Guttenberg und Rösler:Adelsmann und Waisenkind

Verteidigungsminister zu Guttenberg braucht nur in ein Paar Wüstenstiefel zu schlüpfen, um den Medien als Inbegriff der Entschlossenheit zu gelten. Gesundheitsminister Rösler war einst Truppenarzt, doch seine Erfahrungen, seine durchaus interessante Lebensgeschichte will offenbar niemand hören. Warum ist das so?

Hans Leyendecker

Karl-Theodor zu Guttenberg ist der Joachim ("Jogi") Löw der Politik. Bei Frontbesuchen am Hindukusch macht der Bundesverteidigungsminister stilistisch betrachtet mindestens eine so gute Figur wie der Fußballnationaltrainer am Spielfeldrand. Selbst seine Splitterschutzweste macht was her. Als der Minister Anfang Dezember nach der Rückkehr aus Afghanistan zum Empfang der Bild-Aktion "Ein Herz für Kinder" eilte, kam er in echten Wüstenstiefeln. Er war der perfekte Mann aus dem Krieg.

2009! Menschen, Bilder, Emotionen

Karl-Theodor zu Guttenberg sitzt in vielen Fernsehshows.

(Foto: ddp)

In dem Adeligen vereinigen sich all jene Werte, die in der Republik etwas gelten: Manieren, die selbst Konrad Adenauers Protokolldame Erica Pappritz gefallen hätten, eine steile Karriere und vor allem viel, viel Geld. Das Familienvermögen der Guttenbergs wird auf mehrere hundert Millionen Euro geschätzt.

Etliche Medien haben den Minister 2010 als eine Art Reservekanzler präsentiert. Focus machte ihn zum "Mann des Jahres", und Bild feierte ihn das ganze Jahr. Guttenberg hat geschafft, was sonst nur Außenministern gelingt, wenn sie nicht gerade Guido Westerwelle heißen: Er ist populär.

Tadellose Manieren hat auch der frühere Truppenarzt und heutige Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler. Selbst Parteigegner bescheinigen dem Freidemokraten ungewöhnliches politisches Talent. Er ist erst 37 Jahre alt, also zwei Jahre jünger als der junge Guttenberg und so diszipliniert wie es sich für einen ehemaligen Soldaten gehört. Das meint, er funktioniert auch unter extremer Anspannung. Rösler kann sich in Pose werfen, aber bei ihm reicht es nicht einmal für die engere Wahl zum Krawattenmann des Jahres.

Was hat der eine, was der andere nicht hat? Die Parteizugehörigkeit allein kann es kaum sein. CSU und FDP gelten beide, wenn auch mit unterschiedlichen Abstufungen, in der Medienwelt als ziemlich fad und marod. Oder ist der Freiherr nur hochgeschrieben worden, und wird er womöglich schon 2011 politisch versenkt werden? Was sagt sein Aufstieg über die Gesetzmäßigkeiten des Medienbetriebes? Den politischen Alltag bestimmen gewöhnlich Büroleiter und zumeist graue Parlamentarische Geschäftsführer, kurz "PGF" genannt. Die Aufmerksamkeit der Medien aber erringen Politiker nicht durch Anpassung oder unauffälliges Mannschaftsspiel. Erst die Provokation sichert Beachtung; der Konvertit erzielt gewöhnlich die größte Resonanz.

Guttenberg gibt den politischen Antipolitiker. Er erinnert im Habitus gelegentlich an den früheren weltläufigen Gentleman-Politiker Walther Leisler Kiep. Der Christdemokrat und zigfache Millionär galt Anfang der achtziger Jahre für einen Moment als potentieller Kanzlerkandidat der Union, er ist Nachfahre jenes berühmten Jakob Leisler, der anno 1691 im Kampf um die Unabhängigkeit New Yorks gehängt wurde. Kiep hat im Alter ein politisches Tagebuch geschrieben, dessen Untertitel "Erfahrungen eines Unabhängigen" lautet. Heute wird mit Guttenberg die Vorstellung verbunden, der sei unabhängig.

Medien lieben Helden

Zu Zeiten der großen Koalition trat er als neuer Bundeswirtschaftsminister für die "geordnete Insolvenz" im Fall Opel ein. Er bot seinen Rücktritt an, falls er einer Lösung im Wege stehe. Der Adelsmann blieb dann doch, aber die Offerte war der Grundstock für den Mythos von seiner Entschlossenheit und Souveränität. Den Krieg in Afghanistan nannte er "Krieg". Das galt da noch als mutig. Und die 2010 auf den Weg gebrachte Aussetzung der Wehrpflicht ist zumindest der Versuch einer großen Reform. Wer hätte sich das außer ihm getraut? Medien lieben Helden und Schurken und nähren sich gern von Legenden.

Freidemokrat Rösler liefert keinen Legendenstoff. Er plagt sich tagein tagaus mit Pharmalobbyisten, Funktionären der Krankenkassen, Repräsentanten aus der Ärzteschaft, Chefs der Apothekenverbände, den Vertretern der Krankenhaus-Organisationen, Gesundheitsökonomen, PR-Beratern und den anderen. Wenn er Lob braucht, redet der Bauchredner am besten mit sich selbst. Er will spätestens mit 45 Jahren aus der Politik aussteigen.

Rösler ist kein Adelsmann, sondern ein Waisenkind aus dem Vietnamkrieg. Ein deutsches Paar adoptierte ihn. Er wuchs bei einem Bundeswehrpiloten auf, er ist verheiratet mit einer jungen Ärztin, beide haben Zwillinge. Eigentlich eine spannende deutsche Lebensgeschichte, Doch die will offenbar niemand hören. Rösler gehört einer Partei an, die derzeit keinen Kopf und keinen Unterleib hat, die soziokulturell ausgeblutet zu sein scheint, ohne eine Idee von sich selbst ist. Auch weil die bürgerlichen Liberalen derzeit keine Vorzeigefigur haben, strahlt der Edelbürger Guttenberg hell.

Nicht nur Politikern und Beamten, die aus niederem Stand den Sprung nach Berlin geschafft haben, hat sich der Eindruck vermittelt, dass das große Polittalent Rösler ein politischer Jedermann ist und dass der Mann von Welt wie Guttenberg beschaffen sein muss. Im Medienbetrieb ist die Wahrnehmung ähnlich. Auch erleben sich einige mediale Akteure im Promi-Wettbewerb mit den Showstars der Politik, und das schafft wiederum neue Gemeinsamkeiten. "Bei den Jüngeren sehe ich keine markanten Unterschiede zwischen Politikern und gleichaltrigen Journalisten", hat der Reporter Jürgen Leinemann einmal festgestellt.

Reiche Leute müssten sich nicht an ein Amt klammern, reiche Leute seien einfach unabhängig: Das wird so geschrieben, wird so gesagt. "Warum macht der Kiep das? Der hat das doch gar nicht nötig", fragte Helmut Kohl einst einen Vertrauten. Für die Sehnsucht eines Menschen nach politischer Macht hat der frühere tschechische Staatspräsident Václav Havel drei Gründe aufgeführt: die Vorstellung von einer besseren Gesellschaftsordnung, Selbstbestätigung und Privilegien. Das Letztere braucht ein Guttenberg nicht, aber das zelebrierte Anderssein kann auch eine sehr spezielle Form der Konformität sein.

Guttenberg-Hymnen in der Bildzeitung

Eigentlich hat Karl-Theodor zu Guttenberg eine ganz normale Parteikarriere absolviert - wenn auch in den vergangenen zwei Jahren auf der Überholspur. Er sitzt seit 2002 im Kreistag und im Bundestag, er hat belastungsfähiges Sitzfleisch entwickelt und erträgt das Palaver in den Kommissionssitzungen. Klammert sich jemand, der mit Politik nicht sein Brot verdienen muss, weniger an ein Amt als der soziale Aufsteiger, der gelernt hat, sich in Mimikry zu üben? Gerhard Schröder wurde der "Medienkanzler" genannt, aber den aus kleinen Verhältnissen stammenden Sozialdemokraten haben Medien gepfählt, als er sich mal in einem eleganten Brioni-Anzug fotografieren ließ. Dass er damals, nach dem Auszug bei der dritten Frau, mehr oder weniger nur noch den einen (zudem günstig) erworbenen Brioni-Anzug im Kleiderschrank hatte, interessierte niemanden. Der Sozi und der Brioni-Anzug passten einfach nicht zueinander.

Vielleicht machen Medien wirklich, wie Schröder manchmal meint, Klassenunterschiede bei der Betrachtung des politischen Personals. Wird denen von unten geneidet, was denen von oben gestattet wird? Guttenberg ist von gutaussehender Intelligenz, er liest, wie andachtsvoll berichtet wird, Platons Politeia im griechischen Original, und Benimm hat er schon früh im Schloss gelernt. Aber ist so einer schon deshalb charismatisch? Er federt beim Reden wie es manchmal große Redner tun, seine Sätze klingen oft bedeutsam, aber die Lektüre ist meist enttäuschend. Was eben noch wichtig klang, ist dann doch nur Allerweltsrhetorik.

Bestenfalls.

Ganz heftig feiern ihn merkwürdigerweise die Medien, die selbst so tun, als wären sie mittenmang, obwohl sie auch ein bisschen randständig sind. Neulich stand über den Hoffnungsträger Guttenberg zu lesen: In ihm stecke "ein gutes Stück 17. Jahrhundert", diese "frühneuzeitliche Zwischenwelt aus Haltung und Aufbruch, ... der Verheiratung von Macht und Methode, dem letzten Einklang von hergebrachter Adelsform und offener Rationalität" (Focus). Für Guttenberg-Hymnen ist auch Bild immer gut, wenngleich sie weniger schwülstig ausfallen. Bild ist zwar die größte Zeitung des Landes, aber Boulevard. Der Duden verwendet als Synonyme für ein solches Produkt die Begriffe "Revolverpresse, Sensationspresse, Skandalpresse, Asphaltpresse". Der Begriff "Leitmedium", den Bild gern hätte, findet sich da nicht. Kritik seriöser Medien an Guttenberg, wie der Vorwurf, er inszeniere sich nur, wirkt allerdings auch nur reflexhaft und sehr angestrengt.

Am erstaunlichsten ist bei alledem der Umstand, dass es die Mediengestalt Guttenberg zweimal gibt. Seine Frau Stephanie wird als "Deutschlands heimliche First Lady" geführt. Sie betet, wenn der Ehemann Minister verhindert ist, beim Gottesdienst für Soldaten, sie war beim Truppenbesuch in Afghanistan dabei und ist überhaupt in der Öffentlichkeit fast so präsent wie er - eine Teilzeitministerin. In anderthalb Jahren hat sie es bei Bild auf rund drei Dutzend größere Geschichten gebracht - mehr als Rösler.

Die auch wegen ihres Äußeren von den Boulevard-Blättern und Gesellschaftsmagazinen stets gelobte junge Frau ist Präsidentin einer Vereinigung gegen Kindesmissbrauch, "nicht einmal der eigene Minister-Ehemann kann ihr die Show stehlen", meinte Bild unlängst.

Ein solcher Einsatz ist im politischen Betrieb der Republik nicht vorgesehen. Vielleicht ist das Paar am Ende doch zu glamourös. "Wenn er Probleme bekommen sollte", sagt ein hochrangiger CDU-Politiker, "dann wegen Stephanie".HANS LEYENDECKER

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