Guantanamo-Häftlinge in Deutschland:Leben lernen

Die Frage, wie die beiden Ex-Häftlinge in Deutschland bewacht werden können, führt in die Irre - die Männer sind schwer traumatisiert und brauchen erst einmal Hilfe.

Stefan Braun

Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist sein leiser Unmut anzumerken gewesen. Immer wieder ist er gefragt worden, wie er denn nun mit den Gefahren durch die beiden Männern umgehen werde. Und zunehmend verärgert antwortete de Maizière, aus seiner Sicht sei nicht die Sicherheit das zentrale Thema, sondern das Bemühen, den beiden Häftlingen aus Guantanamo, die nun in Rheinland-Pfalz und Hamburg Aufnahme finden sollen, erst einmal ganz konkret und humanitär zu helfen.

Guantanamo-Häftlinge in Deutschland: Geht es nach Bundesinnenminister Thomas de Maizière, dann sollte nicht die Sicherheit, sondern die humanitäre Hilfe im Umgang mit den beiden Häftlingen aus Guantanamo im Vordergrund stehen.

Geht es nach Bundesinnenminister Thomas de Maizière, dann sollte nicht die Sicherheit, sondern die humanitäre Hilfe im Umgang mit den beiden Häftlingen aus Guantanamo im Vordergrund stehen.

(Foto: AFP)

Tatsächlich ist das der zentrale Eindruck, den alle teilen, die die beiden Häftlinge getroffen haben. Schon in der ersten kleinen Gruppe, die das Bundesinnenministerium vor Monaten nach Guantanamo entsandt hatte, um eine Aufnahme zu prüfen, waren nicht nur Sicherheitsexperten.

Ebenfalls mit dabei waren ein Migrationsexperte aus dem Hause de Maizières und ein erfahrener Beamter des Bundesamts für Migration. Beide verfügen über große Erfahrung im Umgang mit Flüchtlingen in Irak, Iran und Syrien. Und beide sind erschüttert gewesen, weil die Männer als Menschen viel mehr verwundet sind, als man sich das vorstellen konnte - körperlich wie seelisch. Sie müssten ganz von vorne anfangen, heißt es inzwischen. Sie müssen wieder leben lernen.

Aus diesem Grund konzentrieren sich die Sorgen der deutschen Behörden derzeit nicht auf die Frage, wie intensiv man die beiden Männer, den Palästinenser Ayman al-Shurafa und den Syrer Mahmud Salim al-Ali, bewachen muss. Zumal de Maizière mehr als einmal betont hat, dass man diesen Schritt ja ohnehin nur mache, weil man sie nicht für gefährlich hält; unter neun Kandidaten wurden die beiden ausgewählt. Umso unverständlicher erscheinen die Aussagen von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der die Aufnahme der beiden für falsch hält und darauf besteht, dass sie nicht in den Freistaat reisen dürfen.

"Wir gehen davon aus, dass sie einen sicheren Aufenthaltsstatus sowie Hilfe bei der Integration bekommen werden", sagt Monika Lüke, Generalsekretärin vom Amnesty International in Deutschland. "Das bedeutet, dass sie gültige Papiere erhalten und sich in Deutschland frei bewegen dürfen." Auch sie verweist darauf, dass die Männer nach vielen Jahren Haft auf engstem Raum traumatisiert und lebensunfähig seien. Die Männer sind in einem fremden Land, sie müssen sich eine fremde Sprache aneignen, sie haben in Deutschland keinerlei persönliche Beziehungen, keine Angehörigen und keine Freunde.

Lernen sich zu bewegen

Soweit man das derzeit erfragen kann, beginnt die Wiederherstellung der beiden Menschen beim profansten. Sie müssen einen Tagesablauf ganz neu lernen, sie müssen lernen sich zu bewegen, sie müssen lernen, ein Fenster oder eine Tür zu öffnen. Sie müssen lernen, zu sprechen, sich zu waschen, sich anzuziehen, irgendwann müssen sie auch wieder das Kochen und das Einkaufen erlernen.

Im wahrsten Sinne des Wortes ist ihnen alles durch die Brutalität und totale Unterwerfung in der Haft genommen worden. Es sind Menschen ohne Selbstbewusstsein, ohne jede Sicherheit im Umgang mit sich selbst und dem Leben. Daraus ergibt sich, dass sie für die kommenden Monate vor allem zwei Sorten Hilfe brauchen. Sie brauchen Ärzte, die sie gesundheitlich wiederherstellen. Und sie benötigen Psychologen, die ihnen Schritt für Schritt Ängste nehmen.

Ein langer Weg

Hinzu kommt, dass bei beiden zwar eine gewisse Vorgeschichte bekannt ist. Aus der aber ergibt sich nicht, ob sie mal gute Sportler waren, ob sie einen Beruf erlernt haben, wenn ja, ob sie ihn noch können - und ob dieser Beruf aus ihrem früheren Leben noch einmal ausgeübt werden könnte. Das immerhin würde ein Weg sein, sie in die deutsche Gesellschaft einzugliedern. Offenbar wollen beide weder zurück in ihre Heimatländer noch in die Vereinigten Staaten. Die Männer wollen, so sie es schaffen, gerne in Deutschland bleiben.

Nun werden Hilfsorganisationen wie Caritas oder Diakonie gesucht, die Erfahrungen mit der Aufnahme von Migranten haben und eine medizinische und psychologische Hilfe gewährleisten könnten. Außerdem schwebt den deutschen Behörden vor, muslimische Gemeinden zu finden, die den beiden Männern helfen. Es ist ein langer Weg, der beiden bevorsteht. Und bis auf weiteres geht es nicht darum, sie umfassend zu bewachen.

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