Süddeutsche Zeitung

Günther Oettinger:Unverkrampft in Brüssel

Politisch kann man Baden-Württembergs Ministerpräsidenten wenig vorwerfen. Die Probleme Oettingers liegen anders - wie die jüngste Eskapade in der Brüsseler Landesvertretung zeigt.

Bernd Dörries

Günther Oettinger (CDU) sagt, in der Vergangenheit habe man ihm oft vorgeworfen, er agiere sehr steif und verkrampft, er solle sich doch endlich einmal locker machen. Und das tat der Ministerpräsident dann auch.

Die baden-württembergische Landesvertretung in Brüssel hat eine Schwarzwaldstube im Keller, in der die politischen Delegationen abends den Arbeitstag ausklingen lassen können.

Dort wird auch Alkohol getrunken, und an einem Abend im Januar setzte sich Günther Oettinger dort eine Brille auf, die aus zwei Teesieben bestand. Am Sonntag veröffentlichte die Bild am Sonntag ein Foto dieses Vorgangs.

Am Dienstag will ein Journalist des Stern von Oettinger in der Stuttgarter Regierungspressekonferenz wissen, wie dieser Abend denn weiter verlaufen sei und ob es mehr Fotos gibt. "Man wirft mir oftmals Förmlichkeit vor, hier habe ich nicht förmlich gehandelt, sondern wie 80 andere", sagt Oettinger. Auch Journalisten hätten die Teesiebbrille aufgesetzt.

Die Frage ist also, wer wann und wo eine Teesiebbrille aufsetzen darf. Sie beschäftigt derzeit viele in Baden-Württemberg. Es geht darum, wo das Politische aufhört und das Persönliche anfängt.

Politisch gesehen war das Jahr für Oettinger nicht sehr erfreulich. Er hielt eine Trauerrede für seinen Vorvorvorgänger Hans Filbinger, in der er den ehemaligen NS-Marinerichter zum Gegner des Nationalsozialismus machte. Fast musste er deswegen zurücktreten. Beschweren können hätte er sich nicht.

Vor zwei Jahren sagte Oettinger, er wolle kein Politiker mehr sein, wenn es für ihn kein Privatleben mehr gäbe. Ob diese Grenze nun erreicht sei, wurde er am Dienstag gefragt. Das sei noch nicht der Fall, sagte Oettinger. Politisch kann man ihm derzeit wenig vorwerfen, er hat einen Haushalt ohne Schulden verabschiedet und manches auf den Weg gebracht. Die Probleme liegen anders. Dass es in der Ehe des Ministerpräsidenten schon bessere Zeiten gegeben hatte, wussten viele. Der Bild musste es Oettinger schließlich das Ehe-Aus gestehen. Er dachte wohl, damit sei die Sache ausgestanden. Aber es ging nun erst richtig los.

Eine Woche später dementierte Oettinger in der Bild am Sonntag, dass seine Frau von einem anderen ein Kind erwarte, und dass er selbst mit der soundso zusammen sei. In den regionalen Blättern ist von "bösen Gerüchten" die Rede, die nicht näher beschrieben werden. Ein Kreislauf aus Verdächtigungen und Dementis.

Bei der CDU im Land ist man nicht eben erfreut über die Schlagzeilen, gezielt befeuert werden die Gerüchte nicht. Es sind eher alte Gegner aus den Machtkämpfen mit Ex-Ministerpräsident Erwin Teufel und mit Annette Schavan, die daran mitarbeiten, die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem zu verwischen. Volker Kauder, der Chef der CDU-Bundestagsfraktion, räsonierte, ein Politiker müsse sich "immer seiner öffentlichen Verantwortung bewusst sein und dami rechnen, für das, was er tut, Rechenschaft ablegen zu müssen. Gemäß Tucholsky: Wer öffentlich kegelt, der muss sich auch öffentlich nachzählen lassen, wie viel er getroffen hat."

Die eigentliche Frage, die sich stellt, nachdem Oettinger nun zweieinhalb Jahre Ministerpräsident ist, liegt zwar in seiner Person, privat ist sie aber nicht. Manche Menschen wachsen mit der Aufgabe, die sie übernehmen. Oettinger aber ist immer noch der Fraktionschef von früher. Er umgibt sich mit Freunden, die er aus der Jungen Union kennt, die ihn abends feiern, aber oft nicht die besten Ratgeber sind.

In Stuttgart ging er oft zu einem Wirt der lokalen Schickeria, der später mit Schulden das Land verließ. Jetzt wird er auch nach dieser Beziehung gefragt. Deswegen muss man nicht zurücktreten. Aber so etwas spricht sich herum, auch wenn es nicht in der Zeitung steht. Oettinger muss sich deshalb nicht wundern, wenn Leute ihn für einen Hallodri halten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.324094
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.12.2007/gba
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.