Süddeutsche Zeitung

Guttenberg:"Wir brauchen Rechtssicherheit für unsere Soldaten"

Unterstützung vom Verteidigungsminister: Karl-Theodor zu Guttenberg über die Verantwortung des Oberst Klein für den umstrittenen Angriff auf Tanklastzüge in Afghanistan, "widersprüchliche" Vorschriften - und ob man Soldaten im Einsatz vor dem Staatsanwalt schützen muss.

Nico Fried und Peter Blechschmidt

SZ: Sie haben am Freitag das Parlament über den Nato-Bericht zur Bombardierung der Tanklaster in Kundus unterrichtet. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Karl-Theodor zu Guttenberg: Zum einen gibt es für mich keinen Grund, an der Einschätzung des Generalinspekteurs zu zweifeln, dass der Luftschlag militärisch angemessen war. Zum andern ist es wichtig, ohne herumzudrucksen Fehler und Defizite anzusprechen, die aus dem Bericht deutlich werden. Es gab Verfahrensfehler, und es gibt in den Einsatzregeln Widersprüche und Nachbesserungsbedarf.

SZ: Geht es etwas genauer?

Guttenberg: Besonders die Verfahren für derart komplexe und dynamische Aktionen müssen eindeutiger werden. Bisher können die Vorschriften unterschiedlich ausgelegt werden, es finden sich hierzu im Bericht Worte wie "verwirrend", "widersprüchlich" und "teilweise überholt". Hier muss zwingend nachgeschärft werden, dass solche Zweifel nicht entstehen, gerade wenn Entscheidungen unter Zeitdruck fallen müssen.

SZ: Was heißt das für die Verantwortung von Oberst Klein?

Guttenberg: Aus militärischer Sicht war seine Handlungsweise angemessen. Die Verfahrensfehler haben keinen Einfluss auf die Frage, ob es mandats- und völkerrechtlich legitimiert war, was er gemacht hat. Nach unserer Einschätzung war das klar der Fall. Zivil- und strafrechtliche Fragen habe ich nicht zu beurteilen.

SZ: Wie passt das zusammen?

Guttenberg: Das passt so zusammen, dass, selbst wenn keine Verfahrensfehler begangen worden wären, es zu dem Luftschlag hätte kommen müssen.

SZ: Was waren denn nun konkret die Verfahrensfehler?

Guttenberg: Zu den Details kann ich nichts sagen, diese sind von der Nato als geheim eingestuft.

Der neue Verteidigungsminister sagte, der Nato-Bericht zu dem umstrittenen Luftschlag in Afghanistan habe Verfahrens- und Ausbildungsfehler festgestellt. Die Bombardierung hält zu Guttenberg aber weiter für angemessen.

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SZ: Zwei Fragen haben die Öffentlichkeit sehr beschäftigt: Wieviele Zivilisten wurden getötet? Und warum wurde der Angriff überhaupt befohlen, wo doch die beiden Tanklaster feststeckten und keine unmittelbare Gefahr darstellten?

Guttenberg: Zur Zahl der Zivilisten gibt es in dem Bericht widersprüchliche Aussagen mit stark schwankenden Zahlen. Trotzdem komme ich persönlich zu dem Schluss, dass es zivile Opfer gegeben hat. Das bedauere ich von ganzem Herzen. Was die Tanklaster angeht, so wären sie im Fall, dass sie flottgemacht worden wären, eine hohe Gefahr nicht nur für das deutsche Feldlager gewesen. Jeder, der schon einmal seinen Pkw festgefahren hat, weiß: Es kann fünf Stunden dauern, um ihn frei zu bekommen, oder auch fünf Minuten. Eine Garantie, dass die Fahrzeuge auf Dauer aus dem Verkehr gezogen waren, gab es somit nicht. Dies wird in dem Bericht in keiner Weise in Frage gestellt.

SZ: Ihr Vorgänger Franz Josef Jung hat gefordert, man müsse Soldaten im Einsatz wie etwa Oberst Klein vor dem Staatsanwalt schützen. Sehen Sie das auch so?

Guttenberg: Wir brauchen ein Höchstmaß an Rechtssicherheit für unsere Soldaten. Da müssen wir uns politisch fragen, ob wir mit unserer Sprache dazu einen Beitrag leisten können. Deshalb habe ich deutlicher als andere gesagt, welche Einschätzung ich von diesem Einsatz in Afghanistan habe. Die Entscheidung der Rechtspflege werde ich aber sicher nicht in Frage stellen.

SZ: Sie haben von kriegsähnlichen Zuständen gesprochen. Heißt das, die größte Rechtssicherheit wäre gegeben, wenn der Krieg in Afghanistan auch Krieg genannt werden würde?

Guttenberg: Nur bedingt. Völkerrechtlich ist Krieg sehr eng definiert, als Auseinandersetzung zwischen Staaten. Daneben gibt es die Kategorie des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts - also hier ein innerstaatlicher Konflikt, in dem die Regierung durch Streitkräfte der internationalen Gemeinschaft unterstützt wird. Man kann davon ausgehen, dass es sich in Teilen Afghanistans um einen solchen Konflikt handelt. Damit würden dort die Grenzen militärischen Handelns vom humanitären Völkerrecht beschrieben. Das hätte zur Folge, dass man sich nicht mehr in den Verästelungen des deutschen Strafrechts befindet.

SZ: Aber wenn Sie jetzt Verständnis dafür äußern, dass Soldaten die Lage in Afghanistan als Krieg empfinden, hat das keine konkreten Auswirkungen?

Guttenberg: Eine Schlussfolgerung könnte sein, dass wir die Begriffe, die nicht mehr zwingend den Herausforderungen dieser Tage entsprechen, auch mal überprüfen. Wenn sich daraus eine völker- wie verfassungsrechtliche Diskussion entfaltet, dann ist das notwendig und gut. Erste zaghafte Zeichen dazu sind jetzt erkennbar.

SZ: Wäre es nicht auch an der Zeit, dass die Bundesregierung eine neue, überzeugendere Begründung für den Afghanistan-Einsatz fände?

Guttenberg: Ich versuche, in diesem Amt eine klare Sprache zu finden und ein Höchstmaß an Transparenz an den Tag zu legen. Dazu gehört, dass man auch über Defizite spricht. Wir befinden uns in Afghanistan in einer Phase des Übergangs. Übergabe in Gesamtverantwortung an die Afghanen bedeutet auch das Ende eines solchen Einsatzes. Diesen Übergang müssen wir sehr viel klarer an Ziele und an Benchmarks, also an Bewertungsmaßstäbe, binden.

SZ: Die Phase des Übergangs scheint uns aber eher eine des Niedergangs zu sein.

Guttenberg: Man darf die fraglos vorhandenen Probleme nicht verschweigen. Es hat ja auch sehr lange gedauert, bis wir uns von dem hehren Traum der sofortigen Demokratisierung nach westlichen Maßstäben in Afghanistan verabschiedet haben. Es ist ja schön und richtig, dass man diesen romantischen Traum gerne träumt. Aber man wird mit ganz anderen Realitäten konfrontiert. Realität ist, dass wir jetzt einen Präsidenten haben, der sich Fragen nach der Legitimität seiner Wiederwahl ausgesetzt sieht und von dem wir klare Schritte etwa bei der Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung erwarten. Auch da kommen wir mit einer klareren Sprache weiter.

SZ: Klarere Sprache kann doch nur eine Art Strafandrohung bedeuten?

Guttenberg: Ich habe bewusst von Benchmarks gesprochen. Es wird Aufgabe der großen Afghanistan-Konferenz sein, die wir hoffentlich so bald wie möglich einberufen können, diese Benchmarks zu setzen. Die Zielsetzungen müssen von ihrer Vagheit befreit werden.

SZ: US-Präsident Barack Obama überlegt schon eine ganze Weile, ob er seine Truppen in Afghanistan aufstocken soll. Was würden Sie ihm raten?

Guttenberg: Ich kann nur den Wunsch äußern, dass die Afghanistan-Konferenz möglichst bald an Benchmarks orientierte Justierungen vornimmt: Eine ehrliche Bestandsaufnahme, anschließend den Sollzustand verbindlich festlegen und erst dann den Weg dorthin fortschreiben.

SZ: Im Dezember muss das Bundestagsmandat für den Afghanistan-Einsatz verlängert werden. Gibt es Änderungen?

Guttenberg: Man sollte sich nicht in eine Lage begeben, wo wir alle zwei, drei Monate gänzlich neu justieren müssen. Das wäre auch der Bevölkerung schwierig zu vermitteln.

SZ: Wenig Verständnis gibt es für die Entscheidung der Koalition, den Wehrdienst auf sechs Monate zu verkürzen. Ist das noch sinnvoll?

Guttenberg: Ziel ist, dass sowohl die Soldaten als auch die Truppe daraus einen tatsächlichen Mehrwert ziehen. Ich halte das für machbar, aber ja, es ist eine echte Herausforderung. Eine konkretere Antwort kann ich Ihnen aber nach einer Woche im Amt noch nicht geben.

SZ: Sie konnten wählen, ob Sie das Innen- oder das Verteidigungsministerium übernehmen. Warum haben Sie sich für das Wehrressort entschieden?

Guttenberg: Ich habe mich für eine außerordentlich fordernde Aufgabe entscheiden dürfen, die mich auch wieder an ein Interessensgebiet heranführt, auf dem ich mit großer Leidenschaft tätig war, der Außen- und Sicherheitspolitik.

SZ: Muss Guido Westerwelle jetzt eine Neben-Außenpolitik aus dem Verteidigungsministerium befürchten?

Guttenberg: Er kann darauf hoffen, dass wir in dieser Regierung Komplementärstrukturen schaffen, wo alle Teile vom jeweils anderen etwas verstehen.

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Quelle:
SZ vom 07.11.2009/bica
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