Günther Oettinger:"Die Filbinger-Rede war ein Fehler"

Baden-Württembergs Ministerpräsident Oettinger über Lehren aus der Affäre, die Konservativen in der Union und seine Rolle in Berlin.

Bernd Dörries und Peter Fahrenholz

Mit der Gedenkrede für seinen Vor-Vorgänger Hans Filbinger hätte sich der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) beinahe ins politische Abseits manövriert. Der Vorsitz in der Föderalismuskommission bietet ihm die Chance, neue Reputation zu gewinnen.

Günther Oettinger: "Diese Rede musste von mir selbst aufgearbeitet werden": Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger, hier eine Aufnahme aus dem vergangenen Jahr.

"Diese Rede musste von mir selbst aufgearbeitet werden": Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger, hier eine Aufnahme aus dem vergangenen Jahr.

(Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Oettinger, man kann mit Ihnen eigentlich nicht sprechen, ohne das Thema Filbinger zu erörtern.

Oettinger: Man könnte schon.

SZ: Sie waren gerade auf dem Weg, sich freizuschwimmen, auch bundespolitisch. Dann kam diese Filbinger-Rede. Wie sehr fühlen Sie sich selbst dadurch politisch geschwächt? Wie wollen Sie das ausbügeln?

Oettinger: Durch Arbeit. Ich habe gemeinsam mit meinen Freunden große Projekte vor. Wir wollen im Juli den Haushalt 2008 vorlegen, der ohne neue Schulden auskommt, wir wollen mit "Stuttgart 21" ein Verkehrsprojekt verwirklichen, das europäische Dimensionen hat. Ich bringe mich beim zweiten Teil der Föderalismusreform persönlich ein. Das alles wird in den nächsten Monaten im Mittelpunkt der öffentlichen Betrachtung stehen, was meine Person angeht.

SZ: Die Delle in Ihrer Karriere soll durch harte Arbeit ausgebeult werden. Eine schwäbische Antwort.

Oettinger: Das entspricht meinem Amtseid. Diese Arbeit leiste ich jeden Tag.

SZ: Sie sind im Spektrum der Union doch gar kein Rechter. Wie konnte gerade Ihnen das passieren?

Oettinger: Richtig, ich bin kein Rechter. Umso mehr habe ich mich gewundert, dass mir manche vorwerfen, ich würde am rechten Rand fischen. Das ist abwegig. Ich kann mich nur wiederholen: Die Rede war ein Fehler. Den habe ich mit meiner Entschuldigung versucht, auszuräumen. Punkt.

SZ: Können Sie im Nachhinein erklären, wie es zu diesem Rede-Entwurf kommen konnte?

Oettinger: Sie behalten die Details Ihres Redaktionsalltags ja auch für sich. Und ich bin nicht bereit, den Gang jeder Akte bei mir offenzulegen.

SZ: In Stuttgart sitzt dem Ministerpräsidenten traditionell ein starker Fraktionschef im Nacken, der Nachfolger werden möchte. Spüren Sie schon den Atem von Stefan Mappus?

Oettinger: Wir haben eine exzellente Zusammenarbeit. Dass wir so erfolgreich sind, hat auch mit dem sinnvollen Ideenwettbewerb zwischen Regierung und Regierungsfraktion zu tun. Es wird niemandem gelingen, da Zwist zu säen.

SZ: In den kritischen Wochen, als Sie unter Druck standen, hat man vom Anden-Pakt, jenem Bündnis der einst jungen Wilden in der CDU, die heute alle Ministerpräsidenten sind, nichts gehört. Gibt es den überhaupt noch?

Oettinger: Der Gesprächskreis aus Zeiten der Jungen Union ist weiter intakt. Aber der hätte mir in meiner schwierigen Zeit nicht helfen können. Oder hätten Sie ihre Kommentare geändert, wenn da der eine oder andere was gesagt hätte?

SZ: Vielleicht hätte es Ihnen parteiintern etwas genutzt.

Oettinger: Diese Rede musste von mir selbst aufgearbeitet werden.

SZ: Wie wäre denn die Sache verlaufen, wenn Merkel nicht interveniert hätte und Sie öffentlich abgewatscht hätte?

Oettinger: Das ist nicht mein Thema. Ich nehme die Abläufe so, wie sie gewesen sind.

SZ: Gab es hinterher noch mal ein klärendes Gespräch zwischen Ihnen und der Kanzlerin?

Oettinger: Ich habe dazu alles gesagt. Ich muss mir vorwerfen, dass ich sie nicht um mehr Zeit gebeten habe. Ansonsten habe ich ihre Äußerung in vollem Umfang akzeptiert.

SZ: Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Angela Merkel? Es ist ja kein Geheimnis, dass sie sich an Ihrer Stelle Annette Schavan gewünscht hätte.

Oettinger: Was sie sich gewünscht hätte, weiß ich nicht. Aber es ist nachweisbar, dass sie sich mir gegenüber fair verhalten hat. Deshalb habe ich mit ihr ein sehr vertrauensvolles Arbeitsverhältnis.

Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews, wie Günther Oettinger Baden-Württemberg im Ländervergleich sieht.

"Die Filbinger-Rede war ein Fehler"

SZ: Aus dem schon angesprochenen Anden-Pakt sind Sie der Letzte, der es geschafft hat, Regierungschef zu werden. Wo sortieren Sie sich denn in der Riege der CDU-Ministerpräsidenten ein?

Oettinger: Mittendrin.

SZ: Das heißt also, weder ganz vorne noch ganz hinten?

Oettinger: Wir haben ja keine interne Tabelle. Jeder muss sein Land vertreten. Und da steht Baden-Württemberg im Ländervergleich sehr gut da.

SZ: Reicht das aus? Sie regieren das neben Bayern erfolgreichste Land. Müsste es nicht Ihr Ehrgeiz sein, unter den CDU-Länderchefs die Nummer eins zu sein?

Oettinger: Ich habe den Ehrgeiz, dass mein Land die Nummer eins ist. Meine Person wird dann ergänzend eine Rolle spielen. Aber ich wäre falsch beraten als einer, der nach Rüttgers und Carstensen der dienstjüngste ist, wenn ich mich zu Lasten der Kollegen profilieren würde.

SZ: Im Gespräch mit CDU-Leuten aus Baden-Württemberg hat man oft das Gefühl, dass der Kurs der Bundes-CDU mit einem gewissen Grummeln verfolgt wird, aber offene Kritik wagt keiner. Spielt die Südwest-CDU angesichts ihrer Größe und ihrer Erfolge nicht eine zu kleine Rolle in der Gesamt-CDU?

Oettinger: Nein, das glaube ich nicht. Wir sind einer der großen Verbände in der CDU. Wir können uns auf Bundesebene gut behaupten. Und mit Wolfgang Schäuble, Annette Schavan und Volker Kauder sind wir auch an der Spitze gut repräsentiert.

SZ: Wolfgang Schäuble ist ein prominentes Merkel-Opfer, sie hat seinen Traum zerstört, Bundespräsident zu werden. Schavan und Kauder sind Merkels Gefolgsleute. Eine pflegeleichte Truppe aus Sicht der Kanzlerin.

Oettinger: Wolfgang Schäuble vertritt eine Politik der Inneren Sicherheit, die der Position der CDU in Baden-Württemberg zu 100 Prozent entspricht. Das können nicht alle anderen Landesverbände sagen. Beim Thema Kinderbetreuung vertritt Volker Kauder ebenfalls eine konservative Linie, mit der wir sehr gut leben können. Dazu kommen unsere Landesminister. Wir sind in Berlin gut vertreten.

SZ: Gilt das auch für das Unionsprofil? Die Konservativen in der Union, und von denen gibt es in Baden-Württemberg eine Menge, fühlen sich nicht mehr richtig aufgehoben. Spüren Sie dieses Unbehagen der Basis?

Oettinger: Das sehe ich nicht so. Das neue CDU-Programm hat meines Erachtens klare ordnungspolitische Ansätze. In der Sozialpolitik, in der Wirtschaftspolitik, bei der Inneren Sicherheit.

SZ: In der Wirtschafts- und Sozialpolitik liegen doch Welten zwischen Ihnen und Rüttgers.

Oettinger: Das ist doch kein Problem. Eine Partei, die 40 Prozent und mehr erreichen will, muss diese unterschiedlichen Positionen verkörpern. Beide sind gleichermaßen respektabel. Das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke von CDU und CSU. Wir können damit ein breites Spektrum an Wählern erreichen.

SZ: Sie sind einer der beiden Vorsitzenden der neuen Föderalismuskommission. Ihr Vorschlag, mit einem nationalen Entschuldungsfonds den ärmeren Ländern zu helfen, wurde von Ihren reichen Mitbrüdern verhalten aufgenommen.

Oettinger: Bisher gab es den Vorschlag, alle Schulden in einen Topf zu werfen. Ich will aber nicht, dass man allen Ländern ihre Schulden abnimmt und bei null beginnt. Dann würde jeder einfach so weiter machen und neue Schulden anhäufen. Ich will Anreize schaffen, dass Länder einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen, nur dann können sie am Entschuldungspakt teilnehmen und eine solidarische Beihilfe zum Abbau von Altschulden bekommen.

SZ: Den anderen für die Schuldentilgung auch noch Geld zu geben, wird in Ihrem Land nicht gut ankommen. Da wollen doch viele, dass endlich weniger in den Finanzausgleich gezahlt wird.

Oettinger: Ich muss für Baden-Württemberg mehr Handlungsspielraum gewinnen, aber auch die Nehmerländer müssen für sich darin Vorteile sehen.

SZ: Zum Handlungsspielraum gehört auch die Modernisierung der veralteten Verkehrsinfrastruktur. Es wird hier häufig die Kritik geäußert, dass Milliarden für Straßen im Osten gezahlt wurden, auf denen keine Autos fahren, während die Verkehrswege im Land marode sind?

Oettinger: Ich bin nicht gegen den Osten. Aber die Förderung des Aufbaus in Ostdeutschland geht nur, wenn die Geberländer, zu denen Baden-Württemberg zu allererst gehört, ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten.

SZ: Dazu gehört für Sie auch das 4,8- Milliarden-Euro-Projekt Stuttgart 21, die Untertunnelung des Stuttgarter Bahnhofs und der Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Ulm. Viele außerhalb Baden-Württembergs halten das für ein überteuertes Prestigeobjekt eines reichen Bundeslandes.

Oettinger: Der Name war vielleicht unglücklich gewählt, es hätte auch Baden-Württemberg 21 oder Europa 21 heißen können. Vor wenigen Tagen hat sich gezeigt, worum es geht: Der TGV fuhr erstmals von Paris nach Stuttgart, in Frankreich mit 320 Kilometern pro Stunde über eine neu gebaute Strecke und kommt dann bei uns über alte Gleise mühselig in Stuttgart an. Wenn der TGV in einem Jahr nach München fährt, muss er sich mit Tempo siebzig die Schwäbische Alb hochquälen. Dies entspricht nicht einem Technologieland wie Deutschland.

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