Staatssicherheit stattgefunden". Und zwar "durch Gregor Gysi über unter anderem Robert Havemann".
Wie so oft kündigte Gysi im Vorfeld der Debatte auch in diesem Fall juristische Schritte an - diesmal gegen das ZDF, das Birthler Aussagen zuerst sendete. Parteichef Lafontaine sekundierte und forderte über die Medien die Kanzlerin auf, Birthler doch btteschön des Amtes zu entheben. Dabei ist Birthler per Gesetz Chefin der Behörde. Angela Merkel müsste schon einen Gesetzesbruch begehen, um die Frau ihres Amtes zu entheben.
Er kam, sprach – und ging
Im Bundestag liest Gysi weiter seinen vorbereiteten Redetext ab. Bei anderen Gelegenheiten hat er nicht mal ein Manuskript dabei, wenn er spricht. Aber er sieht sich nun mal als Opfer einer Kampagne, da liest man lieber vom Blatt. "Seit Jahren versuchen Sie, mich zu schädigen und meine Partei zu treffen", sagt Gysi. Von den gesundheitlichen Folgen, mit denen er wegen der ständigen Anwürfe leben müsse, wolle er erst gar nicht reden.
Ein Argument stellt er besonders heraus, um zu belegen, dass die Vorwürfe nicht stimmen können: Er habe es nicht nötig gehabt, für die Stasi zu arbeiten. Das entspräche nicht "meinem Stil und meiner Würde", sagt Gysi. "Ich war damals schon so souverän wie heute." Da lachen viele Abgeordnete. Die erdrückende Aktenklage interessiert den Politiker offenbar nicht. "Die Staatssicherheit versuchte nicht einmal, mich anzuwerben", sagt er.
Keine neuen Erkenntnisse
Dann geht er. Federt leichten Schrittes die wenigen Stufen zum Ausgang empor, erntet den stehenden Applaus der fast vollzählig angetretenen Links-Fraktion. Lächelt. Winkt einer Abgeordneten zu. Und ist - weg. Take it Gysi.
Minuten später folgen Lafontaine, Parteichef Lothar Bisky, Parteivize Katja Kipping und Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch. Zurück bleibt der Rest der Linksfraktion, die ohne jeden Zwischenruf bis zum Ende der Debatte ausharrt. Mal lächelt einer milde, eine Abgeordnete blättert in ihren Akten.
Das Ganze ging so schnell, dass Thomas Strobl, der für die CDU die angebliche Stasi-Vergangenheit Gysis geißelt, darauf gar nicht regieren kann. Aber das hätte seine Forderungen auch nicht weiter verschärfen können. "Wer solche Sauereien begangen hat, ist als Volksvertreter diskreditiert", sagt Strobl. "Der Abgang ist überfällig." SPD-Mann Carl-Christan Dressel erklärt, Gysi solle dann gleich die anderen aus seiner Fraktion mitnehmen, die ebenfalls für die Stasi gearbeitet hätten.
Neue Erkenntnisse brachte diese Debatte nicht. Gewiß ist nur eines: Das Thema wird Gysi so schnell nicht loslassen.