Gut so, schlecht so (7):Beute und Meute

Der Fall Brender im ZDF zeigt: Im Kampf um TV-Bilder haben die größten Parteien Platzvorteil. Muss eine Auszeit her? Die Kolumne zum Medienwahlkampf.

Hans-Jürgen Jakobs

Um es gleich vorneweg zu sagen: Der Vorschlag ist charmant, aber vollkommen unrealistisch. Ein Jahr lang vor wichtigen Wahlen sollten sich Politiker in den Gremien der öffentlich-rechtlichen Sender zurückhalten, also eine richtige "Auszeit" nehmen - das forderte Nikolaus Brender kürzlich auf der Jahrestagung des Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche.

ZDF Roland Koch Nikolaus Brender, dpa

ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender (rechts) will Politikern eine Sendepause verordnen - das hätte ihn wohl vor dem Konflikt mit Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) geschützt.

(Foto: Foto: dpa)

Ein Jahr Auszeit - das hätte den ZDF-Chefredakteur womöglich gerettet, denn es waren nur noch sieben Monate hin bis zur Bundestagswahl, als der hessische Ministerpräsident und ZDF-Verwaltungsrat Roland Koch (CDU) im Februar 2009 zum großen schwarzen Befreiungsschlag ausholte und ankündigte, man wolle den im März 2010 auslaufenden Vertrag Brenders nicht verlängern.

Man hat sich ja schon daran gewöhnt, dass Spitzenpolitiker das Mobiliar der einschlägigen Talkshows von ARD und ZDF häufiger abwohnen, je näher der große Wahltermin rückt. Auch sitzen sie gern in der ersten Reihe bei Unterhaltungsshows.

Die relevante Gesellschaft schlechthin

Wo es keine intellektuelle Hoheit mehr über politische Programme gibt, oder so etwas wie ein inneres Ordnungssystem, da soll es wenigstens eine Hoheit über Bilder geben - am besten in jenen gebührenfinanzierten Sendern, in denen man in Gremien ohnehin etwas zu sagen hat.

Der Intendant will wiedergewählt und das von ihm ausgesuchte Personal bestätigt werden - das macht ihn regelmäßig abhängig von den Räten, also von Fernsehräten, Rundfunkräten oder Verwaltungsräten. Bei den elektronischen Medien gibt es noch eine Rätedemokratie, und dabei begreifen sich die Parteien als wichtigste "gesellschaftlich relevante Gruppe", ja manchmal sogar als relevante Gesellschaft schlechthin. Der "Meute", den in Berlin überall lauernden Reportern, setzen sie ihre "Beute" entgegen.

So kommt es am Ende, dass die über das Wohl und Wehe von Sendern entscheidenden Politiker im Gegenzug bei Beckmann, Kerner, Anne Will, Maybrit Illner und Sandra Maischberger, wie all die Spitzenmarken des deutschen Politainments heißen, freien Zugang haben. Das ist ihre Plattform, um Sympathiepunkte zu holen. Die im TV geradezu mütterliche Kanzlerin Angela Merkel und ihr SPD-Herausforderer, so trocken wie wagemutig, überbieten sich derzeit mit Soloshownummern, die dem großen Robert Lemke alle Ehre gemacht hätten: "Was bin ich?"

Auf der nächsten Seite: Eine Rochade zugunsten der Union, Anrufe in den Redaktionen und der saubere Tatort Fernsehen.

Gestritten wie Strauß und Wehner

In den Räten aber wird die Präsenz in den volksnahen Shows, die Ausgewogenheit auf dem Schirm, in geradezu unheimlicher Weise begleitet. Die Größen von Union und SPD haben augenscheinlich im ZDF, wo der Staat den direktesten Zugang zu haben scheint, die für sie wichtigsten Journalisten ausgekegelt. Brender muss gehen, weil eine größere Personalrochade ins Laufen kommt, bei der am Ende für die Union offenbar in der Leitung des Hauptstadtstudios eine ihr genehme Person herausspringt, egal, ob die das auch so sieht. So könnte es in dieser Funktion auf Bettina Schausten zulaufen.

Der Noch-Chefredakteur des ZDF berichtet von Anrufen und Kontakten der Politiker direkt in die öffentlich-rechtlichen Redaktionen, und dass er sich das verbeten habe. Die schlechten Tendenzen von früher seien wieder zu bemerken. Wenn er einen Anruf von Politikern bekomme, dann habe er sich eine einfache Taktik zurecht gelegt, sagt Brender: Er biete an, dass sich der Gesprächspartner schriftlich äußere. Ersatzweise ging Brender dazu über, dem Anrufer selbst einen Brief zu schicken, der die geäußerten Wünsche festhält. Solche Dokumenten mögen die TV-Interventionisten ganz und gar nicht: Der Tatort Fernsehen soll spurenfrei bleiben.

Absage an Söder

Brender ging auch nicht in jene berühmt-berüchtigten schwarzen und roten ZDF-Freundeskreise, obwohl der einstige baden-württembergische Spitzenfunktionär der Jungen Union ja auf dem "roten Ticket" Karriere auf dem Lerchenberg machte. Und Brender erzählt, wie beispielsweise der CDU-Politiker und langjährige ZDF-Fernsehrat Markus Söder um ein Treffen bat, das für ihn wichtig sei - er aber solche intimen Runden ablehne.

Es scheint von Büchsenspannern und Pfeilwerfern nur zu wimmeln, wo es eigentlich um Recherche und Erkenntnis geht. So ist es eine rechte Pein für alle, die auf Unabhängigkeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk drängen. Es regieren die Lager, nicht fröhlich, aber siegesgewiss. Und weil die Union in den vergangenen Jahren nun einmal mehr Wahlen gewann als die SPD, glaubt sie, auch durchregieren zu können in den Sendeanstalten. Irgendetwas muss man ja davon haben.

Fast den Betrieb lahmgelegt

Auch bei der ARD läuft es offenbar bei vielen Stationen so ähnlich wie im ZDF, wenn auch nicht ganz so nach außen politisiert. Das jedenfalls ahnt Chefredakteur Brender, der vorher im WDR und im früheren Südwestfunk gearbeitet hat. Immerhin kann Werner Hahn, Justitiar des NDR, darauf verweisen, dass in seinem Sender kein Minister mehr im Verwaltungsrat wirkt. Früher hatten sich CDU und SPD in der Hamburger Zentrale gestritten wie Strauß und Wehner im Bundestag und darüber den Betrieb fast lahmgelegt.

Das aktuelle Modell der NDR-Ministerabsenz ist zur Nachahmung empfohlen - auch wenn es beispielsweise einst nichts half, dass die damaligen SPD-Vertreter Wolfgang Clement und Heide Simonis demonstrativ den ZDF-Verwaltungsrat entrückten.

Nikolaus Brender kann jetzt offen über die Kalamitäten reden. Er ist schlau genug um zu wissen, dass es sich bei dem Affront Kochs nicht um einen Amoklauf des Hessen handelte, sondern wohl eher um eine konzertierte Aktion, bei der die Kanzlerin und ihr Vasall im ZDF, der Ex-Parteigeschäftsführer Willi Hausmann, eine Rolle spielten und wohl auch der Noch-Partner in der großen Koalition, die SPD.

Es knisterte im Studio

Die Freunde des Altkanzlers Gerhard Schröder hatten sich über Brenders Widerspenstigkeit in der Elefantenrunde am Bundestagswahlsonntag 2005 geärgert. Der Moderator hatte einfach Vorwürfe wegen einer angeblichen "Medienkampagne" ausgekontert und irgendwann nur von "Herrn Schröder" gesprochen. Es knisterte im Studio.

Auch die anwesende Angela Merkel, damals Herausforderin, empfand das wohl als etwas zu viel Chuzpe vor dem Thron. So mag man öffentlich-rechtliche Journalisten nicht. Nur der damalige ARD-Programmdirektor Günter Struve war von dem Geschehen so angetan, dass er intern halb spöttisch, halb ernsthaft insistierte: "Verlängern, verlängern!" Das aber gab das Sendeschema nicht her.

In der Elefantenrunde 2009 kann Brender nichts mehr verlieren und nichts mehr gewinnen. Sein ZDF-Vertrag wird, nach Lage der Dinge, nicht verlängert. Und so kann Brender noch einmal - ganz wie ein Journalist - die Kontrahenten Merkel und Steinmeier nach Herzenslust befragen. Das ist doch mal was!

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