Süddeutsche Zeitung

Guttenberg und der Kundus-Luftschlag:"Zu viele Talkshows, zu wenig Substanz"

Grünen-Fraktionschef Trittin hat viele Fragen an die Kanzlerin und an Guttenberg - dem er den Rücktritt nahe legt. Auch SPD-Fachmann Mützenich ist unzufrieden.

Die Grünen sehen in der Kundus-Affäre die Bundesregierung weiter in akuter Erklärungsnot. Fraktionschef Jürgen Trittin verwies im ZDF auf die unterschiedlichen Aussagen von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und des entlassenen Bundeswehrgeneralinspekteurs Wolfgang Schneiderhan.

Dieser Punkt werde im Bundestags-Untersuchungsausschuss "sehr spannend", sagte Trittin. Falschaussagen vor dem Gremium seien strafbar. Sollten Schneiderhan und Ex-Staatssekretär Peter Wichert bei ihren Aussagen bleiben, "dann ist Guttenberg nicht zu halten". Nach SPD-Chef Sigmar Gabriel legt damit ein weiterer Spitzenpolitiker dem 38-jährigen CSU-Shootingstar den Rücktritt nahe.

Schneiderhan hatte gestern mitgeteilt, der Nato-Bericht mit allen wesentlichen Informationen zum verheerenden Luftangriff von Kundus habe Guttenberg bei seinem Amtsantritt am 28. Oktober vorgelegen. Zudem hätten er und Wichert dem Minister am 25. November auf Nachfrage vier weitere Berichte zu dem Bombardement genannt.

Trittin forderte auch genaue Aufklärung über die Strategie der Bundeswehr in Afghanistan. "Wir haben da einen Verdacht. Es hat im Juli ein Treffen gegeben zwischen der Bundeswehr, dem Bundesnachrichtendienst und dem Kanzleramt. Da hat man sich auf eine neue Strategie verständigt."

Kanzlerin Angela Merkel müsse nun dem Bundestag erklären, "ob es zu dieser Strategie gehört, gezielt und vorbeugend Verdächtige zu töten." Ein solches Vorgehen wäre durch das Bundestagsmandat nicht gedeckt, erklärte Trittin.

Uhl und Wulff fordern mehr Klarheit

Vor dem Hintergrund der Affäre um den Kundus-Luftangriff hat Unions-Sicherheitsexperte Hans-Peter Uhl ein "deutlich robusteres Afghanistan-Mandat" für die Bundeswehr gefordert. Es sei höchste Zeit, "das Mandat so auszugestalten, dass die Bundeswehr voll handlungsfähig ist", sagte der CSU-Politiker der Neuen Osnabrücker Zeitung. Mit den Maßstäben des Polizeirechts lasse sich in Afghanistan wenig ausrichten.

"Die Bundeswehr braucht Klarheit, dass sie Aufständische mit allen Mitteln bekämpfen und auch töten darf", wird Uhl zitiert. Es sei den Soldaten nicht länger zumutbar, dass sie in einem kriegsähnlichen Konflikt nur zur Selbstverteidigung schießen dürften. Die Afghanistan-Konferenz im Januar biete die Chance für eine Korrektur. "Wir brauchen endlich ein ehrliches Mandat, das die Realität am Hindukusch anerkennt", erklärte der CSU-Politiker.

Auch CDU-Vize Christian Wulff wünscht sich mehr Klarheit: Er sprach sich im ZDF für eine Bundestagsdebatte über die Regeln aus, die für die Bundeswehrsoldaten in Afghanistan gelten. Diese Konzepte müssten "die Realität abbilden, die dort vor Ort herrschen, beim Kampf gegen die Taliban".

SPD-Fachmann: Guttenberg tritt zu schneidig auf

Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, wirft Verteidigungsminister Guttenberg eine zu schleppende Aufklärung vor. Er sagte im Deutschlandfunk, Guttenberg müsse im Untersuchungsausschuss in dieser Woche klar Auskunft geben.

"Ich glaube, er macht es sich etwas leicht. Er versucht, andere Verantwortliche zu benennen, ohne selbst Verantwortung tragen zu wollen", sagte Mützenich mit Blick auf die Entlassung von Schneiderhan und Wichert.

Der Minister trage wenig zur Aufklärung bei, sagte der SPD-Politiker. "Zu viele Talkshows, zu wenig Substanz." Möglicherweise sei auch "die eine oder andere Aussage zu schneidig und zu voreilig" gewesen. Entsetzt zeigte sich Mützenich über Berichte, wonach die gezielte Tötung von Talibankämpfern neue Bundeswehrstrategie sein soll. "Wir stehen vor tiefen Abgründen. Die Genfer Konventionen schließen das ganz klar aus."

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, stellte den Fortbestand der Bundeswehr-Eliteeinheit KSK in Frage. Er sagte der Berliner Zeitung: "Wenn jetzt herauskäme, dass die KSK diesen Bombenangriff verantwortet, dann würde die KSK in der jetzigen Form nicht überleben. Dann hätten wir schnell die Debatte Staat im Staate."

Es sei durchaus denkbar, dass die KSK den Einsatz geführt habe. Damit würde sich erklären, warum bestimmte Meldewege nicht eingehalten worden seien, warum der Befehl gebende Oberst Klein seinen Rechtsberater nicht zurate gezogen habe und warum das Isaf-Hauptquartier nicht benachrichtigt worden sei.

Arnold forderte Guttenberg, der einen Rücktritt ablehnt, auf, bei der Aufklärung der Vorfälle nicht auf den Untersuchungsausschuss zu warten. Guttenberg müsse mehrere Fragen klären: "Was hat das KSK in dieser Nacht gemacht? War der BND vor Ort? Welche Aufgaben hat die Taskforce 47, und welche Soldaten sind dort dabei?" Das müssten die Generäle dem Minister sagen.

"Wenn sie das nicht tun, dann hat er sein Haus nicht im Griff. Wenn er es weiß und es uns nicht sagt, ist das genauso wenig akzeptabel." Viele Fehler könne sich Guttenberg nun nicht mehr leisten, sagte Arnold.

Kritik aus der evangelischen Kirche

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sieht den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zunehmend kritisch. EKD-Auslandsbischof Martin Schindehütte sagte der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung: "Die Bundesregierung hat immer wieder vom notwendigen zivilen Aufbau Afghanistans gesprochen, aber nun hat die Kriegslogik die völlige Dominanz gewonnen." Bisher habe die Evangelische Kirche den Afghanistan-Einsatz toleriert, "aber jetzt müssen wir uns auch als Kirche kritisch fragen, ob man nicht diesen Krieg beenden muss".

Am Wochenende waren Guttenberg und auch Merkel immer mehr in den Sog der Kundus-Affäre geraten. Die Bundeswehr soll bei dem Luftschlag vor allem die Tötung von Taliban-Führern ins Visier genommen haben - und nicht nur die Zerstörung der entführten Tankwagen. Das Bombardement soll Folge einer verschärften Einsatzstrategie sein, in die das Kanzleramt involviert gewesen sein könnte.

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