Süddeutsche Zeitung

Erdoğan zu Gülen-Auslieferung:"Westen hat sich auf Seite der Putschisten gestellt"

  • Die Türkei verschärft den Ton gegenüber den USA.
  • Die türkische Regierung nennt es einen "großen Fehler", sollte Washington die Auslieferung des Predigers Gülen verweigern.
  • Die Entlassungen im Staatsapparat vergleicht ein Sprecher mit dem Vorgehen während der deutschen Einheit.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Nach dem Putschversuch in der Türkei wendet sich Ankara immer stärker vom Westen ab. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sagte am Mittwoch in Ankara, "der Westen hat sich auf die Seite der Putschisten gestellt. Sie haben sich nicht auf die Seite der Führung dieses Landes gestellt, das sich gegen den Putsch gewehrt hat." Die türkische Regierung droht den USA bereits mit negativen Folgen, sollten diese sich weiter weigern, den von Ankara für den Putschversuch verantwortlich gemachten islamischen Prediger Fethullah Gülen an die Türkei auszuliefern.

Amerika wird bereits offen beschuldigt

Erdoğan und Gülen waren bis zu einem Zerwürfnis 2013 Verbündete. Gülen lebt seit 1999 in Pennsylvania im Exil. Präsidentensprecher Ibrahim Kalın schrieb in der regierungsnahen Zeitung Daily Sabah, die Forderung, Gülen auszuliefern, würde von einer großen Mehrheit der türkischen Bevölkerung getragen. Es wäre ein "großer Fehler", wenn die USA und Europa dies ignorieren würden. Die meisten Türken hätten bereits den Eindruck, die Vereinigten Staaten böten ihm Unterschlupf. Aus Sicht der Türkei stelle der Mann eine Bedrohung der nationalen Sicherheit dar. Der türkische Justizminister Bekir Bozdağ erklärte, Ankara habe den Behörden in den USA in einem weiteren Schreiben begründet, warum die Auslieferung wichtig sei. In Teilen der regierungsnahen Presse wird Amerika bereits offen beschuldigt, am Putsch beteiligt gewesen zu sein.

Die türkische Regierung geht weiter mit voller Härte gegen mutmaßliche Anhänger Gülens in der Türkei vor. Nach Angaben von Regierungschef Binali Yıldırım ist die Zahl der suspendierten Staatsbediensteten seit dem Putschversuch am 15. Juli auf mehr als 58 000 gestiegen. Insgesamt seien 62 010 Männer und Frauen aus dem Dienst suspendiert oder gar entlassen worden. Zudem sei mehr als 20 000 Lehrern die Lizenz entzogen worden. Bis zum Beginn des neuen Schuljahres Mitte September sollen 15 000 neue Lehrer angestellt werden. Dies dürfte angesichts Tausender Lehrer, die zuletzt keinen Job hatten, zu schaffen sein, hieß es aus Ankara.

Vergleich mit den Entlassungen im Zuge der deutschen Einheit

Präsidentensprecher Kalın verglich das harte Vorgehen im Staatsapparat mit den Entlassungen im Zuge der deutschen Einheit. "Das ist kein großer Unterschied zu dem, was während der Vereinigung von Ost- und Westdeutschland mit dem berühmten 'Einigungsvertrags'-Prozess geschehen ist", schrieb Kalın. "Zusätzlich zu Beamten und Soldaten wurden vom deutschen Staat viele Akademiker, Lehrer, Diplomaten und Journalisten unter dem Vorwurf von Verbindungen zum alten Regime in Ostdeutschland gefeuert."

Obwohl die Türkei Teile der Europäischen Menschenrechtskonvention ausgesetzt hat, will Ankara weiter eng mit dem Europarat zusammenarbeiten. Die Türkei werde diesen weiterhin "regelmäßig informieren", sagte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu nach einem Treffen mit dem Generalsekretär des Europarats, Thorbjørn Jagland, am Mittwoch in Ankara. Nach dem gescheiterten Putschversuch hatte die Türkei den Ausnahmezustand verhängt.

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SZ vom 04.08.2016
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