Süddeutsche Zeitung

Gut so, schlecht so (13):Keine Experimente mit "Angie" Adenauer

Merkel auf den Spuren von Adenauer: Sie will nicht im Schlafwagen, sondern im historischen Zug zur Macht. Die Kolumne zum Medienwahlkampf.

H.-J. Jakobs

In diesen Tagen sind die Zeitungen voll mit Storys über die Sommerreise des SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier. Wo aber ist seine Gegenspielerin, die Regierungschefin, Kanzlerin? Angela Merkel urlaubt.

Sie setzt auf den Kanzlerbonus - und auf eine Politik nach der alten Losung "keine Experimente". Die ist in Krisenzeiten betonfest und war schon zu Zeiten des seligen Konrad Adenauer erfolgreich. Der Politiker mit dem Häuptlingsgesicht stand wie Angela Merkel der Bundesregierung und der CDU vor, und gewann so viele Wahlen, dass er 14 Jahre im Amt blieb.

Rückgriff auf den Helden von vorgestern

Nur Helmut Kohl schaffte - mit 16 Jahren - bekanntlich mehr, aber der Pfälzer taugt für den Wahlkampf 2009 nicht recht. Er war vor gut zehn Jahren in die CDU-Parteispendenaffäre verstrickt und Merkel hat sich damals mit einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen demonstrativ von Kohl abgesetzt.

Nein, die Frau von heute nimmt lieber den Helden von vorgestern. An Adenauers goldene Zeiten will die CDU erinnern, wenn Angela Merkel gut erholt vom Urlaub wahlkämpfen wird - und suggerieren, eine ähnliche Regierungsqualität gebe es nur mit ihr.

Sichtbares Zeichen der Nostalgie-PR: Für den 15. September plant die Spitzenpolitikerin eine "Deutschlandreise" mit dem Rheingold-Express.

Die Fahrt beginnt in Adenauers rheinischen Wohnort Rhöndorf und führt über die frühere Bundeshauptstadt Bonn, in der sich Adenauer 1949 mit einer Stimme Mehrheit (seiner eigenen) wählen ließ, über die "Heldenstadt" Leipzig, wo vor 20 Jahren der Aufstand gegen die DDR-Oberen begann, in das neue Machtzentrum Berlin. Mit im historischen Sonderzug werden CDU-Granden, Mitglieder der Familie Adenauer und Journalisten fahren.

Mehr Symbolik kann man nicht auf die Schienen setzen. Das Unternehmen Zukunft der CDU ist simpel, aber schlagstark.

"Kanzlerbüro auf Schienen"

Auf den Zug der Zeit hatte es schon Konrad Adenauer, "Angies" großes Idol, vor mehr als 55 Jahren abgesehen. Der hochtalentierte Wahlkämpfer informierte sich in den USA, wie sich das Publikum mit modernen Mitteln wohl am leichtesten gewinnen ließe. Folglich setzte der CDU-Vorsitzende und Kanzler 1953 erstmals im Wahlkampf einen Zug ein, den im Übrigen Hermann Göring früher benutzt hatte.

In den Waggons plauderte Adenauer mit den durchweg faszinierten Vertretern der Presse, und am Zielort war regelmäßig großer Bahnhof. Alle hatten Stoff. So konnte Adenauer täglich mehrere Städte und viele Zeitungsseiten abdecken.

Mit diesem "Kanzlerbüro auf Schienen" erreichte der CDU-Politiker und frühe "Medienkanzler" gute Ergebnisse, 1957 sogar die absolute Mehrheit.

Von Adenauer lernen, heißt siegen lernen, denkt sich Angela Merkel, das Kind Ostdeutschlands. Nicht umsonst hat sie seit vier Jahren ein von Oskar Kokoschka gemaltes Porträt des Altkanzlers im Büro hängen. Nun fährt die Taktikerin der Macht einfach auf die alte PR-Masche ab.

An großartigen Konzepten und Wirtschaftsplänen fehlt es in ihrem Wahlkampf bisher, es ist ganz und gar eine Deutschlandreise des Vagen und Emotionalen. Da fügt sich der "Alte aus Rhöndorf" trefflich ins Bild.

Die Deutschen lieben Adenauer. Als das ZDF im Jahr 2003 den "besten Deutschen" suchte, landete der Christdemokrat wie selbstverständlich mit weitem Abstand an die Spitze.

Ein wenig historischer Glanz wird auf die amtierende Kanzlerin also vermutlich abfallen, in diesem historischen Jahr, mit 60 Jahren Bundesrepublik und 20 Jahren Wende. Und alles hat eben, nach Lesart der Union, mit Adenauer und der konservativen CDU zu tun, mit starker Führung, Vaterland, Westbindung und sozialer Marktwirtschaft.

Da sich der christsoziale Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zugleich als Enkel Ludwig Erhards profiliert, als Erbe des Adenauer-Nachfolgers, ist die wählerwirksame Ahnenverehrung der Union perfekt.

Was kann einer politischen Führung schon groß passieren, wenn sie die Großen der Vergangenheit usurpiert?

Die SPD würde sich bei einer ähnlichen Strategie wahrscheinlich wochenlang streiten, ob sie lieber Willy Brandt oder Helmut Schmidt nehmen soll. Jetzt hat sie das Problem, dass sie eine Adenauer-umflorte Angela Merkel noch weniger direkt angreifen kann. Ohnehin stand die CDU-Chefin ja der gemeinsamen Regierung vor. Sehr schlecht kann sie aus Sicht Steinmeiers nicht gearbeitet haben.

Der Unterschied zwischen Himmel und Horizont

Merkels Mobilitätsnummer mit dem Rückgriff auf die Adenauer-Republik ist natürlich auch eine raffinierte Antwort auf alle jene Kritiker aus der Sozialdemokratie, die ihr permanent vorwerfen, sie wolle quasi im Schlafwagen zur Macht.

Das ist ein Standardvorwurf an sie, der eine alte Kritik des damaligen CDU-Bundestagabgeordneten (und späteren Burda-Managers) Jürgen Todenhöfer am damaligen CDU-Gewaltigen Kohl variiert.

Angela Merkel aber steht über solchen kleinkarierten Wahlkampfdetails. Sie hat einen präsidialen Schwebezustand erreicht. Und am 15. September wird sie einfach aus dem Abteilfenster ihres Rheingold-Expresses winken und lächeln. In den Tagen darauf kann sich die CDU-Chefin dann sicherlich über die schönen Bilder in Presse und Fernsehen freuen.

Die Deutschen werden sich, vollkommen adenauerisiert, dann rasch daran erinnern, dass Merkel kurz zuvor, am 13. September, beim Fernsehduell den Rivalen Steinmeier hat auflaufen lassen - mit Mutterwitz und Adenauer-Gelassenheit.

Dann werden einige von ihnen zu jenem prächtigen Bildband mit schönen Merkel-Porträts greifen, den die Kanzlerin derzeit überall im Lande signiert. Wer bekommt da nicht das Gefühl, es laufe doch gar nicht so schlecht in diesem Land?

Wie aber sagte Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler der Republik und begabte Aphoristiker: "Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont."

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