Guido Westerwelle:In der Fremde

Irgendetwas läuft fürchterlich schief: Guido Westerwelle polarisiert zwar die innenpolitische Debatte, doch als Außenminister bleibt er blass. Parteikollegen fragen sich, ob er sich mit drei Ämtern zu viel zumutet.

Daniel Brössler

Die Sonne scheint, es ist warm, und der französische Außenminister hat eine Idee. Ob man nicht lieber zu viert im Garten speisen wolle, fragt Bernard Kouchner heiter. Angesetzt ist ein Mittagessen der Chefdiplomaten aus Frankreich, Deutschland, Polen und Russland. In den Unterlagen der Protokollbeamten ist dafür die "Teilnahmeformel 1+4" verzeichnet - jeweils ein Minister plus vier Mitarbeiter. Zu viele für ein ungezwungenes Gespräch, findet der Franzose, und es kostet ihn wenig Mühe, Guido Westerwelle und die beiden anderen davon zu überzeugen. Wenig später sitzt das Quartett, bewaffnet nur mit den vorbereiteten Themenkärtchen, im schattigen Garten des Quai d'Orsay. Dolmetscher werden nicht gebraucht, man spricht englisch. Der Bundesaußenminister ist auf sich allein gestellt, und in der anschließenden Pressekonferenz entsteht nicht der Eindruck, als habe er sich blamiert.

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Wohin geht die Reise, Herr Westerwelle?

(Foto: afp)

Will man acht Monate nach Westerwelles Amtsantritt ein Bild gewinnen vom Wirken des Außenministers, dann gehört auch diese Pariser Szene dazu. Der FDP-Chef hat als Diplomat keinen Eklat provoziert, er hat keine außenpolitische Krise heraufbeschworen, und die Deutschen haben auch keinen Anlass, sich der englischen Aussprache ihres Außenministers zu schämen. Dennoch hat das Amt ihn nicht populärer gemacht; Westerwelle ist Umfragen zufolge unbeliebter denn je. Damit ist es ihm gelungen, jene fast magische Regel zu widerlegen, wonach die Würde des Amtes und der gut funktionierende Apparat praktisch jeden Außenminister gut dastehen lassen. Irgendetwas läuft also fürchterlich schief, und die Suche, was es ist, muss an einem Tag beginnen, der für Westerwelle eigentlich ein guter war.

Es ist Mittwoch, der 10. Februar, und Westerwelle steht am Rednerpult des Deutschen Bundestages, einem Ort, an dem er sich immer noch wohler fühlt als im State Department oder am Quai d'Orsay. Er spricht über die kriegerische Situation in Afghanistan. "Ob uns das politisch gefällt oder nicht, so ist die Lage. Ob wir es so nennen oder nicht, so ist die Lage. Die Lage beim Namen zu nennen, sind wir all denen schuldig, die sich vor Ort den Gefahren aussetzen", sagt Westerwelle. Im Namen der Bundesregierung stuft er diese Lage als "nicht-internationalen bewaffneten Konflikt" ein. Das setzt einen Schlusspunkt unter schwierige Abstimmungen mit dem Verteidigungsministerium. Als Westerwelle in sein Büro am Werderschen Markt zurückkehrt, kann er mit sich zufrieden sein.

Auf dem Schreibtisch dort liegt ein Artikel, der mit dem Satz beginnt: "Die Diskussion nach der Karlsruher Hartz-IV-Entscheidung hat sozialistische Züge." Hinter dem Außenminister liegen die wichtigsten Antrittsbesuche und eine geglückte Afghanistan-Konferenz in London. Westerwelle glaubt, das Amt in den Griff bekommen zu haben. Nun ist es Zeit, findet er, sich der Heimat zuzuwenden. Er entscheidet, dass der Gastkommentar mit der Warnung vor "spätrömischer Dekadenz" in der Welt erscheinen kann. Die Titelseiten beherrscht Westerwelle am nächsten Tag dann mit Afghanistan noch einmal als Außenminister; doch schon bald verschwindet der Diplomat fast völlig hinter den polarisierenden Zeilen seines Gastbeitrags.

In der Umgebung Westerwelles ist die Meinung anzutreffen, der Minister habe sich damals für seine Partei geopfert. Er habe bewusst den Außenminister-Bonus in der Öffentlichkeit gefährdet, um der FDP als Parteichef wieder Profil zu geben. Tatsächlich spricht einiges dafür, dass Westerwelle Lehren aus dem Schicksal seines Vorgängers Frank-Walter Steinmeier gezogen hat, dem seine Außenminister-Beliebtheit herzlich wenig genützt hat als Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten. Nun freilich muss Westerwelle feststellen, dass ein Außenminister ohne Ansehen seiner Partei noch weniger nützt.

Nächte ohne Aktenstudium

Hätte sich Westerwelle entschieden, zwei Rollen zu spielen, so wäre es nun hohe Zeit, dass die des Außenministers wieder in den Vordergrund tritt. "Westerwelle hat bisher nicht in sein Amt gefunden", moniert Kerstin Müller, die außenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Es fehle "eine große Linie in der Außenpolitik", aber auch mit den Details sei der Minister häufig nicht wirklich vertraut. Als es etwa im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages um die Lage im Sudan gegangen sei, habe Westerwelle nicht viel gewusst. "Das war ein schwaches Bild", urteilt die Grüne und verlangt: "Er muss sich endlich in sein Amt hineinknien."

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Guido Westerwelle ist Außenminister, Vizekanzler und Parteivorsitzender zugleich - das ist zu viel, befürchten einige.

(Foto: AFP)

Kritik dieser Art müsste Westerwelle nicht kümmern, würde sie nur von der Opposition geäußert. Tatsache aber ist, dass Westerwelle der außenpolitischen "Community" in Berlin völlig fremd geblieben ist. So fällt die Kritik in den Berliner Denkfabriken mitunter noch schärfer aus als die Müllers. Es sind dort Sätze zu hören wie: "Er hat nichts gegen das Ausland. Er interessiert sich nur nicht dafür." Vielleicht müsste Westerwelle auch solcher Spott der Experten nicht beunruhigen, fiele er nicht auch noch zusammen mit einem Eindruck, der sich ebenfalls in der Öffentlichkeit verfestigt und der seine Autorität in seiner Behörde mit weltweit 13.000 Mitarbeitern nicht eben stärkt.

In seinen ersten Wochen als Außenminister hat Westerwelle vermutlich nicht ganz zu Unrecht vermutet, die Medien lauerten auf einen Fehler oder wenigstens auf einen Fauxpas. Zunächst war es ihm Genugtuung, dass dergleichen ausgeblieben ist. Die Aufregung um die Mitreise seines Partners und angeblich FDP-naher Wirtschaftsvertreter auf Auslandsreisen war ihm dann Bestätigung, dass er eine faire Beurteilung seiner Leistungen als Außenminister ohnehin nicht zu erwarten habe. So hat sich Deutschlands oberster Diplomat zurückgezogen auf keine erfreuliche, aber doch eine bequeme Position.

Westerwelle führt sein Amt einfach so, wie er es für effizient hält. Die Nächte verbringt er eher nicht mit Aktenstudium. Von seinen Beamten erwartet er präzise Berichte, die vor allem nicht zu lang sein dürfen. Einen nicht unerheblichen Teil seiner Zeit muss Westerwelle zudem seiner Partei und der unentwegten Rettung der Koalition widmen. Der Faktor Geduld und der Faktor Zeit spielen also eine Rolle; wirklich entscheidend für das Bild, das Westerwelle als Außenminister abgibt, sind sie nicht. Prägend dafür sind eher die Auftritte eines Politikers, der immer zu Beginn artig für die Gastfreundschaft dankt, der formelhaft "fruchtvolle Gespräche" lobt und von dem man glaubt, es fließe ihm alles Blut aus den Adern, wann immer er in den Anzug des Diplomaten schlüpft. Gerade der Kontrast zum mit allen Fasern interessierten Innenpolitiker Westerwelle ist es, der den Außenpolitiker Westerwelle so blass aussehen lässt. Zwar hat Westerwelle Themen für sich gefunden wie die Abrüstung oder den Respekt vor den kleinen Nachbarn, aber mit keiner Rede bisher hat er sich als der Welt-Außenpolitiker empfohlen, der ein deutscher Außenminister zwingend sein muss.

Mitfühlend fragen nun manche in der FDP, ob sich Westerwelle mit Parteivorsitz, Außenamt und Vizekanzlerschaft nicht zu viel aufgeladen hat. Die Fragen wurden auch schon Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel gestellt. Genscher musste 1985 die Doppelrolle als FDP-Chef und Außenminister aufgeben, Kinkel zehn Jahre danach. In beiden Fällen ging es freilich in Wahrheit darum, dass die Partei ihre Chefs als Belastung empfand. Genscher und Kinkel zogen sich ins Außenamt zurück und versprachen, sich auf die Außenpolitik zu konzentrieren. Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass Guido Westerwelle das für eine verlockende Aussicht hält.

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