Gerade die Guttenberg'sche Schnellschuss-Masche birgt allerdings das Risiko, sich zu verrennen - und eilig korrigieren zu müssen. Dann springt der zweite Guttenberg ein: Er beteuert mit größter Ernsthaftigkeit im Grunde genommen das Gegenteil von dem, was der erste Guttenberg vehement vertreten hat.
Wagenburg um den Unions-Star: Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem Minister Karl-Theodor zu Guttenberg.
(Foto: REUTERS)Bei welcher seiner großen Klartext-Entscheidungen musste sich der Bundesverteidigsminister eigentlich nicht revidieren?
Bereits in der Kundus-Affäre laviert sich Guttenberg mit dieser Taktik durch: Forsch deklariert der frisch ins Amt gekommene Verteidigungsminister im Herbst 2009 den umstrittenen Luftschlag auf zwei von den Taliban gekaperte Tanklaster als "militärisch angemessen" - trotz der vielen toten Zivilisten und Verfahrensfehlern. Vier Wochen später steht ein anderer Guttenberg vor dem Bundestag und räumt das Gegenteil ein. Er müsse seine Beurteilung "rückblickend mit Bedauern korrigieren". Aus "militärisch angemessen" wird "militärisch nicht angemessen".
Aber: Schuld tragen nach Guttenbergs Lesart andere. Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert hätten ihn nicht ausreichend informiert. Der Minister feuert sie. Beide widersprechen der Darstellung Guttenbergs, der entlassene General schäumt sogar öffentlichkeitswirksam in der Zeit.
Ähnlich wendig zeigt sich der Minister bei der Wehrpflicht. Eine Abschaffung sei mit ihm "nicht zu machen", verkündet Guttenberg im März 2010. Im Juni pocht der Minister plötzlich auf ihr Ende. Die Begründung: Er wolle sparen. Inzwischen will er allerdings erst mal doch nicht sparen. Im Gegenteil: Er verlangt von Finanzminister Wolfgang Schäuble zusätzliches Geld - um die Wehrreform finanzieren zu können.
In der Causa Gorch Fock wechselt Guttenberg seine Positionen ebenso deutlich. Als Medienberichte um angeblich unzumutbare Zustände auf dem Segelschulschiff der Marine hochkochen, stellt sich der Minister vor den Kapitän: Vehement verbittet er sich, den Kommandanten vorzuverurteilen.
Dann demonstriert Guttenberg, wie sensibel er selbst auf Presseberichte reagiert: Nach weiteren negativ Schlagzeilen über die Gorch Fock suspendiert Guttenberg Kapitän Norbert Schatz. Des Ministers Worte "Es reicht" kolportiert die Bild-Zeitung. Eine Gelegenheit, zu den Vorwürfen - oder den Vorverurteilungen, wie Guttenberg sagt - beim Minister Stellung zu nehmen, bekommt der Kapitän vor der Entscheidung seines Dienstherren nicht.
Ein Ausdruck für diese Eigenschaft lautet Janusköpfigkeit, benannt nach einer römischen Gottheit mit doppeltem Antlitz, eins vorne, das andere hinten. Eine Person, zwei Gesichter: So inszeniert Karl-Theodor zu Guttenberg seine Selbstkorrekturen und Volten.
Allein ist er damit freilich nicht: Auch manche anderen Politiker, aber ebenso Wirtschaftsführer und sogar Sportlergrößen versuchen sich auf diese Weise aus misslichen Situationen zu befreien. Bei vielen verfängt es nicht. Doch es mimt auch kaum einer den großen Berichtiger so virtuos wie der Freiherr aus dem Fränkischen.
Wie einst Ludwig Erhard
Aktuelle Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Deutschen ihn, trotz aller Widersprüche und Apkupferei, als Minister behalten will. Vielleicht schwingt hier eine Sehnsucht mit, die ein Unionsmann im Gespräch mit sueddeutsche.de so umschreibt: "Er gibt den Menschen Hoffnung. Guttenberg kann die Menschen mitziehen - so wie einst Ludwig Erhard." Der langjährige Wirtschaftsminister stand für das Wirtschaftswunder - "so wie Guttenberg heute für die Hoffnung auf ein besseres Deutschland steht".
Als Hoffnungsträger dient Guttenberg im Superwahljahr zuerst einmal der Union. Darum stärkt ihm CSU-Chef Horst Seehofer demonstrativ den Rücken, deshalb lässt auch die CDU-Vorsitzende Angela Merkel den janusköpfigen Minister nicht fallen. Darum bildet die Union nun eine Wagenburg um ihren ertappten Helden.
Der knallige Auftritt in Kelkheim bei dem als ultrakonservativ geltenden hessischen Landesverband ist demnach nur konsequent. Guttenberg zeigt dort, wie er sich in den nächsten Monaten präsentieren wird: Als der Aufrechte, den kein Sturm der Medien umwirft.
Er habe ja schon mal erleben dürfen, "welchen Furor bestimmte Debatten auslösen", berichtet er seinen Parteifreunden. Guttenberg meint die Zeit kurz vor Weihnachten. Längst nicht alle fanden es elegant, wie er sich mit seiner Frau und einem TV-Moderator in Afghanistan inszenierte. Und nun ruft Guttenberg: "Diese Debatte hat mich darin bestärkt, dass ich meine Frau auch dieses Jahr wieder mitnehme."
Das Publikum jubelt. Die oberfränkische Wettertanne, sie steht. Noch.