Süddeutsche Zeitung

Guido Westerwelle:"Ich habe gedacht, so fühlt sich sterben an"

Der frühere FDP-Chef und Außenminister berichtet von seinem Kampf gegen den Krebs und erklärt, worauf es ihm jetzt ankommt.

Von Katrin Langhans, Berlin

Langsam steigt Guido Westerwelle auf die Bühne, setzt sich, faltet die Hände, lässt das Blitzlichtgewitter über sich ergehen und nickt seinen alten Parteikollegen Christian Lindner und Dirk Niebel zu. Auf den Lippen liegt ein Lächeln, aber es wirkt angespannt. Die vergangenen Monate haben Spuren hinterlassen, die sichtbar sind. "Mir geht es eigentlich gut", sagt Westerwelle, "aber ich bin noch immer schwach und muss zu Kräften kommen."

Vor zwei Jahren verlor er sein Amt als Außenminister. Die FDP war aus der schwarz-gelben Koalition und aus dem Bundestag geflogen. Vor eineinhalb Jahren erfuhr er, dass er an akuter myeloischer Leukämie leidet, einer besonders schlimmen Art des Blutkrebses. Seinen Kampf gegen die Krankheit hat Westerwelle gemeinsam mit dem Journalisten Dominik Wichmann, dem früheren Chefredakteur des Stern und des SZ-Magazins, aufgeschrieben. "Zwischen zwei Leben" heißt das Buch. Am Sonntagvormittag stellten sie es im Berliner Ensemble vor.

Neue Blutgruppe nach der Stammzellenspende

Gleich zu Beginn entschuldigt sich Westerwelle. Wenn er viel trinke während des Gesprächs, liege das daran, dass seine Mundhöhle noch schmerze. Sein Körper muss sich noch an das neue Immunsystem gewöhnen. Westerwelle hat nach der Stammzellenspende eine neue Blutgruppe und muss Medikamente nehmen. "Aber vor einem Jahr noch habe ich meinen jetzigen Zustand herbeigesehnt", sagt er. Da dachte Westerwelle noch: Das war's jetzt, ich werde sterben.

Die Diagnose Leukämie konnten die Ärzte nur feststellen, weil Westerwelle eine Sportverletzung behandeln lassen wollte. Im April 2014 hatte er sich beim Joggen im Central Park in New York den Meniskus gerissen. Als die Ärzte routinemäßig vor der Operation ein Blutbild machten, stellten sie fest, dass die weißen Blutkörperchen bösartig erkrankt waren. Sie sorgen normalerweise im Körper für die Infektabwehr. Von da an ging alles sehr schnell. Westerwelle musste sich einer Chemotherapie unterziehen, die Haare fielen aus, er war an die Kanüle gekettet im Einzelzimmer, ständig das Piepen und Rattern der Apparaturen im Kopf.

Sein Körper sei ein Schiff

"Auf der Station sind alle gleich, Jung, Alt - jeder kämpft ums Überleben", sagt Westerwelle. "Aber es gibt eine goldene Regel: Man zieht sich nicht runter." Es sei schwer gewesen, die Kontrolle an die Ärzte abzugeben. Heute aber sei er den Medizinern dankbar dafür, dass sie ihm gnadenlos klargemacht hätten, sein Körper sei ein Schiff, das nur weiterfahren könne, wenn ein anderer das Ruder übernehme. "Man ist so fremdbestimmt unter der Medikation und fühlt sich auch fremd", sagt Westerwelle.

Dem Tod hat Westerwelle mehrmals in die Augen schauen müssen. Als er die Diagnose gestellt bekam, und als sein erster Stammzellenspender absprang. Die intensivste Erfahrung aber machte er im Krankenhaus selbst. Kurz nach der Transplantation der Stammzellen bekam er drei Infusionen. Die letzte löste in seinem Körper einen allergischen Schock aus.

"Ich hatte Schüttelfrost "

"Das war ein Moment, den ich mein Leben lang nicht vergessen werde", sagt Westerwelle. "Ich hatte Schüttelfrost und mein ganzer Körper hat gezittert." Er habe nicht mehr kontrollieren können, was mit seinem Herz und seinem Kreislauf passiere. "Ich habe gedacht, okay, so fühlt sich also das Sterben an", sagt Westerwelle. Jede Minute, die verging, bis das Gegenmittel anschlug, kam ihm vor wie eine Ewigkeit.

Heute gebe es Tage, an denen es ihm besser gehe, und welche, an denen es schlechter sei. Vor Kurzem erst hat er eine Lungenentzündung überstanden. Alte Bekannte umarmt er lieber nicht, sondern tätschelt ihnen auf die Schulter. Er versuche, sich auf das Leben zu konzentrieren. "Ich will lesen, in die Oper gehen, Freunde treffen", sagt er. Über Politik will er ausdrücklich nicht sprechen an dem Tag. Zum Leben gehören auch kleine Dinge; wenn er es schafft, eine Stunde spazieren zu gehen. "Die Strahlen haben mein Knochenmark und damit auch einen Teil meines Ichs zerstört", sagt Westerwelle. Er sei aber auch noch enger zusammengewachsen mit seinem Partner Michael Mronz. Ihm widmet er das Buch.

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Quelle:
SZ vom 09.11.2015/fie
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