Süddeutsche Zeitung

Gut so, schlecht so (17):Die Falten der Angela Merkel

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Sie hat das "Ich" zum "Wir" gemacht, und sogar ihr Mann sagt etwas. Kanzlerin Angela Merkel ist auf Stimmenfang. Doch wer ist sie wirklich? Die Kolumne zum Medienwahlkampf.

Hans-Jürgen Jakobs

Er spricht. Tatsächlich, der Herr Professor Joachim Sauer, der im Bewusstsein der Deutschen stets als stummer Gatte der Kanzlerin unterwegs ist, sagt erstmals ein paar Worte über Angela Merkel: Er könne stolz sein "auf sie und ihre beruflichen Erfolge", erklärt der Wissenschaftler in die Kameras der ARD-Reporter. Merkel steht dabei und lächelt. Da hätten sie aber Glück gehabt, sagt Merkel den Journalisten, leicht frotzelnd, im Weggehen.

In einem Wahlkampf, der keiner ist, zeigt sich das professionelle Begleitvolk und das breite Publikum schon dankbar für kleinste Enthüllungen, und seien es Stolz-Bekundungen des Ehemanns der Regierungschefin. Exklusiv!

Sauer also spricht, und das in einer kreuzbraven, handwerklich soliden Dokumentation namens "Die Kanzlerin - Angela Merkel" an diesem Donnerstagabend im Ersten. Einige Wochen, nachdem das ZDF ein ähnliches Porträt ausstrahlte, das immerhin den unfreiwilligen Scoop von der Party für Josef Ackermann im Kanzleramt in sich barg, folgen die nächsten Versuche eines Merkel-Psychogramms.

Es kommt ja ganz auf sie an, in diesen Tagen vor der Bundestagswahl am 27. September. Auf die Bilder einer Regierungschefin für alle, die sie in die Wohnzimmer liefert, auf ihr Image als "Mutter der Nation", die sich aus kleinlichem Parteiengezänk heraushält und die eine besorgte, allzeit bereite Kümmerin gibt. Sie ist das personifizierte "Wir", das die CDU überall plakatiert.

Je mehr ihr SPD-Widersacher Frank-Walter Steinmeier in den Medien provoziert und strampelt, also nicht "Wir" ist, desto souveräner erscheint Majestät Merkel. Diese stoische Unverletzbarkeit wird sie auch durch das absurde TV-Duell mit ihrem Vizekanzler an diesem Sonntag tragen. Von einer "Eiskönigin" spricht Buchautor Gabor Steingart ("Die gestohlene Demokratie").

Das Distanz-Nähe-Spiel mit den Berliner Journalisten, die viel wissen wollen und denen sie so wenig geben will, beherrscht die Kanzlerin jedenfalls mit jener Kunst pragmatischer Anpassungsfähigkeit, die die Pfarrerstochter in der DDR eine akademische Karriere hat machen lassen. Als Kind, aufgewachsen in einem Ort in der Uckermark, habe sie "viel Zugang zur Freiheit" gehabt, formuliert Merkel, und meint die Natur sowie die Bücher, die sie bestellen konnte.

Sie bewältigte den Studienaufenthalt in Moskau ebenso wie die physikalischen Formelapparate. Von ihrem "Kirchentagslook" erzählt Lothar de Maizière im Film, der erste und letzte Regierungschef der freien DDR, von ihren Schlabberhosen und Latschen und von ihrem Willen, eine neue Politik zu machen. Er führt auch an, wie "detailversessen" sie sei.

Angela Merkel - ein Mensch, der sich immer neuen, höheren Herausforderungen stellt und Leistungskraft beweisen will, um irgendwo anzukommen. Das Ergebnis: Karriere.

Dabei ist sie ein politischer Kontrollfreak: misstrauisch, überall Intrigen vermutend, Akten verschlingend, machtbewusst, nachtragend, aber auch schlau, schlagfertig, beweglich, charmant. Eine Propagandistin der "Politik der kleinen Schritte", der es darauf ankommt, dass die Richtung des Weges stimmt. Eine Moderatorin von Konflikten, die niemals auf den Tisch haut und sagt: "Bis hierhin und nicht weiter." Und gleichzeitig die unideologischste Vorsitzende, die die CDU jemals hatte. "Unauffällig auffällig", nennt sie das ARD-Porträt.

Vor zehn Jahren hat sich Merkel, die einstige Generalsekretärin, in der Parteispendenaffäre öffentlich rechtzeitig abgesetzt von jenem System alter Männer, das sie hochgebracht hatte. Inzwischen hat sie ihren früheren Förderer Helmut Kohl genauso in ihre Ahnengalerie großer Konservativer eingemeindet wie Konrad Adenauer, der sie als Kokoschka-Porträt im Büro durch die Hundstage einer Kanzlerin begleitet.

Sie ist eine Spaziergängerin der Macht, die Stationen abläuft und Themen frühzeitig erkennt, gleichwohl aber keine ausgeprägten Spuren hinterlässt und selbst als "Klimakanzlerin" kein sonderliches Profil gewann. Aber so, wie Boris Becker in seinen besten Tennistagen auf die big points setzte, um Satz und Sieg zu erreichen, so ist sich Merkel der big moments im politischen Leben bewusst, und die liefert ihr die Außenpolitik frei Haus. Sie achte "schon sehr darauf, dass sie bei den roten Teppichen die Erste ist und nicht noch der Steinmeier als Außenminister eine Rolle spielen kann", ätzt SPD-Chef Peter Struck. Den big point des G-20-Gipfels in Washington, wenige Tage vor der Wahl, wird Merkel vermutlich mit schlafwandlerischer Treffsicherheit nutzen.

Tatsächlich: Diesen roten Teppich nimmt ihr niemand mehr. Keiner dieser missgünstigen Journalisten, die sie am liebsten als Kämpferin oder Reformerin sehen, und nicht als große Taktikerin. Keiner dieser politischen Rivalen um die Macht. Und erst recht kein Steinmeier.

Liebgewonnen hat Angela Merkel in diesem Medienwahlkampf offenbar ihren journalistischen Dauerbegleiter Markus Brauckmann. Der Mann von CDU.TV darf sie immer wieder "exklusiv" interviewen, zuletzt beim offiziellen Wahlkampfauftakt der Union in Düsseldorf. Sie sei "insgesamt kämpferisch", gab Merkel bei dieser Gelegenheit zum Besten. Dem Bürger müsse klargemacht werden, dass es um eine Grundsatzentscheidung gehe: stabile Verhältnisse oder "Kuddelmuddel".

CDU.TV-Moderator Brauckmann, der einst für RTL und Pro Sieben aktiv war, hat mit seinem Star auch schon ein großes Sommerinterview geführt sowie Antworten zu Fragen aus dem Internet erforscht. Immer wieder nickt er, wenn Angela Merkel etwas Richtiges sagt, und das tut sie eigentlich fortwährend.

Heimspiel hat die Regierungschefin aber auch bei großen Interviews in Zeitschriften wie Cosmopolitan oder Bunte, in denen sie ganz menschlisch über ihre Macht spricht und ihre Rolle als Frau. Dass sie so gut Rouladen kocht, kommt nicht mehr vor. Das hat sie schon öfter erzählt.

Über ihren Regierungsstil in der großen Koalition sagt Merkel im ARD-Porträt einmal, sie höre sich erst lange an, wie jemand mit seiner Verantwortung umgehe, bevor sie Maulkörbe verteile. So hat sie ihre Mannschaft auf Spur gebracht, eine Notgemeinschaft der Teetrinker, die den Kompromiss kultiviert hat, und sei es bis zur Monstrosität eines Gesundheitsfonds.

Angela Merkel kann bei allem Pragmatismus freilich recht unverblümt sein, und so kritisiert sie das "unangemessene Verhalten der Banker", die sich früher uneinsichtig bei Wünschen der Regierung gezeigt hätten und dann in der Finanzkrise auf einmal selbst ganz viele Wünsche gehabt hätten. Es wird deutlich, dass die wahre Stärke der Angela Merkel im persönlichen Hintergrundgespräch liegt.

Merkel und ihr Kabinett haben Hypo Real Estate und die Commerzbank, und damit alle anderen Banken, dennoch mit vielen Milliarden gerettet. Von "Falten im Gesicht und im Herzen" spricht Kanzleramtschef Thomas de Maizière, Merkels Haus- und Steinmeier, angesichts der vielen schweren Entscheidungen im Berliner Kanzleramt.

Dort, in Angela Merkels Büro, steht seit 2005 ein schöner Holzglobus auf dem Schreibtisch, damit die Chefin bei Anrufen afrikanischer Regierungsverantwortlicher sofort weiß, wo das jeweilige Land liegt. Das erzählt die CDU-Chefin mit Augenaufschlag in dem ARD-Film von Christian Thiels und Thomas Michel. Ein bisschen "blond" will sie auch noch sein, das macht sympathisch. Und dann erklärt Merkel zum Schluss wieder einmal, warum dort kein Bild von Joachim Sauer steht, ihrem Mann und Berater, der so stolz auf ihre Karriere ist.

Sie brauche kein Foto, "ich habe ihn im Kopf", sagt sie - und vermutlich auch im Herzen. Dort, wo bei einer Kanzlerin Falten sind.

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