Guinea:Am Drogen-Highway Nummer 10

Guinea: Ein guineischer Polizist schüttet Benzin über vier Tonnen Drogen, die in Conakry verbrannt werden sollen.

Ein guineischer Polizist schüttet Benzin über vier Tonnen Drogen, die in Conakry verbrannt werden sollen.

(Foto: Cellou Binani/AFP)

Das westafrikanische Land ist dabei, das neue Drehkreuz für Kokain aus Südamerika zu werden. Präsident Condé hat versprochen, die organisierte Kriminalität zu bekämpfen - bislang nur mäßig erfolgreich.

Von Tobias Zick, Conakry

Ein bisschen unvermittelt kommt er dann doch, der Anblick des Palastes. Dies hier ist schließlich Conakry, Guinea, eine der ärmlichsten Hauptstädte Afrikas. Der Verkehr schleppt sich vorbei an offenen Abwassergräben und qualmenden Müllhaufen; man sieht Menschen, die sich mit dem Verleih von Plastikstühlen durchschlagen oder mit dem Trocknen winziger Fische in der Sonne, links und rechts der Bahngleise, die mitten durch die Hüttensiedlungen schneiden. Ein Güterzug nach dem anderen rollt darüber, jeder von ihnen Dutzende Waggons lang, voll beladen mit Bauxit, Aluminiumerz, einem der begehrtesten Bodenschätze des westafrikanischen Landes.

Die Güterzüge bringen das Erz zum Hafen, von dort schaffen es Schiffe außer Landes, verarbeitet wird es anderswo in der Welt. Die Menschen, die links und rechts der Gleise leben, die große Mehrheit der Bürger, bekommen vom Reichtum ihrer Erde wenig mit außer dem schlafraubenden Rumpeln der Züge.

Und dann plötzlich dies, mitten in der Stadt: ein farbenmächtiger, geschmackloser Immobilientraum, wie eine Fata Morgana. Es ist eine Stadt in der Stadt, eine umzäunte Anlage mit Villen, größer als das gesamte Regierungsviertel. Auf dem Vorplatz des zentralen Hauptgebäudes posieren Familien fürs Foto, in der Eingangshalle leuchten kleine Modelle der verschiedenen Villentypen, zwischen denen der geneigte Investor hier wählen muss, in dieser streng abgeriegelten Nebenwelt. Damit wären auch schon die Machtverhältnisse im Land recht anschaulich dargestellt.

Seit die Kartelle im Nachbarstaat unter Druck sind, weichen sie auf Guinea aus, sagt ein Ermittler

Ein Plakat wirbt für eine Sonderaktion zur Eröffnung: Jeder schnell entschlossene Käufer erhält demnach einen Geländewagen als Schmankerl zu seiner neuen Traumimmobilie. "Das hier ist ihre Hochburg, ihr Handelszentrum, hier waschen sie ihr Geld", sagt der Beamte, der einen hierher geführt hat, nur um mal einen Eindruck davon zu vermitteln, wie lukrativ dieses Geschäft ist, das gerade das ohnehin schwache Guinea zu zersetzen droht.

Man schaut aufs funkelnde Meer, den Atlantik; irgendwo hinter dem Horizont liegt Brasilien, weniger als 3000 Kilometer Luftlinie - so nah wie hier sind sich Südamerika und Afrika sonst nirgends. "Wir haben einfach ein bisschen Pech mit unserer geografischen Lage", sagt der Beamte.

Internationale Ermittler nennen die Route auch "Highway 10", weil sie ungefähr entlang des zehnten Breitengrades führt. Westafrika ist deshalb schon seit Jahren ein Umschlagsplatz für südamerikanisches Kokain auf dem Weg nach Europa. Guineas nordwestliches Nachbarland, Guinea-Bissau, war zwischenzeitlich nach Einschätzung internationaler Beobachter zum "Narko-Staat" verkommen: Der Drogenhandel wurde zur zentralen Wirtschaftsaktivität in dem kleinen Land, das zuvor allenfalls als Exporteur von Cashewnüssen aufgefallen war. Das Militär, bis in seine höchsten Ränge, wurde zum Hauptakteur des Schmuggel-Business, putschte immer wieder Regierungen weg, die ihm dabei in die Quere kamen. Im April 2013 nahmen US-amerikanische Drogenfahnder einen Admiral aus Guinea-Bissau auf hoher See fest und flogen ihn zum Prozess nach New York.

"Seit die Kartelle in Bissau so unter internationalen Druck geraten sind", sagt der Beamte, "haben sie ihre Aktivitäten immer mehr hierher verlegt. Hier in Conakry ist es wesentlich entspannter für sie."

Der Beamte muss an dieser Stelle anonym bleiben. Es handelt sich jedenfalls um einen ranghohen Ermittler, der sich qua Amt um organisierte Kriminalität zu kümmern hat, insbesondere Drogenschmuggel. Er tut das mit spürbarer Leidenschaft; andere hätten möglicherweise unter denselben Bedingungen längst aufgegeben. "Man muss schon eine Prise Patriotismus in sich tragen", sagt er, "sonst kann man diese Arbeit nicht machen." Das Budget seiner Behörde wurde von Jahr zu Jahr immer mehr gekürzt, "inzwischen stehen alle unsere Fahrzeuge still", sagt er, "wir haben kein Geld für Benzin und für Reparaturen. Und die Kollegen, die auf ihr Gehalt warten, werden natürlich ihrerseits immer anfälliger für Bestechung."

Unter dem früheren Diktator Lansana Conté war Guinea bereits zum Umschlagplatz für Kokain aus Lateinamerika geworden. Conté starb 2008, kurz danach riss ein Hauptmann namens Dadis Camara in einem Putsch die Macht an sich und räumte mit dem Drogensumpf brachial auf. Frühere Armee- und Regierungsangehörige wurden zu ihrer Rolle im Kokainhandel verhört, die Geständnisse wurden teilweise im Fernsehen übertragen. Doch die Motive hinter dieser in der Öffentlichkeit beliebten "Dadis Show" waren nicht nur hehre; der Putschist versuchte auf diese Weise auch, politische Gegner kaltzustellen. Nach weniger als einem Jahr an der Macht wurde er bei einem Anschlag schwer verletzt und floh ins Ausland.

Immer wieder riesige Apartment-Blöcke - "alles Geldwäsche"

Ende 2010 erlebte Guinea dann seine erste demokratische Wahl seit der Unabhängigkeit von der französischen Kolonialherrschaft 1958. Seither regiert Präsident Alpha Condé, der zuvor als Oppositioneller viele Jahre im Ausland gelebt hatte. Er ist angetreten mit dem Versprechen, Korruption und organisierte Kriminalität entschlossen zu bekämpfen - bislang mit mäßigen Erfolgen. "Der Präsident hat sehr gute Absichten", sagt der Staatsdiener, "ich glaube ihm, dass er es ernst meint. Aber er steht ziemlich allein da, er ist umzingelt von Figuren des alten Regimes."

Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) schreibt in einem kürzlich veröffentlichten Bericht, allein zwischen Dezember 2014 und März 2016 hätten die Behörden verschiedener Länder insgesamt 22 Tonnen Kokain auf dem Weg von Lateinamerika über Afrika Richtung Europa abgefangen. "Der Kokainhandel über Afrika scheint wieder zuzunehmen", so die UN-Experten - nachdem die Zahlen zuvor zwischenzeitlich zurückgegangen waren, was aber "angesichts der begrenzten Kapazitäten der Strafverfolgungsbehörden nicht zwangsläufig einen tatsächlichen Rückgang des Handels widerspiegelt".

Es könnte auch daran liegen, dass die Kartelle ihre Methoden geändert haben: Früher kam das Kokain oft mit kleinen Schiffen oder auch Flugzeugen in Westafrika an; auf entlegenen Landepisten irgendwo im Landesinneren oder auf Inseln, die niemand kontrolliert außer die Militärs, die selbst am Handel beteiligt sind. Inzwischen wird die Droge stattdessen verstärkt in Schiffscontainern versteckt. Im Juni 2015 etwa stellten die Behörden im Hafen von Conakry drei Säcke Kokain sicher, insgesamt etwa 80 Kilogramm - eine vergleichsweise winzige Menge - eine "Maus vor einem Berg", wie der Beamte sagt.

Neuerdings nimmt auch der Konsum von Kokain in den westafrikanischen Transitländern zu - weil die internationalen Banden ihre lokalen Hilfskräfte immer häufiger in Naturalien bezahlen statt in bar. Das Angebot auf dem Schwarzmarkt ist enorm. In Dakar, der Hauptstadt des benachbarten Senegal, kostet ein Gramm Kokain auf dem Schwarzmarkt inzwischen nur noch knapp vier Euro - zwanzig mal weniger als in europäischen Metropolen.

Weiterfahrt entlang der Küstenlinie von Conakry, zusammen mit dem Beamten, auf der Rückbank eines Taxis. Immer wieder durchquert man die Schatten von Rohbauten riesiger Apartment-Blöcke. "Alles Geldwäsche", sagt der Beamte. Auch internationale Experten gehen davon aus, dass ein Großteil der Drogen-Einnahmen in Immobilien gewaschen werden, in Fischerei- oder Bergbau-Unternehmen, die eigens zu dem Zweck gegründet werden.

"Die organisierte Kriminalität lähmt das ganze Land", sagt ein internationaler Ermittler, der seinerseits anonym bleiben will. Die Ebola-Epidemie etwa, die sich 2014 von Guinea aus auf die Nachbarländer ausgebreitet hatte, hätte seiner Ansicht nach "binnen zwei Wochen unter Kontrolle sein können" - wenn nicht Korruption und organisiertes Verbrechen den Staat, einschließlich des Gesundheitssystems, derart ausgehöhlt hätte. "Ebola war nur ein Symptom unserer Krankheit namens Korruption", sagt auch der einheimische Beamte.

Die ausländischen Partner müssten den Druck auf die guineische Regierung deshalb verstärken, sagt er: "Ich gebe uns noch zwei Jahre - wenn wir in der Zeit nicht massiv gegensteuern, dann ist es mit unserer Demokratie wieder vorbei, dann sind wir ein Narko-Staat, wie er im Buche steht."

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