Guttenberg: Plagiatsaffäre:Der leere Schein der Wissenschaft

Die vielen Plagiate in Guttenbergs Dissertation sind keine Lappalie. Auch die Zahl der Fußnoten und der Umfang der Arbeit zeigt, dass hier etwas im Argen liegt: Ist das überhaupt Wissenschaft?

Thomas Steinfeld

Das Buch "Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU" (Berlin 2009), die juristische Dissertation des Verteidigungsministers, besteht zu einem großen, wenn nicht zum überwiegenden Teil aus nicht ausgewiesenen Übernahmen aus Werken anderer Autoren. Zu einem geringen Teil gibt Karl-Theodor zu Guttenberg diese Übernahmen zu.

Experten: Plagiats-Affaere koennte dem Minister sogar nuetzlich sein

Der Minister und die Fußnoten: Die Aufnahme zeigt das Buch mit dem Titel "Fußnoten", geschrieben vom Großvater des Verteidigungsministers, neben Guttenbergs Doktorarbeit, die derzeit für Wirbel sorgt.

(Foto: dapd)

Er erklärt sie aber zu einem Versehen und verwandelt die Frage nach Grund und Inhalt des Abschreibens in eine Herausforderung an Person und Charakter. Deswegen reagierte er mit einem "Ehrenwort", deswegen verwies er auf seine Belastungen durch Arbeit und Familie, deswegen erklärte er "vereinzelte", fehlerhaft ausgeführte oder ausgelassene "Fußnoten" zu einer Lappalie, die angesichts seiner Aufgaben als Kriegsherr in Afghanistan nicht weiter ins Gewicht fallen dürften. Und deswegen gab er bekannt, er wolle den Doktortitel "vorübergehend" nicht mehr führen.

Nun hatte er aber den Doktortitel weder für seine Persönlichkeit und seinen Charakter noch für seine Leistungen als Politiker, Vater oder Minister verliehen bekommen. Den Titel erhält man für eine wissenschaftliche Leistung, weshalb sich der solchermaßen Ausgezeichnete auch nicht entscheiden kann, ob er seinen Doktor "ruhen" lässt oder nicht. Das Zuerkennen oder Aberkennen eines akademischen Titels ist allein Sache der Fakultät, die ihn verleiht.

Und hier, mit der Wissenschaft, beginnt das Problem mit dieser Dissertation - einem Werk übrigens, das sich ohne großen Aufwand in seiner ganzen Länge im Internet finden lässt.

Dass hier, im Wissenschaftlichen, etwas im Argen liegt, darauf verwies schon die Erklärung Guttenbergs, seine Arbeit umfasse "über 1300 Fußnoten und 475 Seiten". Das mag so sein, und es gibt historische oder philologische Arbeiten, die, vor allem wenn sie quellenkritisch vorgehen, einen solchen Aufwand im Umgang mit Belegstellen und Referenzen notwendig erscheinen lassen. Denn in den Fußnoten wird, aus Gründen, die keineswegs in den Fußnoten selbst liegen, dokumentiert, dass der Kandidat den Stand der Forschung kennt und sich in ihm zu bewegen weiß. Ein Wissenschaftler, der etwas zu sagen hat, hält daher die Zahl der Fußnoten so knapp wie gerade eben nötig.

Anders ist es, wenn schon die Zahl der Fußnoten selbst als wissenschaftliche Errungenschaft gelten soll: Denn darin offenbart sich nicht nur eine Beflissenheit gegenüber dem Forschungsstand (oder dem Stand des akademischen und publizistischen Geredes), die einem selbständigen wissenschaftlichen Urteil nur schlecht ansteht, sondern auch eine beträchtliche Ignoranz gegenüber dem Zweck von Fußnoten. Anders gesagt: Im universitären Betrieb irgendwie mitmachen zu dürfen, aus ganz und gar nicht wissenschaftlichen Gründen - das ist der Sinn der zu einem eigenen, selbstbewusst auftretenden Ausdruck von Wissenschaftlichkeit verkommenen Protzerei mit den Quisquilien der akademischen Arbeit.

Gleiches gilt für den Umfang einer Dissertation: Das Volumen einer Dissertation dokumentiert nur, dass einer viel zu sagen hat, nicht dass er etwas zu sagen hat. Es beweist nichts, was eines Beweises würdig wäre.

70 Prozent markiert

Welches Ausmaß die Unselbständigkeit der angeblich wissenschaftlichen Arbeit in der Dissertation Karl-Theodor zu Guttenbergs annimmt, offenbart die Internetseite "GuttenPlag Wiki". Sie wurde am Donnerstag vergangener Woche geschaffen, nachdem, auf einen Hinweis des Bremer Juristen Andreas Fischer-Lescano hin, die SZ über erstaunliche Parallelen zwischen der Dissertation des Verteidigungsministers und anderen, teils wissenschaftlichen, teils allgemein politischen Texten berichtet hatte.

Guttenplag.wiki

Identifizierungscode einer Doktorarbeit: Die Seiten, auf denen laut der Internetseite www.guttenplag.wikia.com Plagiate gefunden wurden, sind schwarz markiert. Die roten Striche sollen Seiten mit Plagiaten mehrerer Quellen zeigen.

(Foto: GuttenPlag Wiki)

Am Freitagabend waren unter dieser Adresse schon mehr als hundert Seiten der Dissertation markiert worden, die jeweils eine nicht ausgewiesene Übernahme oder gleich mehrere Plagiate aus Werken anderer Autoren enthielten - einige erstrecken sich über Seiten. Die Autoren waren dabei offensichtlich so vorgegangen, dass sie auffällige Stellen aus dem Text der Dissertation über Google suchen ließen. Und auffällige Stellen, das waren Formulierungen wie "Invocatio Dei" oder "legislative referendum", Wendungen also, an die man sich leicht und gut erinnert.

Am Samstagabend, dem derzeit letzten verfügbaren Stand, waren schon 268 Seiten und damit fast siebzig Prozent der Arbeit markiert. Die erstaunlichen Fortschritte der anonymen Detektive sind dabei offenbar zumindest zum Teil einem Wechsel der Suchtechnik zu verdanken: Nicht mehr nur nach auffälligen Passagen wird gefahndet, sondern auch nach besonders unauffälligen. Denn mittlerweile war offensichtlich, dass die Arbeit zu einem großen Teil aus Entleihungen bestehen musste, mithin aus gedanklich allenfalls halb bewältigten Arbeiten anderer Leute.

Diese Versatzstücke aber müssen ineinandergefügt, zumindest zum Schein zu einem fortlaufenden Text montiert werden. Das aber geschieht mit Bindewörtern wie "demzufolge" oder "folglich", mit Floskeln des Übergangs wie "ein weiterer Punkt:", "Von Interesse ist zunächst die generelle Frage:" oder, ganz frech: "Szenenwechsel". Fast in jedem Fall, nach beinahe jeder solchen Fügung schließt sich ein neuer, diskontinuierlicher Gedanke, ein fremdes Bild, eine ruckartige Verschiebung der Argumentation an.

Diese gewaltsamen Fügungen sind Ausweis einer Vernunft, die etwas tut, das ihr widerstrebt. Hier arbeitet ein Maurer, der Fremdes schichtet, anstatt Eigenes zu bauen. Und wenn man Peter Häberle, dem Doktorvater des Verteidigungsministers, nicht vorwerfen kann, all die Werke nicht zu kennen, die sein Kandidat benutzte - und das muss schwierig sein, weil die Arbeit weniger im streng Juristischen als im historischen Vergleich verschiedener Rechtskulturen angesiedelt sein soll -, so wird ihm doch vorzuhalten sein, kein Augenmerk gehabt zu haben für den Duktus von Gegenstand, Urteil und Schluss, für die Entwicklung der Argumente und für die leeren Floskeln mehr oder minder willkürlich aneinandergereihter Passagen.

Oder sollte es so sein, dass der bloße Schein von Wissenschaft, die leere Suggestion akademischer Arbeit nicht nur in dieser Dissertation den Stand der akademischen Arbeit markiert? Sollten der vom Kitt der Füllwörter hervorgebrachte Schein argumentativer Konsistenz, die Suggestion von Plausibilität, also der Anschein von Wissenschaft an vielen Institutionen, an vielen Universitäten so selbstverständlich sein, dass sie nicht mehr auffallen? Dass der Autor dieser Doktorarbeit, ob es nun der Minister selber war oder auch nicht, zumindest geahnt hat, in welchem Duktus man durchkommen kann? Denn immerhin verrät ja der Umstand, dass die meisten fremden Passagen mit kleinen Änderungen übernommen wurden, dass der Sammler und Kleber genau wusste, was er tat.

Lange noch könnte man sich aufhalten mit den Formeln der willkürlichen Fügung. Was, zum Beispiel, ist gesagt, wenn es heißt: "Demzufolge ist eine weitere Lehre aus den Erfahrungen ..."? Das Wort "weitere" bietet sich an, wenn ein Autor dem Prinzip der nicht abgeleiteten Reihung folgt, das darauf gesattelte Kausaladverb "demzufolge" taugt gut als eine Ankündigung, auf die nichts folgt als ein Anspruch, der ins Nichts führt. Und eine Passage, die mit der Wendung beginnt: "Es überrascht kaum..." kann mit geringem rhetorischen Aufwand die Anwesenheit eines Arguments suggerieren, ohne es aus den Kulissen treten lassen zu müssen.

Angesichts solcher Cluster von kopierten Passagen, die den Kitt der suggestiv-unscheinbaren Floskeln auch deshalb benötigen, weil hier ja nicht ein Autor einen Gedanken entwickelt, sondern eine Vielzahl von Autoren durcheinanderreden, entfaltet die große Zahl der Fußnoten ihren eigentlichen Sinn: Sie dienen dazu, die Fassade einer durchgehenden Argumentation zu errichten, sie sollen einen Fortgang des Gedankens plausibel werden lassen gerade dort, wo es ihn nicht gibt. Denn weil die Fußnoten Signale der Wissenschaftlichkeit sind, symbolische Repräsentanten der scientific community, lassen sie sich leicht als Autorität einsetzen, die einen Text insgesamt beglaubigt. Aus diesem Grund häufen sie sich in dieser Arbeit immer dann, wenn sie auf eine These (die es dann aber doch nicht gibt) zuzulaufen scheint.

Ein Minister braucht keinen Doktortitel

Auf der Internetseite GuttenPlag Wiki arbeiten, wie es heißt, mindestens zwei Mitarbeiter daran, jede inkriminierte Stelle zu prüfen. An diesem Montag will sie das Ergebnis der kollektiven Mühe der Öffentlichkeit vorstellen. So weit sich durch Stichproben ermitteln lässt, scheint es bei der Indizierung der Übernahmen mit rechten Dingen zuzugehen - und selbst wenn der Eifer auch einige eher zweifelhafte Passagen ans Licht getrieben haben mag, so reicht die Menge der verifizierbaren Plagiate doch aus, um sich über die Qualität dieser Dissertation nicht beruhigen zu können. Und es gilt umso mehr, als die Möglichkeiten der Suchtechnik bislang weitgehend auf die Texte beschränkt sind, die über Google erreicht werden können.

Schon bei Google-Scholar oder Google-Books ist das Korpus schwieriger zu erreichen. Denn darin findet man allenfalls zwei, drei Zeilen der Phrase, die man sucht, worauf man zuerst ins Bibliographische und dann möglicherweise auf den physischen Text übergehen muss, um die Fahndung weiterzutreiben. Und bislang kaum erfasst sind die Texte, die nur auf Papier zugänglich sind. Dazu gehören Nachschlagewerke, Fachwörterbücher, Lexika, Kompendien, die meist aus Gründen des Urheberrechts nicht im Internet verfügbar sind.

Nichts ist offenbar zum Plagiieren zu klein. Kopiert wird sogar aus einem landläufigen VWL-Lexikon, in dem zum Stichwort "Subsidiaritätsprinzip" zu lesen ist: "Die Verantwortung für eine Aufgabe ist der jeweils kleinsten dafür geeigneten Einheit zu übertragen." Und in der Dissertation des Verteidigungsministers ist zu lesen: "Schließlich bedeutet Subsidiarität in diesem Kontext, dass die jeweils kleinste Einheit selbstverantwortlich alle die Herausforderungen erledigt, die sie schultern kann." Und auch im Großen geht es forsch voran, unter anderem mit einem Plagiat aus einer zehn Jahre alten Rede Edmund Stoibers.

Ein Politiker muss nicht promoviert sein. Ein Minister auch nicht. Überhaupt muss keiner, der nicht Professor werden will, promovieren. Aber wenn es einer tut, dann ist das nicht nur eine Aussage über ihn und seine persönlichen Qualitäten, sondern auch ein Urteil über die Universität und ihre Wissenschaft.

Diese Tatsache, und nur diese, ist der Grund dafür, dass die Vielzahl von Plagiaten in dieser Dissertation keine Lappalie ist. Sie wäre es auch dann, wenn die Dissertation nicht die Bestnote, das Prädikat "summa cum laude" erhalten hätte. Denn sie gefährdet nicht den Grad des wissenschaftlichen Ertrags, sondern das Fundament: Ob es sich hier überhaupt um Wissenschaft handelt.

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