Gut so, schlecht so (19):Politik vor der Blümchentapete

Inszenierung gegen Inszenierung im Stimmenkampf - wenn auf softe Politiker Journalisten mit Mätzchen und Tempowahn reagieren. Eine Bilanz zum Medienwahlkampf.

Hans-Jürgen Jakobs

Wer partout nach einer Zeitungsüberschrift dieses Wahlkampfs sucht, wird schnell auf "Yes, we gähn!" stoßen. Das war jene Verballhornungsschlagzeile, die sich Bild nach dem "TV-Duell" zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier einfallen ließ. Die Boulevardzeitung aus Hamburg hat sich überhaupt alle Mühe gegeben, der lahmenden, großteils substanzlosen politischen Auseinandersetzung jenen Drive zu geben, der Gameshows auszeichnet.

Gut so, schlecht so (19): Kanzlerin Merkel (CDU) und Kanzlerkandidat Steinmeier (SPD) mit den Moderatoren des TV-Duells: Frank Plasberg (ARD), Peter Limbourg (SAT.1), Maybrit Illner (ZDF) und Peter Kloeppel (RTL)

Kanzlerin Merkel (CDU) und Kanzlerkandidat Steinmeier (SPD) mit den Moderatoren des TV-Duells: Frank Plasberg (ARD), Peter Limbourg (SAT.1), Maybrit Illner (ZDF) und Peter Kloeppel (RTL)

(Foto: Foto: AFP)

Mit Bild konnte das Publikum auf den Wahlausgang tippen, und am Samstag vor der Wahl verrieten dann schließlich 100 Mitarbeiter des Springer-Blatts, was sie wählen werden. Während das halbe Dutzend aus der Redaktion der taz, die zuvor auf diese Idee gekommen waren, SPD, Grüne und Linke wählen, fehlt in der Bild-Crew die Linke, dafür kommen hier CDU und FDP zum Zug. So in etwa hat man sich das schon gedacht mit der politischen Orientierung bei diesen beiden Publikationen.

Journalisten fragen Journalisten

Da den obersten Spitzenkandidaten Merkel und Steinmeier das Streiten so schwer fiel, weil sie es sich in vier Jahren harmonischer Koalition ordentlich weggearbeitet haben, nahmen sich Journalisten in diesem Wahlkampf wichtig, ganz wichtig. Früher fragten Journalisten Politiker, jetzt fragen überall Journalisten Journalisten, gerne auch ehemalige Journalisten. In allen Talkshows saßen sie herum und priesen ihre Vermutungen an, als würde sich der Lauf der Welt danach richten.

Es gibt mittlerweile eine stattliche publizistische Wanderkohorte, die von Sender zu Sender zieht. Die Wanderer heißen Hans-Ulrich Jörges, Helmut Markwort, Michael Spreng oder Günther Jauch, sie zittern nicht beim Mikrofon-Halten und interpretieren einfach alles. Und wem nichts mehr einfällt, der kritisiert einfach die Journalisten in diesem Wahlkampf.

Die Not war wirklich so groß wie die Erkenntnis klein war. Der Unlust der führenden Politiker, sich mit den großen Krisenthemen ausgiebig und ehrlich auseinander zusetzen, stand die große Zahl von Fernsehsendungen gegenüber, die gefüllt werden müssen. Sie heißen "Formate", auch wenn es an solchem fehlt. Talkshows wie "Kerner" oder "Beckmann" wollen auch beim großen Punkte-Vergeben dabei sein, beim Rätselraten, wer von den Kandidaten sich besser schlägt.

Rhetorik im Stakkato

Erst recht verstehen sich die großen Wochenerklärsendungen wie "Anne Will" oder "Maybrit Illner" als kleine Kammern des politischen Geschäfts, das sich bitte schön nach den Quotenschritten des Fernsehens zu richten hat, also im Stakkato Rhetorik liefern soll.

Ein Ergebnis war "Illner intensiv", ein Schnellkurs in politischer Kochkunst, bei dem jeweils eine Partei in kurzer Zeit durchgecheckt wurde. Noch mehr Tempo wollte nur der Privatsender Sat 1 in die politische Arena zaubern, und verwirrte mit der permanenten Abfolge von E-Mails und SMS-Mitteilungen der Zuschauer nicht nur die anderen Zuschauer, sondern offensichtlich auch die etwas älteren Moderatoren Sabine Christiansen und Stefan Aust, für die es eine Art "Comeback-Show" war.

Die Verweigerung des politischen Personals, bei diesen circensischen Übungen auf Bestellung Tricks oder Trapezkunststücke zu produzieren, ging soweit, dass sich die Kandidaten im TV-Duell einfach nicht angiften wollten. Dem setzten die vier Moderatoren den untauglichen Versuch entgegen, mit immer verrückteren, scheinbar frecheren Fragen den Panzer der großkoalitionären Harmonie zu brechen, mit ungebremsten Mätzchen. "Welche Noten geben Sie sich?" - "Wissen Sie, wie teuer ein Friseurbesuch ist?" - "Wer ist Tiger, wer ist Ente?" Die Güte dieser Provokationen taugt allenfalls für Volontärkurse, Abteilung "Not to do".

Die Aura der entrückten Kanzlerpräsidentin

Das ist vielleicht die Lehre aus dem Medienwahlkampf 2009: Die Inszenierung der Politiker wird nicht besser, wenn die Journalisten mit ähnlicher Inszenierung reagieren. Und das ist ganz sicher die größte Blamage der vergangenen Wochen: Nicht ein einziges Mal haben die Spitzenkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien in einer Debatte ihre Argumente präsentiert. Ganz altmodisch hätte man sich Gespräche über Außenpolitik, Krieg, Bildung, Wirtschaft, Arbeit oder Innere Sicherheit vorstellen können - erst recht angesichts der real existierenden Problemlage.

Statt dessen: Schweigen. Im Fernsehen spielten sie Konserven früherer TV-Debatten.

Natürlich geht der Blümchentapetenstil dieses Wahlkampfs auf die Kanzlerin zurück, die im Desaster der Rezession auf ihren Amtsbonus setzte, auf die Aura einer entrückten Kanzlerpräsidentin, die dem Volk pünktlich aus Pittsburgh zeigt, was Deutschland bewegen kann, mit ihr und von ihr aus auch mit einem SPD-Finanzminister an ihrer Seite. Mutter Merkel ist die beste.

Im Internet kam ihre CDU noch am besten zurecht, ohne aber im Entferntesten jene Durchschlagskraft zu erreichen, die Barack Obama in den USA gezeigt hatte. Da konnte Merkel noch so oft von "Wir" sprechen und ihrem nickenden Dauerinterviewer auf CDU-TV die klobigen Parteiparolen unterjubeln, eine Massenbewegung wurde aus "teAM deutschland" nicht. Immer noch besser aber als die "FWS"-Kampagne der SPD für ihren Vormann Steinmeier, dem Twittern auch nicht aus der Charisma-Falle half.

Man kann dem Sozialdemokraten im Kampf um Stimmen nicht Feigheit vor dem Banalen vorwerfen. Immerhin öffnete er die Tür seines Privathauses für eine "Home Story" in Bunte, dem Spezialist für Zwischenmenschliches. Die Reporter konnten reines Eheglück am Frühstückstisch feststellen - eine Recherche, die Angela Merkel ihnen ersparte, da sie sich und ihren Mann Joachim Sauer für solche Geschichten nicht zur Verfügung stellt.

Von Rouladen und Artischocken

Die Kanzlerin erzählte in diesem Wahlkampf verdächtig oft vom Kochen, von Rouladen, die sie gerne mache, oder von Artischocken, die sie kaufe. Der Mehrheit der Frauen kam sie in langen Interviews mit Cosmopolitan oder Emma nahe. Hier musste Steinmeier passen. Er konnte den Männern erzählen, wie das war, als er in Brakelsiek Fußball spielte und noch "Prickel" hieß und in der ostwestfälischen Heimat nicht auf "Acker" traf, wie sein langjähriger Fußball spielender Chef Gerhard Schröder genannt wurde.

Okay, viele hatten Schröder in der Vergangenheit für seinen "Medienkanzler"-Stil gerügt, für seine ungehemmt offene Lust an der Inszenierung. Und doch bleibt der Eindruck, dass es 2002 und 2005 mehr politische Kontroversen gegeben hat als im softigen Flausch-Wahlkampf 2009, mitten in der Krise. Daran ändern auch die häufigsten Sätze der vergangenen Wochen nichts: "Es wird spannend" und "Es wird knapp".

"Yes, we gähn", und Angela Merkel bleibt Kanzlerin.

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